Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Ein ums andere Mal versetzen sie ihr Publikum in ungläubiges Staunen, weil sie Fähigkeiten besitzen, die dem Rest der Welt nicht gegeben sind. Manches könnte man mit Fingerfertigkeit erklären, anderes mit technischen Finessen. Doch bei wahren Zauberern schwingt etwas Magisches mit. Denn sie öffnen die Tür zu einer unbekannten Dimension. „Für mich sind Zauberer ein Symbol für Menschen, die geistig sehr beweglich sind und die viel Freiheit brauchen, um diese Beweglichkeit auszuleben“, sagt der Autor Sten Nadolny. Und er weiß, dass es solche Menschen in einer Welt, in der jeder möglichst perfekt zu funktionieren hat, nicht leicht haben. Nadolny ist jedoch überzeugt, dass wir solche Zauberer mehr denn je brauchen: Menschen mit einem weiteren Horizont, die bereit sind, das angeblich Undenkbare zu denken und damit neue Wege zu weisen. Deshalb lässt sich sein jüngstes Buch „Das Glück des Zauberers“ (Piper Verlag, 22 Euro), das er bei den Esslinger Literaturtagen vorstellte, als Appell verstehen, den Blick für die zauberhaften, die überraschenden, die verblüffenden und die scheinbar unerhörten Momente des Lebens nicht zu verlieren.

Wenn von Zauberkunst und Literatur die Rede ist, denken manche erst mal an Harry Potter. „Ich hab’s mit ihm versucht, aber er hat sich mir nicht erschlossen“, sagt Sten Nadolny. Das ist kein Beinbruch, denn mit Joanne K. Rowlings Zauberlehrling hat Nadolnys Protagonist nur wenig gemeinsam. Pahroc heißt er, und er ist einer der ganz Großen seines Fachs. Er beherrscht die Kunst, durch Wände zu gehen, durch die Lüfte zu spazieren, in Sekundenschnelle zu Stahl zu erstarren und „einen langen Arm zu machen“. Und dennoch hat Pahroc sein Geheimnis stets für sich behalten. Jetzt ist er 106 Jahre alt und blickt auf ein Leben voller Magie zurück: In zwölf Briefen, die seine Enkelin Mathilde erst viele Jahre später erhalten soll, bringt Pahroc sein Vermächtnis zu Papier und gibt seiner Enkelin, deren magische Begabung er sofort erkannt hat, Ratschläge, wie man sich als Zauberer in einer gar nicht so zauberhaften Welt behauptet. Sein wichtigster Rat: „Halte Deine Zauberkräfte geheim, genauer gesagt, halte immer geheim, dass Du es warst, die hier oder dort gezaubert hat. Mache da keine Ausnahmen, erzähle keinem noch so befreundeten Menschen davon, außer Du bist sicher, dass er Zauberer ist. Lass Dich nicht erwischen.“

Pahroc ist dieses Kunststück ein Leben lang gelungen. Er hat als Radiotechniker, Küster, Erfinder und Psychotherapeut gearbeitet und sich so das nötige Geld verdient, um eine Familie zu ernähren. Und er hat bei seinem Nachbarn Schlosseck, der die Kunst der Zauberei brillant beherrschte, alles gelernt, was man braucht, um sich in einer aus den Fugen geratenen Welt als Freigeist zu behaupten. Das war auch bitter nötig, denn ein Jahrhundert, in dem Pahroc Kaiserzeit, Weimarer Republik, „die Armhochreißer und ihr Idol, den Mann mit dem rechteckigen Nasenbart“, aber auch Befreiung, Nachkriegszeit und digitales Zeitalter erlebt hat, verlangte einem Menschen wie ihm alles ab. Und auch wenn ihm die Fähigkeit, schöner, gewinnender und einfach anders als die anderen zu sein, manches erleichtert hat, war es kein einfaches Leben, weil Zauberer die Herrschenden verunsichern und deshalb dazu bringen, ihnen das Leben schwer zu machen.

„Ich glaube nicht, dass es in unserer heutigen Welt an Zauberern fehlt“, ließ Sten Nadolny im Gespräch mit Susanne Kaufmann wissen. Viel eher gehe es darum, ihnen das nötige Gehör zu schenken, auch wenn das manches etwas komplizierter machen mag. Doch am Ende sind es eben doch die Kreativen, die Querdenker und die Freiheitsliebenden, die die Welt voranbringen. Ihnen kommt nicht zuletzt die Aufgabe zu, uns immer wieder daran zu erinnern, dass wir „mehr Verantwortung im Umgang mit der kleinen Schwester der Zauberei, der Technik, übernehmen“.

Lebensklug und knitz

Sten Nadolny ist ein kluger Mann. Und er hat mit dem Kunstgriff, seine erhellenden Gedanken über eine Welt im rasanten Wandel in die Briefe eines liebenden Großvaters an seine Enkelin zu verpacken, eine wunderbare Form gefunden, einem Jahrhundert den Spiegel vorzuhalten, ohne belehrend zu klingen. Lebensklug - das ist das Attribut, das dieser außergewöhnliche Autor verdient hat. So hat er das LesART-Publikum im Handumdrehen erobert. Freundlich, differenziert, aufmerksam, nachdenklich und blitzgescheit blickte er zurück auf eine turbulente Zeit. Aus Pahrocs Erfahrungen schöpft er Erkenntnisse für unsere heutige Welt, die sich noch schneller zu drehen scheint als das vergangene Jahrhundert. Bei alledem bleibt Nadolny verbindlich, knitz und selbstironisch - selbst dann, als ihm die Moderatorin altklug eine grammatikalische Unsauberkeit vorhält. Doch über solche Kleinlichkeiten ist er erhaben. Denn er kennt die Natur des Menschen. Er weiß, was er ist und kann. Und er spürt, dass ihn sein Publikum dafür liebt. Und vielleicht steckt ein bisschen von jenem Zauberer, von dessen Glück Nadolny in seinem Buch erzählt, ja auch in ihm selbst. Schließlich hat es dieser wunderbare Autor oft genug erlebt, dass auch dem geschriebenen Wort ein besonderer Zauber innewohnt.