4. Mai 1956, das neue Stuttgarter Rathaus am Marktplatz wird eingeweiht. Viele Stuttgarter verfolgten die Feierlichkeiten. Fotos: Stadtarchiv Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - 4. Mai 1956: Der Marktplatz trägt ein Festkleid, die Häuser sind mit Fahnen und Girlanden geschmückt. Dicht gedrängt warten die Bürger auf den Einzug der 850 Ehrengäste ins neu erbaute Stuttgarter Rathaus - der Vorgängerbau war in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1944 im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges erheblich beschädigt worden. Nach drei Jahren Bauzeit wird das Verwaltungsgebäude der Stadt mit großem Tamtam eingeweiht. Die ganze Stadt ist deshalb auf den Beinen.

Es könne sehr wohl sein, dass das neue Rathaus nicht jedem Bürger gefalle, räumte der damalige Oberbürgermeister Arnulf Klett in seiner Festrede ein. Denn mit der modernen Architektur konnten sich viele Stuttgarter nicht anfreunden. Das alte Rathaus im Stil der flämischen Spätgotik - von 1899 und 1905 nach Plänen von Heinrich Jassoy und Johannes Vollmer erbaut - war ein echtes Schmuckstück gewesen: Der reich verzierte Bau mit Fensterschmuck, Wasserspeiern, Giebelbildern und Türmchen besaß getäfelte Säle und Amtsstuben mit schweren eisernen Leuchtern. Doch nach dem Krieg wollte man nichts mehr von alten Zeiten wissen. Das Rathaus sollte auch nach außen hin den demokratischen Aufbruch symbolisieren. Man wolle, so formulierte es Klett, „einen mutigen Schritt nach vorwärts tun“.

Die Architekten Hans Paul Schmohl und Paul Stohrer haben am Marktplatz ein Bekenntnis zum neuen Bauen abgelegt und ein Wahrzeichen unbeirrten Aufbauwillens geschaffen. Obwohl Vergangenes bewusst nicht nachgeahmt wurde, hat man den markanten Rathausturm erhalten. Zwar nicht in der ursprünglichen Form, doch sinnvoll integriert. Obgleich das obere Drittel abgetragen wurde, ziert der heute 60 Meter hohe Turm samt Uhren und Glockenspiel weiterhin das Rathaus. Auch die beiden historischen Seitenflügel sind erhalten geblieben. Nur der Hauptbau am Marktplatz musste abgebrochen und neu gebaut werden. Aus dem Kupfer des abgetragenen Daches wurden Erinnerungsmedaillen geprägt. Nach Bauerweiterungen 1958 und 1962 in der Rathauspassage und entlang der Eberhardstraße stehen 220 Büros und drei Sitzungssäle im Rathaus zur Verfügung. Drei Paternoster verbinden die vier Stockwerke miteinander, zwei weitere Aufzüge sind vorhanden. Die Flurwände im ersten Obergeschoss zeigen Portraits Stuttgarter Ehrenbürger und Bilder früherer Stadtoberhäupter, Büsten von Arnulf Klett und Theodor Heuss stehen daneben. Die Fassade, die „schwäbische Solidität“ ausdrücken sollte, wurde zwei Jahrzehnte nach der Einweihung zum Sorgenkind: Die Korallenfelsplatten von der Schwäbischen Alb bröckelten - der Haupteingang am Marktplatz und etliche Räume im Obergeschoss waren nicht mehr zu benutzen. Ende der 1970er-Jahre wurden sie durch andere Natursteinplatten ersetzt. Ende der 1990-Jahre wurde man sich bewusst, dass eine Generalsanierung des Gebäudes unausweichlich ist. Heute präsentiert sich das Rathaus hell und freundlich, im Zuge der 2004 abgeschlossenen Sanierung wurde es für 26,8 Millionen Euro auf den neuesten technischen Stand gebracht. Geschützt wird das Rathaus von der „Stuttgardia“ des Bildhauers Heinz Fritz. Er hatte die Frauenfigur 1905 geschaffen, weshalb sie ein Modell des alten Rathauses in der linken Hand hält. Früher thronte sie über dem Hauptportal des Rathausturmes, 1968 wurde sie an der Fassade in der Hirschstraße wieder angebracht.

Heute gibt es um 19 Uhr im Stadtarchiv, Bellingweg 21, einen Vortrag zur Historie des Rathauses.