Von Petra Bail

Stuttgart - Das erste Treffen einfallsreicher musikalischer Grenzgänger in Stuttgart fand vor 15 Jahren statt. Damals lief das Chansonfest, von Renitenz Theater und Merlin gemeinsam aus der Taufe gehoben, noch unter dem Titel „schöner lügen“. Inzwischen wurde dem Chanson ein „g“ hinzugefügt, um wortspielerisch die breite Vielfalt zu verdeutlichen, die unter dem Deckmäntelchen „Chanson“ munter gedeiht.

Tatsächlich verschwimmen die Grenzen zwischen Chanson und Song, Lied und Schlager, Singer-Songwriter, Pop und Musik-Kabarett auf spielerische Weise. Das macht das Programm des 16. Stuttgarter Chansongfests deutlich. Bis zum 21. Oktober stehen acht Interpreten und Gruppen auf der Bühne im Stuttgarter Renitenz Theater, das dieses besondere Festival seit langem in Eigenregie organisiert.

Virtuose Wortjongleure und junge Liederneuerer haben das deutsche Chanson mit zeitgenössischen und originellen musikalischen Mitteln zum „Chansong“ weiterentwickelt. Die Bandbreite reicht von a cappella über deutschen Pop, rhythmischen Rock mit musikalischen Gags bis hin zum klassischen Chanson und zur Musik-Comedy.

Bei allen kreativen Mischformen hat Sebastian Weingarten, Intendant des Renitenz Theaters, die hohe Qualität der Liedkunst fest im Fokus. Wichtig sind die Texte, die Kompositionen und natürlich die Präsentation. Die Chansonszene bewegt sich laut Weingarten nach wie vor in einer Nische. Er möchte dem Genre durch die konzentrierte Darbietung ein Forum bieten. Für 2019 feilen er und seine Mitarbeiter bereits an einem neuen Konzept. Der Festivalcharakter soll noch mehr betont werden, so der Intendant.

Schon jetzt stimmt die Optik, der Gesang auch. Die Dresdner A-Cappella-Band Medlz erinnert musikalisch an Die Prinzen. Die vier Sängerinnen eröffneten das Chansongfest und unternahmen mit ihrem Programm „Von Mozart bis Mercury“ einen Parforceritt durch 200 Jahre Musikgeschichte. Von Dresden nach Tuttlingen. Dort wurde Cynthia Nickschas vor 30 Jahren geboren. Inzwischen ist sie gemeinsam mit ihrer Band gefragter Gast auf Festivals, vor allem weil sie durch gesellschaftskritische Texte die eigene Generation aufs Korn nimmt. Das alles mit „rauchiger Röhre“ und einem Stilmix aus Blues und Folk, wie am Samstag zu hören war. Weingarten hatte die Liedermacherin bei einer Tour mit Konstantin Wecker entdeckt. „Leisen Lärm“ konnte man gestern vernehmen - mit Tonträger und Rock’n‘Roll mit witzig-ironischen deutschen Texten.

Isabel Dörfler ist Sängerin und Schauspielern. Sie kommt aus dem Musicalbereich. So war sie in Möhringen bereits in „Rebecca“ und „Chicago“ zu sehen. Morgen reicht die Spannbreite der von ihr präsentierten Evergreens und großer Chansons von Berlin bis Hollywood.

Moi et les Autres gilt als beste Swing-Chanson-Band Deutschlands. Kleine poetische Geschichten werden von einem Crossover-Sound aus klassischem französischem Chanson, Jazz, Tango, und Dixie transportiert (18. Oktober). Maria Bill war Rockstar und ist eine gefragte Brell-Interpretin. Am 19. Oktober präsentiert sie eigene Lieder: rockig, gefühlvoll und balladesk. „Die letzte lebende Diseuse“ - das ist Désirée Nick. Am 20. Oktober wird sie sich dann durch ihr jüngstes Programm gurren, krächzen, flöten, fiepen und kreischen - eben alles, was die Kehle außer Singen hergibt.

Das schwäbisch-berlinische Mädels-Duo Suchtpotenzial beschließt das Chansongfest am 21. Oktober. „Eskalation“ heißt das kesse Musik-Comedy-Programm, in dem die beiden Künstlerinnen den Freiraum zwischen Rap und Jazz ausloten.

Das Festival im Renitenz Theater dauert bis zum 21. Oktober. Karten und Informationen unter Tel. 0711-297075 sowie unter www.renitenztheater.de.