Quelle: Unbekannt

Das Handwerk sucht händeringend Nachwuchs. So manche Lehrstelle bliebe ohne Flüchtlinge unbesetzt, so manche Ausbildungsklasse käme ohne sie gar nicht zustande.

StuttgartSo richtig zufrieden ist Yaya Ceesay noch nicht. Bei seinem ersten Werkstück, das eine Übung für den Bau eines Fensterrahmens sein soll, greifen die beiden Holzteile zwar akkurat ineinander, sitzen aber zu locker. An seinem zweiten Modell ist eine winzige Ecke aus dem Holz gebrochen: „Das darf nicht sein“, sagt er – und macht sich wieder ans Werk. „Yaya Ceesay ist sehr ehrgeizig“, sagt Bernd Petersen, sein Werkstättenleiter an der Gewerblichen Schule für Holztechnik in Feuerbach. Das kann Dieter Müller bestätigen, in dessen Fensterbau-Betrieb in Bad Cannstatt der 29-Jährige aus Gambia einen Ausbildungsplatz hat. Müller ist froh um Ceesay. Sein Gewerk hat große Nachwuchssorgen – wie das Handwerk überhaupt. Es gebe kaum mehr junge Menschen, die Glaser werden möchten, „alle wollen studieren oder zu Daimler“, sagt er. Von seinen sieben Angestellten haben deshalb sechs einen Migrationshintergrund, sind also Zuwanderer, oder wie Ceesay, Flüchtlinge.

Friedrich-Jasper Stahl, der stellvertretende Schulleiter der Gewerblichen Schule für Holztechnik, bestätigt, dass viele handwerkliche Betriebe Schwierigkeiten haben, Auszubildende zu finden – speziell die Glaser. Das bekommen auch die Schulen zu spüren: Vor drei Jahren gab es an der Gewerblichen Schule für Holztechnik Kleinstklassen bei den Glasern. Im Zuge der Regionalkonferenz des Regierungspräsidiums wurde dies auf einer Liste vermerkt, um zu sehen, wie sich die Klassenstärke entwickelt – und notfalls zu handeln, also etwa die Klasse zu streichen. Die einzige andere Schule für Glaser im Regierungsbezirk Stuttgart liegt in Aalen. Auch für das aktuelle Lehrjahr sah es schlecht aus: Bis zum Stichtag Anfang Juli 2017 gab es bei den Glasern nur acht Anmeldungen für das erste Ausbildungsjahr. Im Normalfall muss eine Klasse aus mindestens 16 Schülern bestehen. Erst nach und nach kamen weitere Anmeldungen hinzu: „Die Betriebe haben uns ihre Auszubildenden für das laufende Jahr erst sehr spät genannt“, sagt Stahl. Das lag daran, dass viele Betriebe, die zunächst keinen Auszubildenden gefunden hätten, „auf einen Flüchtling zurückgegriffen hätten“. Letztlich konnte die Glaser-Klasse mit 25 Schülern in das Lehrjahr starten – davon sind zwölf Geflüchtete. „Man kann durchaus sagen, dass es die Klasse ohne Flüchtlinge nicht gegeben hätte“, sagt Stahl. Die Gewerbliche Schule für Holztechnik besuchen 850 Schüler, sie kommen aus dem ganzen Bundesgebiet. 74 davon sind Flüchtlinge. „Wir haben mit den Geflüchteten sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Stahl, „die sind motiviert, die wollen.“ Auch Yaya Ceesay will: „Mein größtes Ziel ist es, die Ausbildung zu schaffen.“ Seine Chancen stehen nicht schlecht: „Bei der praktischen Arbeit ist er sehr gut“, sagt Werkstättenleiter Petersen. Auch Dieter ist sehr zufrieden mit seinem Azubi, der zunächst eine Einstiegsqualifizierung, also ein Langzeitpraktikum bei ihm machte. Er würde ihn wieder als Lehrling nehmen – obwohl es Müller viel Einsatz abverlangt, Ceesay vernünftig durch die Lehrjahre zu bringen.

Das größte Problem ist die Sprache. „Yaya Ceesay war sehr motiviert, aber er saß in der Schule und hat nichts verstanden“, sagt Müller. Da er das Anrecht auf einen Sprachkurs der Stadt hatte, machten sich Ceesay und Müller kundig – doch die Angebote der Stadt fanden nur tagsüber statt, wenn der Auszubildende in der Schule oder im Betrieb war. „Wir haben einen Abendkurs gefunden, der jedoch nicht von der Stadt angeboten wurde. Den zu zahlen hat die Stadt sich geweigert“, sagt Müller. Also übernahm er die Gebühr für seinen Azubi. Dreimal die Woche geht Ceesay nach der Schule in den Kurs – lange Tage, die von 8 bis 21 Uhr dauern.

Dennoch ist für den jungen Mann, der 2013 nach Deutschland kam, die fachbezogene Sprache schwierig. Dieses Problem geht die Schule an: Sie bietet Sprachförderkurse an. An der Gewerblichen Schule für Holztechnik ist Mehmet Kara für diese Kurse zuständig. Seine Aufgabe ist es, das Lehrmaterial in eine verständliche Sprache zu übersetzen, indem er es überarbeitet. Schulleiterin Birgit Scholze-Thole sagt: „Es ist wichtig, dass man sich auf diese Schüler einrichtet und nicht erwartet, dass sie mitkommen.“ Müller schätzt Ceesay sehr, nicht nur für seine Leistung. Er sei respektvoll, pünktlich und integriere sich gut in das Team. Durch seinen Bezug zu Ceesay hätten manche Themen eine neue Dimension bekommen: „Yaya Ceesay hat eine Frau in Gambia und wünscht sich, sie nachzuholen. Wenn man sieht, wie ihn die Trennung mitnimmt, kann man nicht mehr nach einem Schwarz-Weiß-Raster entscheiden.“ Es sei wichtig, verstärkt solche Bezüge zwischen Stuttgartern und Geflüchteten zu schaffen, „dann läuft die Integration besser“. Yaya Ceesay steht derweil an der Werkbank und feilt an einem Stück Holz, kraftvoll und achtsam zugleich.

Hintergrund

Geflüchtete in der Lehre

Region Stuttgart

Die Handwerkskammer erfasst nicht den Status der Auszubildenden, sondern die Nationalität. Insofern gibt es nur eine Statistik über Azubis, die aus den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden stammen. Es kann sein, dass der ein oder andere kein Geflüchteter ist.

Auszubildende

In der Region Stuttgart gibt es 213 Azubis (in allen drei Ausbildungsjahren) aus den Hauptherkunftsländern Afghanistan, Albanien, Eritrea, Gambia, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Syrien.

Nationalitäten

Die Gruppe der Afghanen (61) und Syrer (ebenfalls 61) stellt zahlenmäßig schon über die Hälfte dar. Die drittgrößte Gruppe sind die Gambier (32).

Stuttgart

Im Stadtkreis Stuttgart gibt es derzeit 60 Azubis, die aus den genannten Hauptherkunftsländern stammen.

Gewerke

Ein Blick auf die Gewerke ist interessant. Generell sind ganz verschiedene Berufe vertreten. Häufig sind: 30 Auszubildende zum Friseur, 18 Auszubildende zum Maler/Lackierer, 18 Auszubildende zum Elektroniker, 14 Auszubildende zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, zusätzlich gibt es im Nahrungsmittelhandwerk annähernd 30 Azubis, die entweder Bäcker, Konditor oder Metzger werden wollen. (anj)