(adi) - George Orwells legendärer Roman „1984“ galt lange Zeit als Inbegriff einer beklemmenden Zukunftsperspektive. Mit Schaudern lasen viele seine Vision eines totalitären Staates, der erst auf leisen Sohlen dahergekommen ist, um seine Bürger schließlich bis in den letzten Winkel zu verfolgen und zu überwachen. Manches, was lange Zeit undenkbar schien, ist uns heute gar nicht mehr so fern. Höchste Zeit also, die Sache weiterzudenken und daran zu erinnern, dass wir die Gestaltung unserer Zukunft nicht nur anderen überlassen dürfen, weil wir sonst irgendwann in einer Gegenwart leben könnten, in der wir uns so unwohl fühlen wie Orwells Protagonist Winston Smith in seiner unschönen neuen Welt. Der algerische Autor Boualem Sansal entwirft in seinem Roman „2084 - Das Ende der Welt“ (Merlin-Verlag, 24 Euro) das Bild einer zukünftigen Gesellschaft, die nur noch einen Gott verehrt und in der das Leugnen der Vergangenheit Prinzip geworden ist.

Abistan heißt jenes fiktive Reich in einer gar nicht allzu fernen Zukunft, in dem individuelles Denken verpönt ist - was die Menschen meinen und glauben sollen, bestimmt Abi der Entsandte. Er hat festgelegt, dass alle einvernehmlich und in gutem Glauben leben sollen - wie’s wirklich in Abistan aussieht, geht keinen etwas an. Doch irgendwann hat Ati, der im Mittelpunkt von Boualem Sansals Roman steht, genug von all den Lügen. Genau wie Orwells Protagonist will er den Dingen auf den Grund gehen und die Wahrheit hinter dem schönen Schein ergründen. So macht er sich auf die Suche nach einem Volk von Abtrünnigen, das in einem Ghetto lebt und das anders als die anderen bewusst nicht versucht, in der Religion Halt zu finden. Boualem Sansals neues Buch erinnert uns in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche an die Bedeutung von Brüderlichkeit, Toleranz und gelebter Freiheitlichkeit. Die LesART präsentiert diesen außergewöhnlichen Autor, der in einem Atemzug mit Michel Houellebecq genannt wird, ausnahmsweise schon vor der offiziellen Literaturtage-Eröffnung.

Fotonachweis

Für die Titelillustration wurden Fotos von Roberto Bulgrin, Robin Rudel, Nik Schoelzel und Paul Englert sowie Arne Dedert, Rolf Haid, Swen Pförtner und Jochen Lübke (dpa) verwendet.