Feuerzauber wie im Stahl-Hochofen: Frontmann Winston McCall und seine Band mögen’s heiß. Foto: Martina Wörz - Martina Wörz

Metalcore goes Mainstream: Die australische Band reißt Genre-Grenzen nieder und weist den Weg in die Zukunft der heftigen Rockmusik, die brachial und zugleich melodisch ist.

StuttgartAustralien hat musikalisch mehr zu bieten als AC/DC und Hardrock-Bands, die deren Tradition fortführen. Parkway Drive beispielsweise, 2003 gegründet und downunder mittlerweile ebenfalls eine Institution. Wie AC/DC an der Rockfront ist das Quintett ein frontkämpfendes Schild im Metal- und Hardcore-Genre. Manche halten sie für die beste moderne Metal-Band. Nach ihrem fulminanten Konzert in der Stuttgarter Schleyerhalle muss man konstatieren: eine der besten in jedem Falle. Parkway Drive ist eine Band, die ihre Wurzeln und ihre Leidenschaft für schwere Rockmusik mit schrillen Gitarren, hämmernden Drums und großartigen Vocals nicht verleugnet, gleichzeitig aber so viel melodisches Gefühl mitbringt, um auch weniger harte Rockfans für sich zu gewinnen.

Allein der Konzerteinzug ist ein Statement. Während 5000 Fans in der abgehängten Arena gebannt auf die in teuflisches Rotlicht getauchte Bühne starren, bahnen sich vier vermummte Fackelträger von hinten ihren Weg durch die Menge und eskortieren die Band zu ihren Plätzen. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag signalisiert sodann, dass das Inferno gleich losbrechen wird. Der knüppelharte Opener „Wishing Wells“ geht in kakophonischer visueller Aufregung aus gleißend weißem Licht und Stroboskop-Gewitter sowie Explosionen und Smog unter.

Tosendes Chaos

Der Song, der von Trauerbewältigung handelt, stammt vom aktuellen Album „Reverence“. Das mittlerweile siebte, stilistisch vielseitigere Werk ist in einer Zeit entstanden, in der einige Freunde und Verwandte der Bandmitglieder starben. „Reverence“ ist deshalb nicht nur melodisch und innovativ, sondern zugleich düster und böse. Auch live mixen Parkway Drive brachiale Klänge mit Klassik-Elementen, einem Schuss Klargesang und sogar etwas Rap. Wie bei der furchterregenden Hymne „Prey“, die sie bereits als zweiten Titel spielen. Von Strophe zu Strophe wird das Publikum rasender, suchen immer mehr Crowdsurfer die Flucht nach vorne, verwandelt sich der Innenraum in einen Moshpit. Die australischen Krachmacher wissen, wie man die Fans abholt und in einen tosenden Kreis des glückseligen Chaos treibt. Dieses fiebrige Niveau samt Singalongs wird indes nur noch einmal erreicht, als das Quintett das bombastische „Vice Grip“ vom „Reverence“-Vorgänger „Ire“ inszeniert. „Keep the flame alive“ röhren sie – und die Arena brennt.

Feuer ist ohnehin das Leitmotiv der Show: Immer wieder fackeln Sänger Winston McCall und seine vier Mitstreiter die unterschiedlichsten Pyroelemente ab: ein phänomenal synchronisiertes Ballett aus Licht- und Feuerwerk, Laserstrahlen, Donnerböllern, Feuervulkanen, Flammenwerfern und Funkenregen wie in einem Stahl-Hochofen. Irgendwas blitzt und lodert immer – die optische Reizüberflutung steht einem Rammstein-Konzert in nichts nach. Und auch der mächtige, gleichwohl ausgewogene Sound lotet Grenzen aus.

Wo Parkway Drive herkommen – aus der Kleinstadt Byron Bay an der Ostküste Australiens – gibt es schlicht keine Jobs. Und so spielen die Surferboys denn auch: wie zum Überleben. Mit schnellen Rhythmen wie bei „Karma“, Iron-Maiden-Gitarrenduellen wie bei „Idols and Anchors“, tiefen Tönen und Schrei-Gesang mixen sie ihren Metalcore und dickschädeligen Stadion-Metal. Immer wieder blitzen fantastische Melodien auf, reißen zerfetzende Beatdowns mit und der Groove nicht ab. Egal ob „Carrion“, „The Void“, der alte Kracher „Wild Eyes“ oder die Metalcore-Hymne „Dedicated“ von 2015: Jeder Song erschüttert die Schleyerhalle in ihren Grundfesten. Das Konzert gleicht dem Höllensturz von Verdammten, ähnlich jenem berühmten Gemälde, das Rubens um 1620 malte. Es ziert das „Reverence“-Cover und die Bühnenleinwand.

Eher Mephisto als Erzengel

Frontmann Winston McCall ist allerdings nicht der Erzengel Michael, sondern eher ein Mephisto, der genau weiß, wie er die Fans kontrollieren und die Menge gleichzeitig fesseln kann. Charismatisch geriert sich der 36-Jährige als blutgerinnender Todesknurrer, energiegeladen, mit kreaturenhaften Bewegungen und einem diabolischen Grinsen. Auf sein Kommando springen die Fans, singen, jubeln. Der wie ein Metallschmied schuftende Schlagzeuger Ben Gordon – reichlich unterschätzt – gibt dazu den Takt vor, hörenswert auch die Saiten-Kombinationen von Leadgitarrist Jeff Ling und Luke Kilpatrick.

Nur gut, dass es die Australier im Höllenschlund auch mal ruhiger angehen lassen wie beispielsweise bei „Absolute Power“. Das epische „Writings on the Wall“ mit seinem We-will-rock-you-Rhythmus und „Shadow Boxing“ werden sogar von einem vierköpfigen, weiblichen Streichquartett untermalt und laden kurz zum Träumen ein. Metalcore goes Mainstream. „The Colour of Leaving“ intoniert McCall gemeinsam mit der Cellistin auf einem kleinen Podest in der Arenamitte. Ausgerechnet der letzte Song des regulären Sets ist allerdings auch der schwächste. McCalls flüsternd-leiser Gesang zeigt hier große Mängel.

Oberkörperfrei und inmitten von lodernden Feuerschalen und getakteten Feuergeysiren gibt McCall die Zugaben „Crushed“ und „Bottom Feeder“ zum Besten – nun wieder mit Urgewalt. Es ist ein letzter Angriff auf die Sinne, die Kollektivkatharsis endet trotz eher stumpfen Songs im Taumel der Glückseligkeit. Parkway Drive reißen Genre-Grenzen nieder und weisen den Weg in die Metal-Zukunft. Nicht jedoch bevor sich Augen und Ohren erholen.