Macho-Posen, dass man die MeToo-Polizei rufen möchte: Tony Manero (Roy Goldman, Mitte) und seine Gang. Foto: Jürgen Weller - Jürgen Weller

Disco-Musical ohne Disco: Auf der Treppe in Schwäbisch Hall hatte „Saturday Night Fever“ Freilicht-Premiere.

Schwäbisch HallKeine Schlaghosen, keine Plateauschuhe, keine Lichtorgeln, kein weißer Anzug. Welchen Sinn macht ein Disco-Musical ohne Disco? Bei den Schwäbisch Haller Freilichtspielen wird in diesem Jahr „Saturday Night Fever“ gezeigt, 40 Jahre nach dem Film, der John Travolta zum Star machte und die Disco als ein Lebensgefühl verewigte – jene schicke, in Kunstfaser und Lipgloss gestylte Glitzerära zwischen den Blumenkindern und dem Punk.

Von „Night Fever“ bis „How Deep is Your Love“ beherrschte die Filmmusik der Bee Gees damals die Hitparaden, ihr Falsett-Gesang über Disco-Beats und Synthesizer prägte die Popmusik. Dank einer luxuriös besetzen Band fetzen und schweben all die bekannten Songs sehr anregend über die Schwäbisch Haller Treppe, rein optisch aber fällt der nostalgische Rückblick in die 70er-Jahre komplett aus. Regisseur Christopher Tölle löst das Stück aus seiner Zeit und zeigt die 70er als eine von vielen verlorenen Generationen, was sich mit Songzeilen wie „Life going nowhere“ und Dialogen wie „Ich scheiß auf die Zukunft“ zunächst ganz gut anlässt. Nur fällt leider sehr bald auf, wie schrecklich banal das Buch dieses Musicals ist, das 1998 in London Premiere hatte und später für immerhin drei Jahre im Kölner Musical Dome lief.

Höchstens ein Lebensgefühl

Rein optisch wirkt die Inszenierung mit viel Tanz, mit ein paar Metallstangen und der Alltagskleidung aus Jeans und T-Shirt wie eine Probe zur „West Side Story“, dramaturgisch sind wir davon Lichtjahre entfernt. Denn die Geschichte von Tony Manero, der im Farbengeschäft arbeitet, Probleme mit den bigotten Eltern hat und sich samstags in der Disco austobt, hat keine Katharsis wie der alte Musicalklassiker von Leonard Bernstein, sondern schildert höchstens ein Lebensgefühl. Ein Tanzwettbewerb soll Tony zu Geld und Aufstieg verhelfen, er verliebt sich in seine Tanzpartnerin Stephanie, die sich für etwas Besseres hält. Schon klar, wichtiger als die Dialoge sind hier die Tanzszenen, weshalb die Stückwahl für die steile Schwäbisch Haller Treppe mit ihren schmalen Stufen erst recht gewagt erscheint. Überall sind nun größere Podeste verteilt, auf denen in kurzen Nummern getanzt wird; nur verliert sich die Choreografie, ebenfalls von Regisseur Tölle, in einer vagen, manchmal ungeschickten Effekthascherei ohne spezifische Disco-Zutaten. Das junge Ensemble tanzt vehement und virtuos, Michael Heller sticht als Tonys verzweifelter Freund Bobby C heraus, dessen Probleme einfach niemand anhören will.

Wo damals Fönfrisuren und Goldkettchen aktuell waren, da putzen sich Tony und seine Freunde hier kein bisschen raus für die Disco, sondern gehen in Jeans und kurzen Hosen; einzig Stephanie (Maja Sikora) sieht eleganter aus. Wäre Tony mit einem charismatischen Darsteller besetzt, könnte man die szenische Sparsamkeit durchaus verschmerzen, aber Roy Goldman kennt nur eine Lautstärke und einen Tonfall, weder entwickelt er die Figur noch kann er sie irgendwie sympathisch machen. Im Gegenteil: Tony bezeichnet Frauen so penetrant als Schlampen, dass man die MeToo-Polizei rufen möchte. Warum dieses Stück? Und warum an diesem Schauplatz?, fragt man sich während der 100 Minuten mehrfach – die Treppe (auf der wahrlich schon oft und sehr gut getanzt wurde) erweist sich in diesem Fall tatsächlich als hinderlich. Die voluminösen Glitzerkugeln, die sich auf Stangen und im Portal der Kirche drehen, können das Discofieber auch nicht retten.

Genießen kann man den Abend mit etwas Abstand als Bee-Gees-Revue unterm Sternenhimmel. Wer lieber ein gutes Freilicht-Musical sehen möchte, findet um Stuttgart herum eine reiche Auswahl. Bei den Ettlinger Schlossfestspielen etwa läuft, mit weit besserer Choreografie, die jazzige Gerichts-Satire „Chicago“, selbst das Amateurtheater Unter den Kuppeln in Stetten auf den Fildern packt mit dem Dolly-Parton-Musical „9 to 5“ bessere Dialoge und raffinierte Frauenpower aus.

Weitere Vorstellungen: 4. bis 8., 11. bis 15., 18. bis 22. Juli.

www.freilichtspiele-hall.de