Wundervoller Bilderbogen für die ganze Familie: Szene aus „Der Zauberer von Oz“ im Stuttgarter Schauspielhaus. Foto: Conny Mirbach Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Was für eine wunderbare Vogelscheuche! In Blümchenjacke, mit irrem, zuckerwattig aufgebauschtem Haarwirrwarr, aufgedreht hüpfend trotz Rückgrats wie aus Gummi: Sebastian Wendelin spielt die Tatsache, dass er als befreiter Strohmann ohne Holzpfahl im Rücken sich nur mühsam aufrechten halten kann, stets mit. Ein genialer, sehr präzise agierender Slapsticker.

Vor Witz sprüht die ganze Weihnachtsproduktion des Staatstheater Stuttgarts, ein Familienstück für Zuschauer ab 6 Jahren: „Der Zauberer von Oz“ nach dem Kinderbuchweltbestseller von Lyman Frank Braun. Regie führte Wolfgang Michalek, selbst komikbegabter Schauspieler im Ensemble des Staatstheaters. Michalek hat auch - gemeinsam mit seiner Kollegin Lea Ruckpaul - die wortwitzige Bühnenfassung des Romans geschrieben.

Dorothy, das Mädchen, das durch einen krassen Wirbelsturm von einer Farm in Kansas ins Land über dem Regenbogen, in die Märchenwelt der Munchkins, gepustet wird und dort allerlei Mutproben und Abenteuer zu bestehen hat, bevor es wieder nach Hause darf, wird gespielt von der jungen Nina Siewert. Ihre Dorothy in weißem Kleidchen und Glitzer-Zauberschuhen ist ein ziemlich wütendes Kind: einerseits explosiv-euphorisch, wenn sie sich freut, andererseits von greller Cholerik getrieben, wenn sie sich über böse Hexen und falsche Zauberer aufregt.

Schrilles Quartett

Gemeinsam mit ihren neuen Freunden - der Vogelscheuche, die sich ein Hirn wünscht, dem Blechmann ohne Herz und dem ängstlichen Löwen - bildet sie ein schön lärmendes und schrilles Quartett, das in der Premiere im Stuttgarter Schauspielhaus nicht nur bei den Kindern ausgesprochen gut ankam.

Aber es geht auch ganz leise: Wenn etwa Blechmann Felix Mühlen eine Ballade über die Sehnsucht nach einem eigenen Herzen singt: „Ach, könnt ich nur den Regenbogen biegen, ein bisschen träumen und mich total verlieben.“ Zu Tränen rührend! Wobei da schon längst jeder im Saal weiß, dass der Arme nicht nur bereits ein Herz hat, sondern dazu auch noch ein besonders weiches. Charismatisch auch Sebastian Röhrle als Löwe: wie er die Gratwanderung zwischen totalem Minderwertigkeitskomplex und grenzenlos vorhandener Eitelkeit meistert - und wie schnell der König der Angsthasen seine Furcht überwinden kann.

Es ist eine Produktion, in der einfach alles stimmt. Die wunderbare Musik etwa und ihre poetischen und humorigen Texte, die Max Braun für den Abend geschrieben hat: vor allem fetzige Country-Songs, aber auch Rock-Nummern, einen italienischen Schlager, ein bisschen Samba. Er ist auch der Kopf des Band-Trios auf der Bühne, welches das Geschehen mit Folk-Fiddel, Westerngitarre, Waschbrett, Banjo und anderem einheizt.

Natascha von Steiger hat ein praktisches Bühnenbild aus zusammenschiebbaren Kulissen gebaut: eine kunterbunte Blumenwiese, ein Wald- und ein Bergpanorama. Und als spektakulären visuellen Höhepunkt gibt es eine riesige Windmaschine, die den Bühnenboden mit einem Wisch staubfrei macht.

Im Wunderland der Munchkins müssen Dorothy und ihre Freunde die böse Hexe des Westens besiegen, die eindrucksvoll von oben herabschwebt, mit schwarzer Endlosschleppe, Zeter und Mordio schreiend, am Seil hängend Flüche tanzend. Eine wirklich böse Hexe gibt Viktoria Miknevich, die dazu auch noch mit ausgesprochen eindrucksvoller Rockröhre singt. Aber der Hexe hilft’s nicht. Diese „Gurkentruppe“ (O-Ton böse Hexe) hat so überhaupt keine Angst vor diesem Drachen, dass ihre magische Kraft stante pede verlöscht, und sie fährt gen Himmel (nicht in die Hölle) und verschwindet auf ewig. Grund für die Macht Dorothys ist der „Schutzkuss“ der guten Hexe Lustella - schön verrückt und feenhaft gespielt von Lucie Emons in rosa Glitzer-Outfit (Kostüme: Sara Kittelmann). Aber damit ist das kuriose Quartett noch nicht am Ende. Der Zauberer von Oz soll alles richten, die Heimkehr Dorothys ermöglichen und die Wünsche der drei anderen erfüllen.

Am Ende ist es ganz egal, dass er weder Macht hat noch zaubern kann. Der vermeintliche Magier alias Boris Burgstaller ist zwar ein Blöffer, aber dass sein Mutwasser für den Löwen, sein Herzwecker für den Blechmann und das Glühlampenhirn für die Vogelscheuche nur Placebos und eigentlich gar nicht nötig sind, ist jedem im Publikum längst klar. Aber schön waren die Abenteuer. Und gemeinsam ist man halt stark.

Bleibt Dorothys Rückkehr nach Kansas, die dann auch ganz einfach ist: Ihre Zauberschuhe, die sie von Lustella bekommen hat, machen’s möglich. Da lässt sie ihre Freunde doch gerne zurück im kunterbunten, blumigen, „schönsten Land am Weltenrand“. Die Welt, in die sie zurückkehrt, ist dagegen öde, karg und freudlos. Aber Familie ist halt alles, und da ist ja auch noch ihr kleiner Hund Toto - in Stuttgart ein waschechter Dackel.

Die nächsten Vorstellungen im Stuttgarter Schauspielhaus: 4., 6., 8., 11. bis 14. sowie 19., 21., 25. und 26. Dezember.