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Das Stück nach dem Drehbuch des gleichnamigen Films handelt vom Nürnberger Prozess gegen die Juristen des Nazi-Regimes.

EsslingenDer Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher – 24 Nazi-Größen, darunter Göring, Heß, Speer und von Ribbentrop – endete 1946, bis 1949 folgten im Nürnberger Justizpalast zwölf weitere Verfahren wegen NS-Verbrechen. Angeklagt waren unter anderem Ärzte, Militärs – und Juristen. Den Prozess des Jahres 1947 gegen die Robenträger des Nazi-Regimes, die in den Gerichtssälen Recht in Unrecht verwandelten, griff der amerikanische Autor Abby Mann in einem 1959 in den USA gesendeten TV-Drama auf. Kurz danach bearbeitete er seinen Text zum Drehbuch für Stanley Kramers Spielfilm „Das Urteil von Nürnberg“, 1961 uraufgeführt und hochkarätig besetzt mit Spencer Tracy, Marlene Dietrich, Burt Lancaster, Maximilian Schell sowie weiteren Stars. Dieses Drehbuch inszeniert nun Christof Küster an der Esslinger Landesbühne (WLB) – aber gerade nicht als nachgespielten Gerichtsfilm-Klassiker.

Schiefe Ebene

Einen Gerichtssaal wird es im Esslinger Schauspielhaus, wo die Inszenierung an diesem Samstag Premiere hat, nicht geben, erklärt der Regisseur. Sondern: „eine schiefe Ebene, einige Gräben, im weitesten Sinn eine Trümmerlandschaft“, beschreibt Küster das Bühnenbild von Frank Chamier. Auch die Schauspieler werden in keine 40er-Jahre-Kostümierung gesteckt, dafür überbrückt eine vom Regisseur hinzugefügte Rolle – eine Dolmetscherin in der Funktion einer Erzählerin – die Unterschiede von Zeit und Zeitkolorit. Gespielt werden heutige Menschen, die sich vergegenwärtigen, was anno 1947 verhandelt wurde: die Vergewaltigung des Rechts durch die NS-Justiz, für die beispielhaft ein Todesurteil wegen angeblicher „Rassenschande“ steht, aber auch die Fragen, die sich bei der Urteilsfindung stellen. „Mir geht es weniger um die Figuren, sondern um die gedankliche Auseinandersetzung“, erklärt Regisseur Küster. Das deckt sich insofern mit Abby Manns spannendem Drehbuch, als auch dieses eher an zugespitzten Fragestellungen als am dokumentarischen Anspruch interessiert ist. Es verwendet zwar originale Zeugenaussagen und weiteres Prozessmaterial, aber die Figuren sind frei erfunden – am freiesten jene des Angeklagten Ernst Janning, bei Mann ehemaliger NS-Justizminister und jetzt ein reumütiger Ex-Nazi, wie er in der Wirklichkeit nie existierte. Geläutert und beschämt macht er die Szene zum Tribunal gegen sich selbst, erhebt Anklage gegen die eigene Person, brüskiert seinen wortreichen Verteidiger – nicht um das Strafmaß zu mildern, sondern um die eigene Reputation zu retten. Aber am Ende bleibt ihm die „Absolution“, wie Dramaturg Marcus Grube sagt, verwehrt. Dafür sorgt Dan Haywood, abgewählter amerikanischer Provinzrichter und jetzt Vorsitzender des Nürnberger Gerichts. Er, der konservative Republikaner mit Sympathien für den demokratischen US-Präsidenten Roosevelt, verkörpert für Regisseur Küster die „utopische Botschaft: dass sich am Ende das Recht durchsetzt“.

Neue Frontlinien

Dieses Recht muss seine Unabhängigkeit in Manns durchaus kontroversem Drehbuch keineswegs nur gegen das NS-Unrecht wahren, sondern auch gegen die veränderte politische Interessenlage der USA. Im beginnenden Kalten Krieg werden die Frontlinien neu gezogen, Stalins Sowjetunion und das besiegte Deutschland wechseln die Rollen von Feind und Verbündetem. Die Verurteilung von NS-Tätern erscheint da aus Sicht mancher US-Strategen gar nicht mehr opportun: ein Konflikt zwischen Recht und Moral auf der einen, Politik auf der anderen Seite.

Abby Mann lädt den Konflikt zusätzlich dramatisch auf, indem er den Prozess ins Jahr 1948 verlegt – das Jahr, als mit dem kommunistischen Putsch in der Tschechoslowakei und der beginnenden Berlin-Blockade der kalte in einen heißen Krieg umzuschlagen drohte. Im „Urteil von Nürnberg“ geht es brisanterweise eben nicht nur um und gegen die Nazis, sondern auch um kritische Fragen an die US-Adresse – ohne in die Falle der Relativierung von Schuld zu tappen. Dem Juristenprozess selbst – Recht gegen das in Gesetze gegossene NS-Unrecht – und der privaten Recherche des Richters Haywood, der bei der Witwe eines Wehrmachtsgenerals erfahren will, wie die Nazi-Barbarei möglich war und nur auf „Wir haben nichts gewusst“-Ausreden stößt, stellt das Drehbuch deshalb eine dritte, quasi amerikanische Ebene zur Seite: ein Spektrum der US-Politik, verkörpert vom idealistischen Staatsanwalt Parker, der am liebsten auch US-Präsident Truman wegen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki anklagen würde, bis hin zu konservativen Hardlinern, denen Hitlers Schergen im Zweifelsfall lieber sind als die „rote Gefahr“. Keinen Zweifel lässt der Autor, wem in diesem politischen Charakterkabinett seine Sympathien gelten.

Alles nur Schnee von gestern? Von wegen, sagt Dramaturg Grube: „Der Stoff erzählt viel über die Vergangenheit, aber auch über die Gegenwart. Die Kernfrage ist hoch aktuell: Was passiert, wenn die Justiz ihre Unabhängigkeit verliert? Wir erleben das gerade in vielen Ländern – auch in solchen der EU.“ Wohl wahr.

Die Premiere beginnt an diesem Samstag um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen: 18. Januar, 8., 15. und 19. März, 13. April, 4., 8. und 23. Mai.