Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Es gibt nicht viele Journalisten, die eine so profunde Kenntnis der arabischen Welt besitzen wie er: Michael Lüders ist Islamwissenschaftler, er hat sich als Journalist und Buchautor einen Namen gemacht, sein Rat wird von Politik und Wirtschaft geschätzt. Lüders hat neben Film- und Fernsehbeiträgen zum Nahen und Mittleren Osten auch einige Sachbücher veröffentlicht. Doch manche Wahrheiten sind so brisant, dass sie sich leichter in fiktionale Texte verpacken lassen. Deshalb hat er den Kriminalroman „Never Say Anything“ geschrieben, den er nun bei den Esslinger Literaturtagen vorstellte. Die Geschichte hat etwas Beklemmendes - gerade weil man darin vieles findet, das einen nur allzu realen Hintergrund besitzt. Am Ende bleibt Lüders’ Botschaft: „Glauben Sie nicht alles, was von offizieller Seite erzählt wird. Die Welt lässt sich nicht so eindeutig in Schwarz und Weiß einteilen, wie man uns gerne weismachen möchte.“ Doch wie man die wirklich gesicherten Wahrheiten von den vermeintlichen unterscheidet, konnte der Autor im Gespräch mit Christian Dörmann, dem Vize-Chefredakteur des LesART-Mitveranstalters EZ, auch nicht so genau erklären.

Bereits der Titel von Michael Lüders’ Buch (Verlag C. H. Beck, 14.95 Euro) macht neugierig: „Never Say Anything“ - die Initialen erinnern an den US-Geheimdienst NSA. Im Mittelpunkt steht die Journalistin Sophie Schelling, die nach Marokko fliegt, um die sagenhafte Himmelstreppe im kleinen Dorf Gourrama zu besuchen. Seit Tagen schwirren Beobachtungs-Drohnen über die Köpfe der Menschen, und keiner weiß, was da gespielt wird - bis amerikanische Kampfhubschrauber auftauchen und das Dorf in Schutt und Asche legen. Sophie überlebt schwer verletzt. Als sie wieder zu Kräften kommt, ist ihre Überraschung umso größer: Nicht die wahren Urheber werden öffentlich für den Feuerüberfall verantwortlich gemacht, sondern islamistische Terroristen. Und Sophie steht vor der Entscheidung, ob sie die Wahrheit ans Licht und sich selbst in Gefahr bringen soll - oder ob sie lieber mit den Wölfen heult und das Märchen von einem IS-Terroranschlag weiterverbreiten soll.

Wenn sich ein Journalist, der eigentlich harten Fakten verpflichtet ist, der Fiktion zuwendet, drängt sich die Frage auf, wo die Realität endet und die Fantasie des Autors beginnt. „Vieles, was ich schildere, hat es in der Realität gegeben - allerdings in anderem Kontext“, verriet Michael Lüders. „Es gab Drohnenangriffe, bei denen Dörfer plattgemacht wurden, es gab einen Enthüllungsjournalisten, wie ich ihn beschreibe, der unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist, und es gibt Journalisten wie Sophie, die vor der Entscheidung stehen, wie weit sie um der Wahrheit Willen gehen.“

Michael Lüders weiß, dass die Mächtigen überall in der Welt großen Aufwand betreiben, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und er sieht „eine große Kluft zwischen dem, was tatsächlich passiert, und dem, was wir erfahren.“ Die langen Jahre als politischer Journalist haben Lüders skeptisch gemacht gegenüber offiziellen Verlautbarungen - egal, von wem sie kommen. Und er sieht seine Branche kritisch: „Wer versucht, in deutschen Medien verlässliche Informationen über Russland zu bekommen, hat einiges zu tun. Man ist sich einig, dass Putin der Böse ist.“ Die Interventionspolitik der USA, die Situation in Syrien, der Umgang mit Islamisten und dem Islam oder die Rolle der Nato in Osteuropa - es gibt vieles, was Lüders in ein anderes Licht rücken würde. Allerdings weiß er auch: „Das ist gar nicht so einfach, denn man muss sehr genau recherchieren, wenn man die Wahrheit ans Licht bringen möchte. Dazu hat man in vielen Redaktionen gar nicht mehr die Zeit.“

Wer kollektive Presseschelte betreibt, findet heutzutage leicht Beifall - auch von Seiten, mit denen er gar nicht so viel im Sinn hat. Entsprechend neugierig waren Christian Dörmann und viele im Publikum, wo sich ein kritischer Journalist verlässliche Informationen beschaffen kann. Lüders verwies aufs Internet: „Da können Sie alles finden.“ Dörmanns mehrmalige Nachfrage, wie man gute von weniger guten Informationen, die gleichberechtigt durchs Netz schwirren, unterscheidet, blieb weithin unbeantwortet: „Sie sollten vorsichtig sein mit offiziellen Informationen - egal, von wem sie kommen. Ansonsten sollten wir wieder lernen, die richtigen Fragen zu stellen.“ Das klingt nicht schlecht. Doch wenn man’s recht bedenkt, fehlt es Journalisten häufig nicht an den richtigen Fragen, sondern eher an ehrlichen Antworten. Und Zivilcourage brauchen nicht nur Journalisten, sondern auch diejenigen, die die Wahrheit kennen und sie oft genug für sich behalten, wenn kritische Journalisten nachfragen.