Sie lassen einen Reigen der Vergegenwärtigungen tanzen: WLB-Intendant Friedrich Schirmer (Mitte), Chefdramaturg Marcus Grube (links) und Junge-WLB-Leiter Marco Süß. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Wie immer ist die Esslinger Landesbühne (WLB) der mitteleuropäischen Theaterzeit um ein Jahr voraus. Während andere Sprechtheater noch an der aktuellen Saison feilen, ist bei der WLB schon die Spielzeit 2018/19 in Stein gemeißelt oder zumindest unterschriftsreif für die Gastspielverträge. Wer kraft Kulturauftrag des Landes auch in die Fläche geschickt wird, muss eben so früh auf den Plan treten wie die rege Konkurrenz um Stadthallentermine und die Gunst kommunaler Kulturreferenten.

Zusammen mit den Landesbühnen Tübingen und Bruchsal gab die WLB gestern ihren Spielplan bekannt. Intendant Friedrich Schirmer und sein Vize Marcus Grube lassen einen Vergegenwärtigungsreigen tanzen, der gleich mit einem akzentuierten Auftakt einsetzt: Eugène Ionescos „Nashörner“ - jenes absurde Drama von 1959 um die Verwandlung von Wutbürgern in kommunikationsunfähige Panzertiere - könnte wieder das Stück der Stunde sein. Nach aktueller politischer Bezüglichkeit muss man nicht lange suchen.

Zugleich gilt der Gegenwart als Produkt des historischen Herkommens das besondere Augenmerk in Schirmers Intendanz. Abby Manns Stück „Das Urteil von Nürnberg“, 1961 von Stanley Kramer verfilmt, liegt auf dieser Linie. Mit erfundenen Figuren wird die wahre Geschichte der Nürnberger Juristenprozesse aufgegriffen - der Verfahren von 1947 gegen die juristischen Helfershelfer der Nazi-Verbrecher. Das Stück stellt die Frage, wie Recht rechtlos werden kann. Und gerade jetzt, wo Geschichtsrevisionisten wieder laut werden, „müssen wir diese deutsche Unheilsgeschichte immer wieder erzählen“, sagt Schirmer.

Mit Oliver Storz’ „Die barmherzigen Leut’ von Martinsried“ wechselt die Perspektive zu den kleinen Tätern und Mitläufern, die kurz vor Kriegsende auf ihrem Dorfbahnhof vier Güterwaggons vorfinden, vollgepfercht mit Deportierten. Eingeübt ins Duckmäusertum hört man zunächst weg bei den Schreien aus den verschlossenen Waggons - doch ausgerechnet eine jugendlicher Hitler-Anhängerin hört hin. Ein brisanter Stoff, zu brisant offenbar für den damaligen SDR: Die Verfilmung durch den Sender ließ bis nach der Uraufführung 1989 an der WLB - in Schirmers erster Esslinger Intendanz - auf sich warten.

Der Fokus der Vergegenwärtigung richtet sich mit „Faust I - Reloaded“ - eine beschleunigte Zwei-Männer-Version von Goethes Sinnsucher-Drama - und mit dem „Zerbrochnen Krug“ auch auf Klassiker. In Kleists Komödie um einen rechtsbeugenden Richter in der Provinz kristallisiere sich eine „europäische Tragödie“ heraus, sagt Schirmer. Als Regisseur steht bereits Hans-Ulrich Becker fest, Martin Theuer spielt den Dorfrichter Adam.

Mit alldem zeigt man Kante: „Der Spielplan ist härter als unsere bisherigen“, erklärt der Intendant - auch mit John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“, wo der amerikanische Traum in desillusionierender Einsamkeit endet; oder mit Horváth, wo „Glaube Liebe Hoffnung“ in Kriminalisierung und Ausweglosigkeit münden. Regie führt bei Horváth Alexander Müller-Elmau, der jüngst Ibsens „Hedda Gabler“ grandios hellsichtig auf die Landesbühne brachte.

Als Edelboulevard-Lockerung gibt es „Educating Rita“, als Musik-Nummer die Beatles in Hamburg und nicht zuletzt den Struwwelpeter als schwarzhumorige Oper für Erwachsene mit Songs der Avantgarde-Punkband Tiger Lillies.

Die Junge WLB wagt sich mit Dickens’ sozialkritischem „Weihnachtsmärchen“ und Stifters „Bergkristall“ an literarische Großformate. „Cyrano“ konzentriert Edmond Rostands berühmtes Versdrama auf eine Dreiecksgeschichte und letztlich - so der Junge-WLB-Leiter Marco Süß - auf die entscheidende Frage der ersten Liebe: „Wie sag ich‘s ihr?“ „Es“ gar nicht mehr sagen - nämlich alle Beziehungen abbrechen - will in „Gips oder Wie ich an einem Tag die Welt reparierte“ ein zwölfjähriges Mädchen nach der Trennung ihrer Eltern. Bis ihr Adam begegnet. Und in der Stückentwicklung „Vom Leben und Sternen“ betrachtet ein Alien-Wissenschaftler all diese und ganze andere menschliche Dinge, die ihn zutiefst befremden.

Noch nicht im offiziellen Plan steht das Freilichtstück im Sommer 2019, Schirmer ließ sich trotzdem in die Spielplankarten blicken: Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ hat am 22. Juni 2019 Premiere auf dem Kesslerplatz. Und noch einen weiteren Ausblick gewährte der Intendant: Die übernächste Spielzeit beginnt mit Schillers „Kabale und Liebe“ am 20. September 2019 - in Göppingen. Warum? Auf den Tag genau 100 Jahre vorher hatte dort die Schwäbische Volksbühne - die spätere WLB - mit demselben Stück ihre allererste Vorstellung. Am 21. September 2019 kommt die Geburtstagsinszenierung nach Esslingen.

Die premieren der Spielzeit 2018/19 an der Esslinger landesbühne

Schauspielhaus

Die Nashörner von Eugène Ionesco. 22. September 2018.

Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist. 13. Oktober 2018.

Struwwelpeter - Shockheaded Peter von Phelim McDermott, Julian Crouch und Martyn Jacques. Musik von The Tiger Lillies. 29. November 2018.

Das Urteil von Nürnberg von Abby Mann. 12. Januar 2019.

Von Mäusen und Menschen nach dem Roman von John Steinbeck.

1. Februar 2019.

Die barmherzigen Leut’ von Martinsried von Oliver Storz. 14. März 2019.

Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth. 6. April 2019.

Backbeat - Die Beatles in Hamburg von Iain Softley und Stephen Jeffreys. 6. Juni 2019.

Podium 1 im Schauspielhaus

Das Ende ist mein Anfang von Tiziano Terzani. 23. September 2018.

Faust I - Reloaded nach Johann Wolfgang Goethe. 6. Oktober 2018.

Educating Rita von Willy Russell. 8. November 2018.

Ein ganzes Leben von Robert Seethaler. 28. Februar 2019.

Junge WLB

Cyrano von Edmond Rostand, Jo Roets und Greet Vissers. Für Zuschauer ab 14 Jahren. 15. September 2018 im Podium 2 im Schauspielhaus.

Der Mondscheindrache von Cornelia Funke. Ab vier Jahren. 16. September 2018 im Podium 2.

Frohe Weihnachten! nach „Ein Weihnachtsmärchen“ von Charles Dickens. Ab sechs Jahren. 17. November 2018 im Schauspielhaus.

Gips oder Wie ich an einem Tag die Welt reparierte von Anna Woltz. Ab elf Jahren. 16. Februar 2019 im Studio am Blarerplatz.

Bergkristall nach der Erzählung von Adalbert Stifter. Ab sieben Jahren. 30. März 2019 im Podium 2.

Vom Leben und Sternen von Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel. Ab acht Jahren. 7. April 2019 im Studio am Blarerplatz.