Evelyn Franke genießt die Abfahrt in die chinesische Turfan-Senke. Sie liegt 155 Meter unter dem Meeresspiegel und ist der dritttiefste Punkt der Welt. Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Wie reise ich von Thailand nach Deutschland? Mit dem Flugzeug würde die Antwort für den Ottonormalverbraucher selbstverständlich lauten. Die Stuttgarterin Evelyn Franke ist aber weit entfernt vom Durchschnittsbürger. Schon von Singapur nach Bangkok setzte sie zuvor nicht auf die üblichen Fortbewegungsmittel. Statt mit dem Auto, dem Bus oder dem Flieger bewältigte sie die 1800 Kilometer lange Strecke gemeinsam mit ihrem Freund Dirk Kiwus zu Fuß. Wie es sich für Ultraläufer, die regelmäßig Distanzen von bis zu 100 Kilometern absolvieren, gehört, natürlich im Renntempo.

Damit jedoch nicht genug: Statt am Suvarnabhumi Airport in Bangkok einzuchecken und wenig später die Beine im Flieger auszustrecken, schnappten sie sich Fahrräder und radelten in sieben Monaten nach Deutschland zurück. „Für uns war es eine große Herausforderung“, sagt die 33-Jährige. Von Thailand aus ging es zunächst über Laos, China, Kirgistan, Usbekistan und Kasachstan bis ans Kaspische Meer. Statt zu schwimmen und somit den XXL-Triathlon zu komplettieren, setzten die Beiden von dort aus jedoch mit dem Schiff über, um wenig später in Aserbaidschan wieder erholt und umso kräftiger in die Pedale treten zu können. Weiter ging es durch Georgien, die Türkei, Griechenland und Albanien bis zur Adria. Nach einer weiteren Fährfahrt ging es über Italien nach Hause.

Vom Schnee überrascht

Ab und an mussten sie auf ihrer Reise auch auf den Zug zurückgreifen - beispielsweise als das Paar durch China unterwegs war. „Wir haben dort nur ein zweimonatiges Visum bekommen, mussten aber mindestens 5000 Kilometer zurücklegen“, sagt Franke, die nicht auf dem schnellsten Weg durch das Kaiserreich fahren wollte, sondern noch etwas Sightseeing eingeplant hatte. „Um alle Orte besichtigen zu können, mussten wir eben ein Stück mit dem Zug fahren.“ Auch in den Alpen wichen sie auf die Schiene aus. Nicht, weil ihre Beine müde wurden und die Beiden es mit ihren Rädern nicht über die Bergpässe geschafft hätten. Die Natur machte ihnen schlichtweg einen Strich durch die Rechnung. „Es lag einfach zu viel Schnee.“

Zieht man die Fährverbindungen und Zugfahrten ab, bleiben noch immer 10 350 Kilometer im Sattel. Ausgezahlt habe sich, nicht auf einen Hightech-Boliden zu setzen, sondern auf ein normales Tourenrad. Kleinere Reparaturen habe man dadurch selbst durchführen können. „Eigentlich waren sie ausreichend.“ Nur in den Gebirgspassagen machten sich die Nachteile „der schlichten Dinger bemerkbar“. Und davon habe es einige gegeben, in Laos und der Türkei beispielsweise. „Steile Anstiege waren etwas schwierig, weil wir nur acht Gänge hatten. Aber irgendwann gewöhnt man sich dran“, so Franke, die in Hoffeld aufgewachsen ist, später in Hofen gewohnt und in Hohenheim studiert hat. Seit Anfang 2011 lebt sie in Berlin, der Kontakt in die Heimat ist dennoch nie abgebrochen. Der Gedanke, alles hinzuwerfen, sei ihnen auf der Strecke nie gekommen. „Ab und an haben wir die Route geändert, um beispielsweise schneller ans Meer zu kommen.“ Tiefpunkte wie Stürze habe es glücklicherweise nicht gegeben. „Schockierend waren die Umweltverschmutzung und Zerstörung der Natur, die vor allem am Aralsee offensichtlich wurde. Aber auch in Malaysia, das fast nur noch aus Palmölplantagen besteht.“ Auch die Vermüllung wunderschöner Landschaften sei ihnen negativ aufgefallen.

„Die Höhepunkte haben aber definitiv überwiegt“, sagt Evelyn Franke. „Unser letzter Tag in China war besonders spannend. Wir hatten wochenlang nur Wüsten mit Temperaturen jenseits der 50-Grad-Marke gesehen und mussten über einen 2000 Meter hohen Pass. Oben angekommen, wurden wir von Sturm und Regen überrascht. Die Temperaturen fielen auf 14 Grad.“ Eigentlich sei eine Übernachtung an einem schönen Gebirgssee eingeplant gewesen. „Aufgrund der Kälte beschlossen wir jedoch, weiter ins Tal abzufahren. Dazu mussten wir durch einen drei Kilometer langen Tunnel. Als wir auf der anderen Seite wieder raus kamen, hatten wir plötzlich ein Panorama mit viel Grün und Schafen vor uns. Das konnten wir dann bei der 40 Kilometer langen Abfahrt richtig genießen.“

Positiv überrascht hat Franke auch, dass in vielen asiatischen Ländern trotz der rasanten Entwicklung traditionelle Werte wie die Gastfreundschaft in der Gesellschaft verankert und die Menschen offen und hilfsbereit sind. „Brenzlige Situationen“ habe es auf der Reise nicht gegeben. Im Gegenteil: „Die Leute waren total nett. Oft wurden uns auf der Straße Getränke oder Obst geschenkt. Vor allem in Zentralasien wurden wir beim Einkaufen oder bei der Hotelsuche regelmäßig zum Essen oder Übernachten eingeladen.“

Familie und Freunde vermisst

Wirklich gefehlt habe es der 33-Jährigen auf ihrer Reise an nichts. In erster Linie habe sie ihre Freunde und ihre Familie vermisst. „Und ab und an das Laufen. Wir haben uns relativ schnell an das Radfahren gewöhnt, aber trotzdem gemerkt, dass das Laufen unsere Leidenschaft bleiben wird“, sagt Franke, die seit 2014 regelmäßig bei sogenannten „Ultras“ an den Start geht. Beim Fahrrad sei der Vorteil, dass man viel größere Strecken bewältigen könne. „Manche Abschnitte wären zu Fuß unmöglich gewesen.“

Um größere Distanzen überwinden zu können und dennoch auf das Laufen nicht verzichten zu müssen, wollen die beiden auf ihrer nächsten Reise das Fahrrad und die Laufschuhe kombinieren, sprich einer der beiden fährt mit dem Rad samt Gepäck, der andere rennt nebenher. „Nach einer Weile wird gewechselt. So können wir laufen und kommen trotzdem etwas weiter als 50 Kilometer.“ Eine mögliche Strecke dafür haben sie auch schon ausgemacht: Im Sommer 2019 soll es von Stockholm nach Casablanca gehen. „Zuvor müssen wir aber noch ein bisschen Geld verdienen.“ Sie habe das Glück, nach der Auszeit wieder als Finanzreferentin bei Brot für die Welt einsteigen zu können.