Cornelius Meister, Chefdirigent des Stuttgarter Staatsorchesters. Foto: Marco Borggreve - Marco Borggreve

Glänzend die Bläser, wunderbar die Streicher: In zwei Konzerten mit dem Stuttgarter Staatsorchester hat Generalmusikdirektor Cornelius Meister alle vier Sinfonien Schumanns mit den „Quartets“ von John Cage kombiniert – und der Opernintendant saß stumm am ersten Geigenpult.

StuttgartAm ersten Geigenpult sitzt ein Mann mit Tuba. Neben ihm ein Lockenkopf mit Bratsche. Nein, das ist doch nicht etwa . . . - doch, ja, er ist’s: Als das Staatsorchester am Sonntagmorgen drei der acht instrumentalen „Quartets for 93 Players“ spielt, die John Cage 1976 über romantische Chorsätze komponierte, hat sich der Stuttgarter Opernintendant Viktor Schoner zu den Musikern gesellt. Einen Ton zum musikalischen Geschehen steuert der studierte Viola-Spieler allerdings nicht bei. Er schweigt, zusammen mit wechselnden 89 Musikern, darunter Profis sowie einige Laien, die man dazu geladen hat.

Immer nur je vier Instrumente spielen gleichzeitig einen Ton, die Klänge wandern über die Bühne – für das Publikum eine anspruchsvolle Reise für Augen und Ohren. Dabei gelangen Cages „Quartets“ über den Umweg der Reduktion zu einer subversiven Hommage an den romantischen Orchesterapparat, an den Luxus eines sinfonischen Fünfzylinders. Was dieser zu leisten imstande ist, hört man zuvor und danach – bei einer anderen Form des Quartetts. Um alle vier Sinfonien Robert Schumanns als Zyklus spielen zu können, hat der Generalmusikdirektor Cornelius Meister das Sonntags- und das Montagskonzert des Staatsorchesters miteinander verbunden, und am Sonntag beweist er bei Schumanns vielleicht schönster, interessantester und schwierigster Sinfonie, der zweiten, was ihn an diesem Komponisten fasziniert. In keiner anderen Schumann-Sinfonie – Nummer drei, die „Rheinische“ gibt’s nach der Pause – spürt man so stark die Reibung von Form und Inhalt, von Tradition und Aufbruch, in keiner anderen zeitigt diese ein so heterogenes, widersprüchliches musikalisches Ergebnis.

Mit Liebe und größter Sorgfalt

Meister nimmt sich, auswendig dirigierend, des Stücks in Liebe an. Und mit größter Sorgfalt. Das Staatsorchester hat er mit aller Akribie einstudiert. Die Bläser: glänzend, makellos. Für das größte Wunder sorgen aber die Streicher, die so präzise und homogen phrasieren und Akzente setzen, wie man es hier schon lange nicht mehr erlebt hat. Bereits in der langsamen Einleitung entspinnt sich der erste Satz in fein bewegtem Fließen. Das Scherzo hat hat nichts Derbes, es tänzelt filigran, hat fast etwas von Mendelssohn’scher Elfenhaftigkeit, und der Wechsel der Formteile ist ein weicher Übergang, kein Kontrast. Im Adagio gelingt Meister das Kunststück, dem Singen weiten Atem-Raum zu lassen, diesen aber dennoch klar zu strukturieren – vor allem von der tiefen Lage aus, wie beim Generalbass des Barock, denn dieser Satz ist ja so etwas wie der romantische Traum von einer Arie aus alten Zeiten.

Selten waren die Zuhörer im Beethovensaal zuletzt so still, so konzentriert wie jetzt. Und so verzaubert, dass mancher am Sonntag bei Cage den lockigen Mann am ersten Pult womöglich wirklich für einen stummen Bratscher hielt. Unglaublich.