Der Flughafenseelsorger Dieter Kleinmann steht an Terminal 1 mit einer Bibel in der Hand vor einer Anzeigetafel mit Abflügen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Antonia Lange

Stuttgart - Die Gemeinde von Pfarrer Dieter Kleinmann besteht aus zehn Millionen Menschen, die jedes Jahr regelmäßig in die Luft gehen. Die meisten sieht er nur ein einziges Mal. Wichtig ist er für seine Schäfchen dennoch: Der 64-Jährige ist Airport-Pfarrer am Stuttgarter Flughafen. Der evangelische Geistliche ist außerdem Ansprechpartner für die rund 10 000 Mitarbeiter des Flughafens - und auch mal für ein vergessenes Portemonnaie von Reisenden zuständig.

Der Unterschied zu einer normalen Pfarrstelle? Er habe eher „sozial-karitative Aufgaben“, sagt Kleinmann. Das könne bedeuten, dass es Fälle gebe wie die: „Ich habe meinen Geldbeutel verloren.“ Das heiße aber auch: Seelischer Beistand, wenn ein Reisender während des Urlaubs einen Angehörigen verloren hat. Oder wenn ein Flughafen-Mitarbeiter seinen Job verliert. Vor allem Flüchtlinge hätten ihn zuletzt beschäftigt, sagt Kleinmann. „Wir sind auch bei Abschiebungen dabei.“

Kleinmann ist einer von zwei Flughafenseelsorgern in Stuttgart - sein Pendant ist katholisch. Dem Airport zufolge kommen noch und 40 Ehrenamtliche hinzu. Bundesweit gibt es nach Angaben der Flughafenseelsorge elf Flughäfen, an denen Menschen wie Kleinmann im Einsatz sind - von Hamburg über Berlin bis nach München. Nicht alle sind auch Geistliche wie Kleinmann.

Gate statt Gemeindehaus - warum entscheidet sich ein Pfarrer dafür? „Der Grund, den Job anzunehmen, war die Herausforderung“, sagt Kleinmann, der etwa 20 Auto-Minuten von seinem Arbeitsplatz entfernt wohnt. Im Vergleich zu Geistlichen mit „echter“ Gemeinde sieht er seine Schützlinge oft zum ersten Mal und danach nie wieder. „Vertrauen kann man nicht erzwingen, Vertrauen muss sich entwickeln“, sagt Kleinmann. Die Chance habe er bei den Menschen, denen er helfen wolle, in der Regel nicht. Manchmal könne das aber ein Vorteil sein, sagt er. Klar: Wer jeden Sonntag mit seiner Frau in der Kirche sitzt, erzählt dem Pfarrer möglicherweise ungern von einem Ehebruch. In seinem Büro am Ende vom Terminal 3 - der Eingang liegt zwischen Getränkeautomaten und einer Spielothek - reden sich Menschen durchaus die Probleme von der Seele, wie er erzählt. Eben weil sie ihn danach nicht wiedersehen.

„Es ist einfach wichtig, dass dieses Angebot am Flughafen da ist, gerade weil es hier viel Hektik gibt“, sagt Airport-Sprecherin Beate Schleicher. „Es ist vor allem wichtig für die, die hier arbeiten.“ Denn Mitarbeiter von Apotheke, Modegeschäft oder Zeitschriftenladen sind so etwas wie Kleinmanns feste Gemeinde. Das wird bei einem Rundgang mit dem 64-Jährigen klar. „Guten Morgen, läuft‘s?“, fragt er die Frau vom Schuhladen. Einen Lufthansa-Mitarbeiter fragt er, ob er mittags zur Andacht komme. „Der ist fast immer dabei.“

Die Andacht findet in einem sogenannten Raum der Stille statt. An diesem Tag zitiert der Geistliche eine Passage auf dem Matthäus-Evangelium, die zum Ort des Geschehens passt. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Davon dürfte es am Flughafen mehrere geben. Nicht alle von ihnen kommen jedoch - die Andacht ist nur spärlich besucht. Vielleicht auch, weil viele es eilig haben, ihren Flieger zu bekommen. Reisende mit Flugangst kämen zwar kaum zu ihm, sagt Kleinmann. Ihnen lege er aber den Psalm 23 ans Herz: „Der Herr ist mein Hirte. Das ist schon hilfreich.“

Kleinmann selbst begeistert sich offensichtlich für die Flieger. Er kennt sich nach mehr als fünf Jahren Airport-Seelsorge bestens aus, kann bei einem Blick auf Maschine und Uhrzeit fast immer deren Ziel nennen. „Toll der Sound, oder?“, sagt er bei einem Besuch auf der Besucherterrasse des Flughafens. „Das fesselt mich schon.“ Auf die Frage nach seinen eindrücklichsten Erlebnissen als Airport-Pfarrer nennt er mehrere. Eins davon ist der Fall einer Frau, die nach der Rückkehr von einer Reise erfahren muss, dass ihr Sohn tot ist. Zusammen mit der Familie erwartet Kleinmann sie damals am Flughafen, wie er erzählt. In seinem Büro sagen die Angehörigen der Mutter, was passiert ist. „Der Aufschrei bleibt einem in den Ohren.“

Kleinmann übernahm an dem Tag die seelsorgerische Betreuung der Frau. Danach passierte das, was er von so vielen Fällen kennt: Er hörte nie wieder von ihr.