Quelle: Unbekannt

Thomas Schadt, Leiter der Filmakademie Ludwigsburg, will seine Institution auf Zukunftskurs bringen, um ihre Erfolge zu sichern. Er plant eine stärkere Internationalisierung, Deutschkenntnisse als Studienvoraussetzung sollen wegfallen. Denn im Filmbusiness spricht man Englisch. Und er will die soziale Vielfalt in der Studentenschaft erhöhen.

LudwigsburgStudierende der Filmakademie Baden-Württemberg sind international erfolgreich. Damit das so bleibt, muss sich manches ändern, glaubt Thomas Schadt, der die Akademie seit 2005 leitet und seinen Vertrag gerade bis 2025 verlängert hat.

Herr Schadt, was haben Sie sich vorgenommen für Ihre vierte Amtszeit?
Die Voraussetzung war, die Schule weiterentwickeln zu können. Ich wollte nach 15 Jahren nicht das Gefühl haben, nur noch zu verwalten. Das für uns zuständige Ministerium hat Andreas Hykade, den Leiter des Animationsinstituts, und mich beauftragt, ein Strategiepapier zu entwickeln. Wir setzten zwei Schwerpunkte: Internationalisierung und Stärkung von „Intellectual Property“, kurz IP, geistigem Eigentum. Das wird nun auch finanziert und umgesetzt.

Was bedeutet Internationalisierung?
Deutschkenntnisse als Voraussetzung fürs Hauptstudium sollen fallen. Das Filmbusiness ist international, seine Sprache ist Englisch. Wir wollen durchgängig zweisprachig unterrichten. Dadurch öffnen wir uns für Talente aus der ganzen Welt. Das gibt es so bislang an keiner anderen Schule. Ich habe als Arbeitstitel von einer europäischen Filmakademie gesprochen und bin überzeugt, dass wir dieses gemeinsame Europa mit seiner kulturellen Diversität brauchen. Für uns ist das auch ein gesellschaftliches Statement gegen all diese Abschottungsgedanken, die aus manchen Ecken kommen.

Was IP angeht, sind Firmen aus der Region bisher vor allem erfolgreich mit Kinderserien wie „Meine Schmusedecke“ der Filmakademie-Absolventin Angela Steffen. Wie kann daraus mehr werden?
Die Ausbildung muss dafür sorgen, dass beispielsweise im Animationsbereich mehr IP entsteht, die dann hier vor Ort auch produziert wird. Das ist ja eine urschwäbische Tugend, nur dass es statt um Dübel um Geschichten geht. Dafür stellen wir das Curriculum der Drehbuchabteilung neu auf.

Mit welchen inhaltlichen Kriterien?
Ist eine Geschichte erzählenswert, und hat sie eine Überlebenschance in der Medienwelt? Was macht der Film mit mir, beschäftigt er mich? Die Begriffe dafür sind Relevanz, Originalität und Intensität. Wegkommen müssen wir vom einengenden Genre-Denken, Mainstream und Arthouse, E und U – das ist alles Quatsch. Wir unterstützen gesellschaftsrelevante Themen. Derzeit bringen Studierende Themen wie Diversität, Diskriminierung, Klimaschutz ein, sie politisieren sich wieder.

Wie divers ist Ihre Studierendenschaft?
Wir brauchen noch mehr Diversität. Auch bei uns überwiegen Gymnasiasten aus Bildungsbürgerhaushalten. Leute aus anderen Schichten bringen ganz andere realitätsnahe Geschichten mit, finden aber nicht so leicht den Weg an die Akademie, wenn wir uns nicht um sie bemühen.

Die Absolventin Nora Fingscheidt sagt, ihr Berlinale-Film „Systemsprenger“ sei so erfolgreich, weil sie in Ruhe das Buch entwickeln konnte. Wie wichtig ist der Faktor Zeit?
Er ist der Schlüssel. Nora hat die Akademie idealtypisch genutzt, und wir haben sie ermutigt, sich Zeit zu lassen. Sie hat mit Urlaubsjahr, Mutterschutz und Verlängerung neun Jahre hier studiert und dabei kontinuierlich ihr Thema recherchiert. Fälle wie Nora lehren uns: Ein gutes Buch braucht Zeit. In Deutschland haben wir bundesweit 250 Millionen Euro im Jahr allein an Fördergeldern. Netflix, Sky und auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind groß in die Serienproduktion eingestiegen. Am Geld liegt es also nicht, wenn deutsche Produktionen international keine so große Rolle spielen, sondern eher daran, dass man zu schnell produziert. Andere Länder investieren oft mehr in die Stoffentwicklung, das würde ich mir für unsere Filmkultur auch wünschen.

Die Streamingdienste brauchen viel Content und bieten Filmemachern neue Möglichkeiten. Wie bereiten Sie Studierende auf Netflix, Sky und Amazon vor?
Es gibt eine Spitze, Produktionen für die Oscars und die Emmys, darunter fällt die Qualität schnell ab. Das ist bei Netflix und Co. genauso wie beim linearen Fernsehen. Es gibt tolle Serien wie „Babylon Berlin“, „Das Boot“, „Bad Banks“, da wird Geld hineingeschoben, dafür wird dann unten schneller und billiger produziert. An einer Filmhochschule darf es nur ein Dogma geben: das Streben nach Qualität.

Wie viele Bewerber kommen mit eigenen Ideen, wie viele imitieren Vorbilder?
Zu Beginn der Ausbildung werden sie eher von externen Erwartungen getrieben als von inneren. Vielen ist das gar nicht bewusst. Aber das war schon immer so. Eines hat sich verändert: Als ich studiert habe, war vieles reglementiert, es existierten Tabus. Es gab kein Internet, nicht mal DVDs, Aufklärung fand in meiner Jugend heimlich im Kino statt. Unser Ziel war Befreiung, ein offeneres, wilderes, weniger kalkulierbares Leben als das unserer Eltern. Jetzt beobachten wir eher das Gegenteil. Die Leute wachsen damit auf, dass es alles gibt, sie sehen alles online, schwimmen in diesem Ozean ständiger Kommunikation und haben Angst, darin abzusaufen. Sie sehnen sich wieder nach klareren Strukturen, Reglements, Bezugspunkten, Orientierung. Man muss die Studierenden heute ganz anders ermutigen, es gibt den Ruf nach Coaching, Konfliktbetreuung. Wenn uns damals jemand mit so was gekommen wäre, hätten wir ihn von der Schule gejagt. Das Zügellose gibt es nur noch in Ausnahmefällen.

Das Interview führte Bernd Haasis.

Dokumentarfilmer: 1957 in Nürnberg geboren, studierte Thomas Schadt von 1980 an in Berlin. Er drehte Filme wie „Der Kandidat“ über Gerhard Schröder im Wahlkampf 1998. 2000 wurde er Professor für Dokumentarfilm an der Filmakademie Ludwigsburg, 2005 Künstlerischer Direktor, 2007 alleiniger Geschäftsführer.

Berlinale (I): In „Das Kino ist tot, es lebe das Kino“ blickt Thomas Schadt hinter die Kulissen des Festivals und begleitet den langjährigen Direktor Dieter Kosslick bei dessen letzter Berlinale. Der Film läuft am 19. Februar, 23.55 Uhr, auf Arte.

Berlinale (II): Filmakademie-Absolventen haben es öfter in den Wettbewerb geschafft, etwa Nora Fingscheidt mit „Systemsprenger“ (2019). Nun zeigt Burhan Qurbani eine in die Gegenwart verlegte Verfilmung von „Berlin Alexanderplatz“. Im Wettbewerb Encounters läuft Sandra Wollners „The Trouble with being born“, die Geschichte eines Sexroboters.