Der Theaterautor zeichnet in seinem Schauspiel kein Heldenbild von Luther (Thomas Henniger von Wallersbrunn). Foto: Loredana La Rocca Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Das Luther-Jahr neigt sich dem Ende zu und das ist gut so. Irgendwann hat man genug vom großen Reformator, von den unzähligen Aktionen, Veranstaltungen, Online-Fanshops, seinem Konterfei auf Einkaufswagenchips und Zitaten wie „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ auf Socken. Zum Davonlaufen. Nun ist auch das Alte Schauspielhaus auf den abfahrenden Zug des Reformationsgedenkjahres aufgesprungen. Dieter Fortes Schauspiel „Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung“ hatte unter der Regie von Schauspielbühnenintendant Manfred Langner Regie.

Der fast 50 Jahre alte Historienschinken mit seinem 500 Jahre alten Plot ist ein Großaufgebot an Personal. Elf Schauspieler, die zahlreiche Doppelrollen haben, stellen wesentliche Lebenssituationen Martin Luthers zwischen 1514 und 1525 samt den wirtschaftlichen Verflechtungen von hochkarätigen Strippenziehern und Machthabern nach den Vorstellungen Fortes dar. Das geschichtswissenschaftlich unbeleckte Publikum wird gut zwei Stunden lang mit zwei Kaisern, einem Papst, jede Menge Kurfürsten und Kardinälen konfrontiert. Die halbe Zeit im ersten Teil ist man beschäftigt, die Handlungsträger zu sortieren. Gottlob lenkt wenigstens kein aufwendiges Bühnenbild davon ab. Dietmar Teßmann, der auch für die fürstlichen Roben zuständig ist, hat eine schlichte und sehr passende Zehntscheunen-Atmosphäre geschaffen.

Diese Balken bieten den Rahmen für das Millionenspiel des Augsburger Unternehmers Jakob Fugger (Carsten Klemm), der Fürsten, Kaiser, Kardinäle und auch Luther wie Playmobilfiguren für sein Ränkespiel in die entsprechenden Rollen weist, nach der gängigen Devise: „Immer derjenige, der zahlt, ist der Herr.“ Er ist einer der ganz großen Globalplayer; der größte seiner Zeit. Sehr erfolgreich im Tun, das sich ausschließlich um Geldvermehrung dreht. Leute wie Luther glauben an Gott. „Ich glaube an Geld und gute Geschäfte“, kontert Fugger, ein klassischer Vorläufer des neuzeitlichen Monopolkapitalismus‘. 500 Jahre nach Luthers vermeintlichem Thesenanschlag zu Wittenberg hat dieses faktenüberfrachtete Stück des Theaterautors Dieter Forte frappierend aktuelle Bezüge zur Weltwirtschaft. Nichts hat sich in einem halben Jahrtausend im globalen Wirtschafts- und Politgeschehen geändert. Interessensverflechtungen, Machtmissbrauch und Manipulationen sind damals, wie heute an der Tagesordnung - auf Kosten des Volkes.

Fortes Luther macht in diesem Wirtschaftspoker allerdings keine gute Figur. Es menschelt hinter der Fassade des unerschrockenen Glaubenshelden, der nur seinem eigenen Gewissen folgt. Sogar ein Luther (Thomas Henniger von Wallersbrunn) ist demnach machthungrig, karrieregeil und bestechlich. Er verfasst im Auftrag seines Arbeitgebers, Kurfürst Friedrich von Sachsen (Marcus Born), die berühmten Thesen gegen den Missbrauch des Ablasshandels durch den Erzbischof von Mainz (Martin Böhnlein). Als Dank erhält der Professor an der Wittenberger Universität eine neue Kutte.

Luther ist Friedrichs schärfste Waffe gegen das aufbegehrende Volk, gegen den Papst (Reinhard Froboess) und gegen Fugger - eine „gut eingeführte Marke“, die man nicht wechseln sollte. Mit seinem Evangelium rechtfertigt der Reformator einfach alles, selbst die schändlichsten und ausbeuterischsten Machenschaften der Obrigkeit. Im Namen Christi angefangen, im Namen der Fürsten wird’s enden. Dafür gab’s Popularität plus Wohlstand und macht deutlich: jeder ist käuflich - es ist nur eine Frage des Geldes.

„Ich bin kein Schrotthändler“

Davon hatte der begnadete Netzwerker Fugger mehr als genug. Die Bilanz seines Finanzkonzerns von Weltformat: 203 Millionen Mark. Ein satter Gewinn von 1000 Prozent durch Kreditwirtschaft, Finanzgeschäfte und Verkäufe von Waren, Tiere und Menschen. Selbst 42 000 Nachttöpfe gingen nach Afrika, ganze Bistümer wechselten die Besitzer und über alles führte der Superreiche, zu dessen bevorzugter Kundschaft selbst Monarchen zählten, akribisch Buch, unter Anwendung der doppelten Buchführung, die die bis dato übliche Zettelwirtschaft ablöste. Sein Motto: „Die Buchhaltung ist die Seele das Kapitals.“

Selbst Kaiser Karl V. (Serjoscha Ritz) war sein Bittsteller. Das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, König von Spanien, König von Neapel, König von Jerusalem und Inhaber weiterer 76 Titel, war, wie schon sein Großvater Maximilian, chronisch klamm. Fugger hat ihn nicht umsonst für 85 Millionen Mark „Handsalbe“ zum Kaiser wählen lassen. Das Schmiergeld kam zigfach wieder herein. Mit keiner Marionette ließ sich besser Geld verdienen. Als der mächtigste Mann des Abendlandes ihm die Kaiserkrone zum Versilbern bietet, antwortet Fugger nur lapidar: „Ich bin kein Schrotthändler.“

Sehr schön, dass Langner in seiner Inszenierung zwei Persönlichkeiten Aufmerksamkeit schenkt, die für die Reformation wichtige Figuren waren und im Erinnerungsjahr viel zu kurz kamen: Karlstadt (Gregor Eckert) und Thomas Münzer (Jörg Pauly). Beide waren in ihrem Denken und Handeln radikaler als Luther, was sie von Luther entfremdete, und woran sie letztlich dramatisch gescheitert sind. Am Ende gab’s bei der Schlacht bei Frankenhausen viel Rauch um nichts. Der Aktualitätsbezug auch mit der modern gekleideten Reporterin (Sophie Schmidt) ist schön und gut, bringt aber keine neuen Erkenntnisse. Textlastig, wenn auch mit witzigen Passagen zum Lachen, bietet das Schauspiel wenig Aktion und ermüdet dadurch. Die schlaglichtartigen Szenen wirken aneinandergereiht, das stetige An- und Ausschalten des Bühnenlichts strengt auf Dauer an. Bei einem Besuch sollte man auf jeden Fall ausgeschlafen sein.

Noch bis 21. Oktober im Alten Schauspielhaus. Tel. 0711 / 2265505.