Neuer und größer: Bachakademie-Chef Hans-Christoph Rademann (rechts) stellt zusammen mit Foto: Holger Schneider - Holger Schneider

Neues Konzept, neuer Termin: Statt im Frühherbst findet das Musikfest Stuttgart ab diesem Jahr im Sommer statt. Die Bachakademie kooperiert mit zahlreichen Partnern, das Programm für 2020 ist deutlich erweitert.

StuttgartHeilignüchtern: Ein Wort, über das man stolpern kann – und soll. Es stammt aus Friedrich Hölderlins Gedicht „Hälfte des Lebens“ und ist Motto des neu konzipierten, neu terminierten Stuttgarter Musikfests 2020 – auch weil es wunderbar in den Kulturkalender, das 250. Geburtsjahr des Dichters, passt. Aber nicht nur deshalb: Laut Bachakademie-Dramaturg Henning Bey steht „heilignüchtern“ in dem zweiteiligen Gedicht für eine Zäsur, eine Polarität, eine Spannung – Bey redet von einer „Dialektik zwischen Alt und Jung, Alter und Neuer Musik, Geistlichem und Weltlichem“. Alles Züge, die das neu aufgestellte Musikfest kennzeichnen sollen, das erstmals im Sommer (vom 12. bis 28. Juni) statt im Frühherbst als Kooperationsfestival in der Federführung der Bachakademie stattfindet. Am Mittwoch wurde das Programm vorgestellt, und es folgt – frei nach Marx statt Hölderlin – der Devise: Kulturleute aller Sparten, vereinigt euch! Ob das eine Revolution bedeutet, sei dahingestellt, eine Zäsur ist es auf jeden Fall. Auch wenn genre- und spartenübergreifende Tendenzen der früheren bachakademischen Musikfest-Planung fortgeführt werden.

Neustart in die Zukunft

Mit von der Partie sind also – nebst der hauseigenen Gaechinger Cantorey in der Leitung von Bachakademie-Chef Hans-Christoph Rademann und diversen Gastensembles – nicht nur die Stuttgarter Philharmoniker, das SWR Symphonieorchester, die Stiftsmusik, die Hugo-Wolf-Akademie und sogar die Staatsoper mit ihrer Doppelpremiere von Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ und Sciarrinos „Luci miei traditrici“ am 28. Juni. Sondern auch Staatsgalerie und Galerie Kernweine, das Marbacher Literaturarchiv und der Hospitalhof mit der erweiterten Reihe Musikfest-Café und einem breiten Spektrum an Gesprächspartnern nicht nur aus der Musik, sondern auch aus Kirche, Literatur, Wirtschaft und Gesellschaft.

Ein gewaltiges Kooperationsaufgebot geht also an den Musikfest-Neustart, und damit der eine Zukunft hat, freut sich Bachakademie-Intendantin Katrin Zagrosek besonders über die „schöne Bestätigung“ durch den Stuttgarter Gemeinderat, der im Dezember auf die Mittel für das Musikfest 2021 doch noch jene 115 000 Euro draufgesattelt hat, die er zuvor verweigerte. Zur Zukunftsfrage gehört freilich auch die Verjüngung des Publikums, und dazu kündigt Zagrosek „neue Formate an ungewöhnlichen Spielstätten zu niedrigen Eintrittspreisen“ an. Zum Beispiel ein „Liegekonzert“ in der Kirche St. Maria oder ein Wandelkonzert mit Tanz in der Galerie Kernweine. Oder eine Séance zwischen Schubert und Nick Cave mit Charly Hübner. Oder eine ganztägige Klangreise im Wizemann mit einem Alpentierkarussell für Kinder, 3D-Klangräumen und elektrifizierten Schütz-Psalmen mit „Orchestroniker“ Fabian Russ.

Klar, das bachakademische Kerngeschäft bleibt keineswegs auf der Strecke. Als Generationenzeuge, dass auch Klassik pur junge Hörer erreicht, war bei der Pressekonferenz der Architekturstudent Tom Seeger vertreten, einst Christus-Darsteller in der getanzten Matthäuspassion des Bach-bewegt!-Jugendprojekts. Auf die Frage, ob Bach tatsächlich die Jugend bewegt, antwortete er: „Ja – aber man muss manche zu ihrem Glück etwas schubsen.“ Die Probe aufs Schubs-Exempel macht Rademanns konzertante Aufführung der Matthäuspassion beim Musikfest.

Traditionelles Rückgrat

Das traditionelle Rückgrat des Festivals, die Reihe „Sichten auf Bach“, wird auf acht Termine erweitert (unter anderem mit der Niederländischen Bachvereinigung, dem Leipziger Thomanerchor, dem Cembalisten Andreas Staier und natürlich den Gaechingern). Und weil das heilignüchterne Motto selbstverständlich auch den Heiligen Geist höchstselbst meint, gibt’s neben Bach’schen Pfingstkantaten ein Eröffnungskonzert mit Rademann, den Gaechingern und einer Uraufführung von Mark Andre, dem Komponisten, der in seinen Werken stets dem Wehen des Geists nachspürt. Zum Finale schlägt dann ein Literaturtag die Brücke von Hölderlin zu Schiller, dessen „Lied von der Glocke“ Rademann in Max Bruchs romantischer Vertonung anschlägt.

12. Juni: Mark Andre: rwh2 (Uraufführung) sowie Werke von J. S. Bach. Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann. 19 Uhr, Stiftskirche.

13. Juni: Eine Séance zwischen Nick Cave und Franz Schubert. Charly Hübner (Stimme), Ensemble Resonanz. 18 Uhr, Mozartsaal.

14. Juni: J. S. Bach: Matthäuspassion. Gaechinger Cantorey, Rademann. 18 Uhr, Beethovensaal.

16. Juni: J. S. Bach: Schemelli-Lieder u. a. Hana Blazikova (Sopran), Andreas Staier (Cembalo) u. a. 13 Uhr, Stiftskirche.

19. Juni: Guillaume Connesson: Flammenschrift. Beethoven: Violinkonzert. Messiaen: L’Ascension. Anna Tifu (Violine), Stuttgarter Philharmoniker, Stephane Brunier. 20 Uhr, Beethovensaal.

20. Juni: Klangreise. Ganztägig ab 11 Uhr, Wizemann.

24. Juni: Jan Dismas Zelenka: Missa Sancti Spiritus, Litaniae Lauretanae. Dresdner Kammerchor, Ensemble Inégal, Adam Viktora. 19 Uhr, Stadtkirche Bach Cannstatt.

25. Juni: Messiaen: Trois petites liturgies. Mendelssohn: Wie der Hirsch schreit. Skrjabin: Poème de l’extase. SWR Vokalensemble, SWR Symphonieorchester, Eliahu Inbal. 20 Uhr, Beethovensaal.

27. Juni: Max Bruch: Das Lied von der Glocke. Gaechinger Cantorey, Sinfonieorchester Basel, Rademann. 19 Uhr, Beethovensaal.

Karten: ab sofort bei den üblichen Vorverkaufsstellen sowie unter

www.musikfest.de