Linie des Konformismus: Szene aus „Die Nashörner“ an der WLB. Foto: Patrick Pfeiffer - Patrick Pfeiffer

Vor der Premiere: Markus Bartl inszeniert Eugène Ionescos „Die Nashörner“ an der Esslinger Landesbühne.

EsslingenWas ist das? Immer mehr Menschen verwandeln sich in wutschnaubende Panzertiere, bilden Horden, die besinnungs- und rücksichtslos alles niedertrampeln, was sich ihnen entgegenstellt. Na klar: eine Parabel auf den Konformismus, den menschliche Herdentrieb, seine gesellschaftlichen und politischen Verheerungen. So wurde Eugène Ionescos 1959 uraufgeführtes Theaterstück „Die Nashörner“ denn auch verstanden: universell anwendbar auf die epochalen Katastrophen vom Nationalsozialismus bis zum Stalinismus wie auf alle kleineren Wallungen kollektiver und uniformer Erregung seit der Entstehung der modernen Massengesellschaft. Und heute? Von schreiender Aktualität im Zeitalter der Wutbürger und des Populismus, der internetionalen Echoräume, wo die Leute nur erfahren, was sie eh zu wissen glauben, und der daraus folgenden Unfähigkeit zur Verständigung.

Doch ganz so einfach will es sich der Regisseur Markus Bartl nicht machen, dessen „Nashörner“-Inszenierung an diesem Samstag an der Esslinger Landesbühne (WLB) Premiere hat. So scharf Ionescos Stück als Zeitdiagnose – wieder einmal – ins Pechschwarze trifft: „Eine meinungsstarke, aber rein plakative Inszenierung“, sagt Bartl“, „interessiert mich nicht.“ Sondern die philosophische Dimension, in welche das Stück sein Thema der sozialen Verrohung, der „Sehnsucht nach Entmenschlichung“ rückt. Dass einem heute Sätze aus den Dialogen „brandheiß“ durch die Gehörgänge glühen, liege daran, dass sie wie herausgeschnitten wirken aus den banalisierenden Sprachmustern gegenwärtiger Debatten und ihrer Denkschablonen. Diese Aktualität, die dem Stück quasi von selbst zufliegt, beziehe Ionesco, der Klassiker des absurden Theaters, jedoch auf die Kernfrage nach dem Sinn und seinem Verlust: „Was geschieht mit einem Menschen, der bemerken muss, dass er mit seinen Mitmenschen nicht mehr sinnvoll kommunizieren kann?“, formuliert Bartl. Solches widerfährt der einzigen verwandlungsresistenten Figur des Stücks, und die ist wahrlich kein Held des Widerstands: Behringer, eine in mehreren Texten Ionescos auftauchende Gestalt, vielleich ein Alter Ego des Autors, erscheint zunächst gleichgültig, gelangweilt, alkoholgefährdet, interessiert allenfalls an der schönen Daisy. Aber unter dem Eindruck der Ereignisse macht er dann eine ganz andere Verwandlung durch: zum einzigen Menschen, der die Frage nach der Verantwortung stellt, von der alle anderen nichts mehr wissen wollen, erst recht nicht seine Daisy. So könnte man das Stück auch als persönliche Tragödie Behringers lesen, weiß Bartl: „Am Ende stellt er sein Existenzrecht infrage, sagt, er wäre gern wie die Nashörner.“ Aber er bleibt: der letzte Mensch, zurückgeworfen auf sein bloßes Dasein – und eben jenes Gefühl der Verantwortung. Der Ionesco und sein absurdes Drama freilich keine Handlungsanweisung vorexerzieren, keine Ideologie fabrizieren.

Für Bartl und seinen Bühnen- und Kostümbildner Philipp Kiefer ist daher klar, dass das Stück nur in einem abstrakten Raum spielen kann – ohne die „naturalistischen“ Angebote, die der Text sehr wohl enthält, im Sinne einer Bebilderung aufzugreifen. Folglich gibt es für die Verwandelten auch keine Nashörner, Masken oder Symbole. Sie bleiben, sagt der Regisseur, „zum Verwechseln ähnlich“.

Die Premiere beginnt an diesem Samstag um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen folgen am 26. September, 16. und 26. Oktober.