Kinderbetreuer Martin Schäffner korrigiert Lottas Anastasia-Kostüm. Foto: Stage Palladium Theater/Christo - Stage Palladium Theater/Christoph Schmidt

Schon lange hat Lotta Rubin davon geträumt, mal mit den Profis vom Stuttgarter Musical auf der Bühne zu stehen. Jetzt ist ihr Traum mit „Anastasia“ Wirklichkeit geworden.

NeuhausenLampenfieber ist für die Viertklässlerin Lotta Rubin ein Fremdwort. Im Musical „Anastasia“, das im Stage Palladium Theater in Stuttgart gespielt wird, ist sie unter anderem als kleine Zarentochter zu sehen. Gleich zu Beginn singt sie mit Musical- und Fernsehstar Daniela Ziegler, die die Großmutter verkörpert, im Duett. Mit ihrer kräftigen Stimme hält die begabte kleine Sängerin wunderbar mit. Im Verlauf der Handlung schlüpft die Schülerin der Mozartschule Neuhausen auch in die Rolle von Jungs. Mit Schiebermütze und Hosen stolpert sie an der Hand der Mutter auf dem Boulevard. „Das muss man üben, so einfach ist das gar nicht“, findet sie.

In den 20er-Jahren spielt das Musical, das Terence McNally geschrieben hat. Es erzählt die Geschichte der Zarentochter Anastasia, die als einzige der Zarenfamilie die blutigen Kämpfe der russischen Revolution überlebt haben soll. Dass es sehr viel Ehrgeiz und Disziplin braucht, um sich unter Musicalprofis auf der Bühne zu behaupten, weiß Lotta von ihrer großen Schwester Alina. Die Siebtklässlerin spielte im Musical „Mary Poppins“ die Tochter Jane – eine große Rolle mit viel Text und träumerisch-komischen Zügen. Auf das Casting hat sie damals ihre kleine Schwester Lotta gebracht. „Da hab ich ein Flugblatt gefunden und dachte, das ist genau das Richtige für sie.“ Etwas traurig war die heute neunjährige Schwester da schon, „denn ich war leider noch nicht alt genug.“ Jetzt ist sie in „Anastasia“ dabei.

Kinderzimmer neben der Bühne

„Wir wollen das unseren Töchtern ermöglichen, auch wenn es für uns ganz schön stressig ist“, sagt Sarah Rubin. Sie und ihr Mann Timo teilen sich die Fahrdienste. Als Alina bei „Mary Poppins“ am Hamburger Hafen einspringen musste, flog der Papa mit ihr in die Hansestadt. Das Ehepaar achtet darauf, dass es den musicalbegeisterten Mädchen nicht zu viel wird. Die 13-jährige Realschülerin Alina hat das Erlebnis so begeistert, dass sie in Stuttgart im Musical „Annie“ als Ensemblemitglied wieder auf der Bühne stand.

Damit die Auftritte den Kindern nicht zuviel werden, berät das Jugendamt die Eltern. „Da schauen wir ganz genau drauf“, sagt Sarah Rubin. Sie wünscht sich, „dass meine beiden einfach glücklich sind.“ Lottas Freunde aus der Mozartschule haben einen Ausflug ins Musicaltheater gemacht, um Lotta auf der Bühne zu erleben. „In den Jungsrollen haben mich einige gar nicht erkannt“, sagt sie und lächelt verschmitzt. Sich in die Gesten und Bewegungen reinzudenken, fand sie ganz schön schwierig. Mit den schönen Kostümen fiel ihr das leichter. „Der Martin hat mir sehr geholfen.“ Dass sich die zwei richtig gut verstehen, ist schnell zu spüren.

Kinderbetreuer Martin Schäffner hat eine Musicalausbildung, kennt die Bühne. „Mir macht es aber ebenso viel Freude, mit Kindern zu arbeiten und ihnen künstlerische Ausdrucksformen zu vermitteln.“ Weil Lotta über lange Phasen nicht auf der Bühne steht, haben die Musicalmacher in der Black Box neben der Bühne ein Kinderzimmer eingerichtet. Selbst gemalte Bilder hängen da ebenso wie die Kostüme. „Es soll den Kindern Spaß machen“, sagt Schäffner. Er versteht es, Nervosität mit seiner freundlichen, entspannten Art wegzuwischen. „Manchmal spielen wir auch Tischkicker“, erzählt Lotta. Die Kinder pädagogisch gut zu begleiten, ist Schäffner ein großes Anliegen: „Anastasia“ ist ein ernstes Musical. Szenen von Revolution und Tod sind für Kinder nicht leicht zu verarbeiten. „Wir sprechen darüber, und dann geht das“, sagt er. Über die Handlung könne man den Kindern Geschichte spielerisch vermitteln. Bei der technisch aufwendigen „Anastasia“-Produktion ist es für die Kinder eine Herausforderung, sich auf der Bühne zu bewegen. Die besteht aus drei Drehelementen. Viel wird auch mit Medientechnik gearbeitet. Da nimmt der Kinderbetreuer die Mädchen liebevoll an der Hand.

Damit sich die Kinder im Ensemble Wohlfühlen, sind sie beim Aufwärmen der Stars dabei. Die haben Lotta ins Herz geschlossen. Hoch konzentriert wärmt sich Daniela Ziegler auf. Als ihre kleine Partnerin dazukommt, nimmt sie die herzlich in den Arm. „Alle sind so freundlich, da ist niemand zickig.“ Die Männer üben mit Lotta noch schnell eine Szene, in der sie als Knirps in die Höhe gehoben wird. Aufregend findet sie die Szene im Zugabteil. „Wir bewegen uns so, dass alle denken, der Zug fährt.“ Nach dem Aufwärmen geht es in die Maske. In die Rolle der jungen Anastasia zu schlüpfen, die im Prunk der russischen Zarenfamilie aufgewachsen ist, macht der künstlerisch sehr begabten Schülerin Freude.

Hätte Lotta Lust, mal beim Musical zu arbeiten? „Jetzt freu ich mich erst mal auf die fünfte Klasse“, sagt die Schülerin, die ab September die Friedrich-Schiller-Gemeinschaftsschule besucht. Dass sie als junge Anastasia noch viele Male auf der Musicalbühne stehen darf, freut sie sehr. Das Jugendzimmer hat sie ganz im „Anastasia“-Stil eingerichtet. Ihr ganzer Stolz ist die lila Bettdecke mit einer Abbildung der Zarentochter, die ihr Mama geschenkt hat. An der Wand hängen Fotos vom Ensemble und natürlich die Autogrammkarten, die Lotta in den verschiedenen Rollen zeigen. „Sie fiebert den Auftritten richtig entgegen“, beobachtet ihre Mutter. „Wir sind einfach froh, dass wir ihr diesen Herzenswunsch erfüllen dürfen.“