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Esslingen: Schmerzfreie Mobilität wiederherstellen

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Gesundheit

Esslingen: Schmerzfreie Mobilität wiederherstellen

Hüft- und Knieendoprothetik mit modernster Technologie: Rund 290 000 Endoprothesenoperationen im Jahr 2021 durchgeführt, Tendenz steigend.

Esslingen: Schmerzfreie Mobilität wiederherstellen

Ein künstliches Hüftgelenk trägt dazu bei, Schmerzen zu lindern und die Funktionsfähigkeit der Hüfte zu erhalten. Foto: Imago/Funke Foto Services

ESSLINGEN. Der ehemalige Toptennisspieler Boris Becker trägt eine Endoprothese in der Hüfte. Sein noch aktiver Kollege Andy Murray gewinnt sogar Turniere damit. Eine Endoprothese ist ein künstliches Gelenk, das dauerhaft in den Körper eingebracht wird und ein erkranktes Gelenk ersetzt. Typischerweise werden Endoprothesen anstelle von Hüft- und Kniegelenken eingesetzt, bei den Hüften etwas häufiger als bei den Knien. Auch andere Gelenke wie die in den Fingern können durch mechanische Teile ersetzt werden. Der Anteil dieser Gelenke an den Operationen ist aber gering.

Aktuelle Zahlen nennt das Endoprothetik-Register Deutschland. Demnach wurden im Jahr 2021 rund 290 000 Endoprothesenoperationen durchgeführt, davon 150 000 an der Hüfte und 111 000 am Knie. Noch sind die Zahlen der Hüft- und Kniegelenksoperationen nicht auf dem erwarteten Stand für das aktuelle Jahr. Durch Corona wurden medizinisch nicht notwendige Operationen – und dazu gehören solche OPs – aufgeschoben. So ist noch ein gewisser Operationsstau abzubauen. Dennoch lässt sich aus den vergangenen Jahren sehr genau ein Anstieg des Bedarfs an Endoprothesenoperationen bei Hüften und Knien feststellen. „Diese Art von Eingriffen werden noch deutlich zunehmen“, sagt Peter H. Richter, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, der seit Anfang August Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Esslingen ist. „Der Grund liegt in unserer schnell alternden Gesellschaft“, fügt Richter hinzu, der eine Professur an der Universität Ulm innehat. Die Hauptindikation bei Endoprothetikoperationen ist die Arthrose eines Gelenks, das mit einer stark eingeschränkten Funktionsfähigkeit sowie starken Schmerzen einhergeht. Eine Arthrose kann auf unterschiedliche Weise entstehen: Alter, Übergewicht, mechanische Belastungen, genetische Vorbedingungen, Fehlstellungen von Gliedmaßen spielen eine Rolle. Das Problem ist ein sich auflösender Knorpel, der eine Pufferzone zwischen den Knochen bildet und im gesunden Zustand das Aufeinandertreffen von Knochen auf Knochen verhindert und damit eine beschwerdelose Beweglichkeit garantiert.

Ein hohes Risiko für den Knorpelabbau ist das Übergewicht eines Menschen. Ein anderer Verschleißfaktor ist eine hohe mechanische Belastung, die durch intensiven Sport, meist Leistungssport, hervorgerufen wird. Im Fokus stehen dabei Sportarten wie Fußball, Tennis, Basketball oder Handball. Stop-and-go-Sportarten eben. Auch Fehlstellungen der unteren Gliedmaßen können zum Verschleiß einer Hüfte beitragen. „Ein Großteil der Hüftfehlstellungen lässt sich bereits im Babyalter korrigieren. Allerdings kann es bei schweren Reifestörungen der Hüftpfanne, auch Dysplasie genannt, zu einer frühen Arthrose im Hüftgelenk kommen“, erklärt Richter. Schließlich sind auch Unfälle und Stürze sowie Knochenbrüche bei älteren Menschen wie der Klassiker Oberschenkelhalsbruch Indikationen für Hüftgelenksoperationen.

Zahl des Tages: "500 Gramm beträgt das Gewicht einer durchschnittlichen neuen Hüfte."
bs

Haben konservative und gelenkerhaltende Behandlungsverfahren nicht mehr den gewünschten Heilungserfolg, wenn also Schmerzen beispielsweise in der Hüfte trotz Physiotherapie oder medikamentöser Behandlung fortbestehen und Beweglichkeit und Funktionalität des Gelenks nicht mehr gegeben ist, ist die OP notwendig. Ein künstliches Hüftgelenk besteht aus einem Prothesenschaft, einer Pfanne und einem Kopf. Das Verfahren bei einer Hüftoperation wird von verschiedenen Faktoren bestimmt: So ist die Knochenstruktur der Patienten entscheidend dafür, ob das neue Gelenk mit oder ohne Zementierung eingebracht wird. Die Knochenstruktur ist laut Richter jedoch kein ausschließliches Thema alter Menschen. „Es gibt 70-Jährige mit guten Knochen und 50-Jährige mit ausgeprägter Osteoporose“, sagt er. Es gibt auch Kontraindikationen für eine OP: „wenn ein Mensch eine Infektion des Gelenks oder eine schwere systemische Infektion hat sowie eine lebensbedrohliche Situation vorliegt. Relative Kontraindikationen sind, wenn ein Mensch starkes Übergewicht hat oder ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus die Wundheilung gefährden könnte, oder eine Anämie, also schlechte Blutwerte vorliegen. Relative Kontraindikationen sollten zunächst abgeklärt und vor einem möglichen Operationstermin eingestellt werden“, erklärt Richter.

Die Dauer einer OP liegt bei zwischen 60 bis 80 Minuten, je nachdem ob bei dem Eingriff zementiert wird oder nicht. Operierte bleiben fünf bis zehn Tage im Krankenhaus, Jüngere gehen eher früher nach Hause. Dem schließt sich eine dreiwöchige Reha-Zeit an. „Das Ziel einer solchen OP sind immer schnelle Belastbarkeit, Beweglichkeit und die Schmerzfreiheit“, sagt Richter. Barbara Scherer

Hüft- und Knieendoprothetik mit modernster Technologie

Material und Technik
Heute werden üblicherweise ein Schaft und eine Schale aus Metall eingesetzt, da dies vom Körper nicht abgestoßen wird. Beides wird in den vom kranken Gewebe gereinigten und aufbereiteten Knochen zur Einheilung eingesetzt. Da hinein kommt zumeist eine Einlage aus einem hochvernetzten Kunststoff, ein Inlay, auf dem ein Kopf aus Keramik gleitet. Die Eingriffe werden mittlerweile sehnen- und muskelschonend und von Chirurgen auch minimalinvasiv durchgeführt. Die durchschnittliche Lebensdauer einer künstlichen Hüfte liegt mittlerweile bei bis zu 25 Jahren. Aber auch das mechanische Teil ist nicht vor Verschleiß gefeit. Das Inlay kann brüchig werden, Infektionen können sich bilden, der Knochen um die Prothese kann brechen und die Prothese sich lockern. In solchen Fällen muss das „Ersatzteil“ erneuert werden.

Vermessung
Ein zweiter Fokus bei Gelenkoperationen liegt auf dem Kniegelenk. Das Verfahren an sich ist filigraner angelegt als das an der Hüfte angesichts der sehr komplexen Knochen- und Weichteilstruktur im menschlichen Knie. Bei den Operationen kommt laut Peter Richter verstärkt unterstützende Technologie ins Spiel. Eine Art Navigationssystem vermisst am Klinikum Esslingen das zu operierende Knie. Dadurch kann dann das Operationsverfahren selbst genauer auf den Patienten abgestimmt durchgeführt werden. Ein Trend, den Peter Richter in der Zukunft auch bei Hüftoperationen sieht. bs

Künstliche Zahnwurzel

ESSLINGEN. Zahnimplantate gehören ebenfalls zu den im Körper fest eingesetzten künstlichen Teilen. Auch dabei sind Verfahren und Materialien prinzipiell dieselben wie beim Teilersatz an anderen Knochen im Körper. Die Knochen im Kiefer sind aber von dünnerer Struktur als in der Hüfte. So kann es notwendig sein, die Knochen im Kiefer zunächst mit körpereigenem Knochentransplantat, das am Kieferknochen fixiert wird, aufzubauen. Bis eine Prothese aufgesetzt werden kann, kann es auch mal Monate dauern. Zahnimplantate haben eine lange Geschichte: Offenbar haben bereits die Maya vor mehr als 1300 Jahren fehlende Zahnwurzeln durch Muschelkalk ersetzt. bs

Foto: privat
Foto: privat
„Ziel einer solchen OP sind immer schnelle Belast­barkeit, Beweglich­keit und Schmerzfreiheit.“

Peter H. Richter, Chefarzt in der Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Esslingen

Start mit Elfenbein

ESSLINGEN. Das erste künstliche Knie wurde bereits im Jahr 1890 eingesetzt, damals setzte man auf Elfenbein, was sich nicht bewährte. Erst in den 30er- und später in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden erste Prothesen aus Metall verarbeitet. Mittlerweile wird die aktuelle Technik auch für Hunde und Katzen angeboten. Verfahren und Materialien sind im Prinzip dieselben wie beim Einsatz beim Menschen. bs

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