Szenario zwei: Ein Arbeiter ist von einer Baumaschine gestürzt. Er ist ansprechbar, hat jedoch mehrere Knochenbrüche erlitten. Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Durch gestiegene Sicherheitsstandards werden Unfälle auf Baustellen immer seltener, dennoch passieren sie ab und an. Genau für diesen Ernstfall haben Notfallteams des Deutschen Roten Kreuzes, der Johanniter-Unfall-Hilfe, der Malteser Stuttgart und des Klinikums Stuttgart gemeinsam mit der Feuerwehr am Samstag auf dem Stuttgart-21-Gelände an drei verschiedenen Stationen trainiert.

„Auf tausend Metern ein Mineur“, so lautete einst die Faustregel im Tunnelbau. „Glücklicherweise sind wir davon heutzutage weit entfernt“, sagt Volkmar Hammen vom Bauunternehmen Hochtief. Bestes Beispiel seien die S-21-Arbeiten. Mehrere Röhren seien bereits mehr als einen Kilometer lang, tödliche Unfälle habe es bislang nicht gegeben. „Verletzungen jedoch durchaus.“ Aufgrund des unebenen Untergrunds würden sich Arbeiter schnell mal die Bänder im Sprunggelenk dehnen oder trotz Schutzbrillen bei Injektionsarbeiten Schmutz in die Augen bekommen. „Die größte Gefahr geht jedoch von den großen Baufahrzeugen aus“, so Hammen. Sprich, dass beim Rangieren der Kolosse eine Person übersehen werde. „Für uns ist das wirklich ein riesen Thema. Vor allem erfahrene Tunnelbauer legen irgendwann die Vorsicht ab, dann wird es gefährlich.“

Die Rettungskräfte haben sich gestern zwar die Tunnel angeschaut, um die Arbeiten nicht zu stören wurde jedoch an der Oberfläche trainiert. Unter anderem, wie ein Arbeiter gerettet werden kann, der nach einem Unfall mit schweren Rückenverletzungen in einem riesigen Radlader festsitzt. „Hier gilt es den Mann zu stabilisieren“, sagt Christian Menzel, Oberarzt am Katharinenhospital. „Es reichen schon Bewegungen von wenigen Millimetern in die falsche Richtung aus, um dauerhafte Schäden zu verursachen.“ Um den Verletzten sicher aus der drei Meter hohen Kanzel zu holen, bauen die Rettungskräfte ein Konstrukt aus mehreren Leitern auf. Deutlich wird jedoch, dass nicht nur die Technik stimmen muss. „Die Kommunikation ist das A und O an Unfallstellen“, so Menzel.

Das bewahrheitet sich auch an der zweiten Station: Ein Mineur - dieses Mal kommt eine Puppe zum Einsatz - ist unter schweren Metallteilen eingeklemmt. Rahel Österreicher-Lutz, Notärztin am Katharienenhospital, kümmert sich gemeinsam mit den Sanitätern um den Verletzen, gleichzeitig hebt die Feuerwehr mit einem Luftkissen die schwere Last von den Beinen des Mannes an. „Die Übungen sind realitätsnah, aber nicht die Realität“, sagt Österreicher-Lutz. Im Vergleich zu einem richtigen Unfall würden der Stress und die Anspannung fehlen. Dennoch sind die Anweisungen der Ärztin auf dem Stuttgart-21-Gelände konkret, sie ist hoch konzentriert. Anschließend wird durchgesprochen, was schiefgelaufen ist und was besser gemacht werden kann. „Wichtig ist, dass sich die Einsatzkräfte kennenlernen. Dann arbeiten wir auch im Notfall besser zusammen.“

An der dritten Station müssen die 60 Einsatzkräfte, die in fünf Gruppen üben, einen Arbeiter versorgen, der von einer Baumaschine gestürzt ist und sich die Rippen gebrochen hat. Dieses Mal kommt eine Puppe zum Einsatz, mit der sich innere Verletzungen simulieren lassen. Als die Sanitäter eintreffen, ist aus dem Brustbereich ein leises Zischen zu hören. Ein Alarmsignal, schließlich hat sich eine Rippe in die Lunge gebohrt: „Hierbei handelt es sich bei Unfällen um eine der am häufigsten übersehenen Verletzungen“, sagt Menzel. Eine Studie habe ergeben, dass bis zu 15 Prozent der tödlichen Unfälle hätten vermieden werden können, wenn man die Symptome erkennt und richtig behandelt. Im konkreten Fall muss der Notarzt eine Nadel in den Brustkorb stechen und so den Druck ablassen. „Es kostet Überwindung, wenn man es jedoch nicht macht, stirbt der Patient.“

Oberarzt Stephan Rauscher von der Interdisziplinären Notaufnahme (INA) im Katharinenhospital hat die Übung, die bereits zum zweiten Mal auf dem S-21-Gelände stattgefunden hat, organisiert. „Bei einem derart großen Projekt über so viele Jahre in unserer Stadt ist es mehr als wahrscheinlich, dass unsere Teams entweder bei Verletzungen oder bei normalen medizinischen Notfällen auf die Baustelle gerufen werden, was auch schon vorgekommen ist“, erklärt Rauscher. „Unsere Teams werden regelmäßig auf dem neuesten Stand ausgebildet und geschult, aber wir haben selten die Möglichkeit, an Ort und Stelle zu üben. Durch diese Übung haben wir Gelegenheit, uns mit dem Bauprojekt so gut wie möglich vertraut zu machen.“