Szene aus „Geächtet“ mit Jillian Anthony als Jory und Patrick Khatami als Amir. Foto: Haymann Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart -„Weiße Frauen haben keine Selbstachtung - sie sind alle Huren.“ Amir tobt. Er stößt seine Frau mit brutaler Geste von sich. Noch ist diese Szene einer Ehe ein Spiel zwischen Partnern unterschiedlicher kultureller Herkunft. Amir ist Erfolgsanwalt in einer renommierten Kanzlei und islamischer Apostat, hat pakistanische Wurzeln und ein todschickes Edel-Loft über den Dächern von Manhattan. Seine uramerikanische Frau Emily sieht als aufstrebende Malerin nur die Schönheit des Formenreichtums der traditionellen islamischen Kunst. Das hat Zündstoff. 90 Minuten später wird Amir alles verloren haben, was seinen Status ausmachte: toller Job, klasse Frau.

Mit dem Drama „Geächtet“ gewann der pakistanischstämmige Amerikaner Ayad Akhtar 2013 den Pulitzer Preis. Es gilt auch in Deutschland als Stück der Stunde. Jetzt hatte das dialogstarke, aber handlungsarme Kammerspiel in der Regie von Karin Boyd Premiere am Alten Schauspielhaus.

Diskussionen am Designertisch

Patrick Khatami zeigt die Verletzlichkeit und das Brüchige im Charakter dieses überangepassten Amir mit den superteuren Hemden, der nicht ganz legal seinen Namen von Abdullah in Kapoor ändert, was indisch klingt und damit geeigneter ist als Türöffner in die Welt der Mächtigen und Reichen. Obwohl er inzwischen zur Gesellschaft dazugehört, muss er sich die Frage gefallen lassen, wo sein Platz sei: gestellt von Isaac, einem einflussreichen Kurator, der als Karrierebeschleuniger von Emily fungiert. Aus diesem Grund ist er zum Dinner eingeladen mit seiner Frau Jory (Jillian Anthony mit beeindruckender Sturmfrisur, wunderbar souverän und abgeklärt, auch als Ehefrau). Sie arbeitet mit Amir in derselben Kanzlei. Der Abend gerät zum Desaster. Nicht weil sie einen afroamerikanischen Migrationshintergrund hat, Isaac jüdischer Abstammung ist (Markus Angenvorth spielt den blasierten Kunstfuzzi mit unerschütterlicher Steifheit).

Alle vier scheitern kläglich an diffusen Ängsten und festzementierten Vorurteilen, obwohl alle die intellektuellen agnostischen Codes dieser vermeintlich weltoffenen Gesellschaft beherrschen.

Die Diskussionen am Designertisch beim gepflegten Whiskey sind anfangs von ironischer Brillanz und intelligenter Schärfe, gewinnen aber schnell an Brutalität und Plumpheit, wobei die anfangs verhohlene Verachtung langsam in offene Anfeindung und Aggressivität umschlägt. Haben diese feinen psychologischen Sozialstudien in Yasmina Rezas Partnerkriegen eine gewisse französische Eleganz und großzügige Nonchalance, so ist das verbale Gemetzel bei Ayad Akhtar nicht funkelnd-lakonisch, sondern zunehmend perfide und brutal.

Das Spiel wirkt sehr statisch, die Körpersprache gebremst. Da hätte man sich von der Inszenierung etwas mehr Dynamik und Spannung gewünscht, zumal auch Barbara Krotts gediegen-edle Ausstattung wenig fürs Auge bietet. Meist sitzen die Schauspieler gelangweilt auf dem Sofa oder am Tisch - belangloses Pärchen-Bla-Bla, das sich in die Länge zieht, bis die Sprache auf Amirs Etikettenschwindel mit dem Namen kommt. In einem Zeitungsartikel über die Verhandlung eines angeklagten Imams, dem Amir seiner Frau und seinem Neffen Abe (Mark Harvey Mühlemann) zuliebe geholfen hat, stand nicht nur sein Name, sondern auch der seiner Kanzlei. Ende der Karriereleiter.

Er wird den Job an die Afroamerikanerin verlieren, die sich aus dem Ghetto hochgearbeitet hat. Ihr Mann begutachtet indessen nicht nur die künstlerische, sondern auch die erotische Qualität der vielversprechenden Malerin. Nimmt dafür aber auch die Bilder Emilys in seine nächste Ausstellung auf mit dem bezeichnenden Titel „Aussichtslose Helden.“

In seiner aggressiv-zynischen Arroganz ist Angenvorth unschlagbar. Er knöpft sich Amir vor, fragt, ob er Muse oder Mohr für Emily sei, die ihn als stolzen, aber auch schamhaften Sklaven nach dem Vorbild des spanischen Künstlers Velázquez gemalt hat. Amir kann sich dem diabolischen Spiel nicht entziehen, gerät in einen Strudel, in dem ihm das positive Gefühl für den eigenen Wert abhandenkommt. Er verliert immer mehr Selbstachtung und lässt sich zu dem provokativen Satz hinreißen: „Der nächste Terroranschlag wird jemand verüben, der etwa so aussieht wie ich.“

Amir warnt, im Koran stehe, dass Männer ihre Frauen schlagen. Obwohl er es zutiefst ablehnt, wird er später ausrasten und Emily (Natalie O‘Hara als naiv-gedankenloses Seelchen) brutal zusammenschlagen. Schließlich gibt er zu, einen gewissen Stolz beim Anschlag am 11. September 2001 empfunden zu haben. „Das ist stammesgebunden. Das steckt in den Knochen“, ist der ergreifendste Satz des Abends - will ja heißen, die Gefahr schlummert in jedem Einzelnen. Hyperassimiliert hat Amir die Anerkennung der Gesellschaft nicht geschafft. Er steht vor dem Scherbenhaufen seines hoffnungsvollen Lebensmodells. Ein klares Zeichen für seinen Neffen, sich zu radikalisieren. Er nennt sich jetzt Hussein und trägt ein Gebetskäppchen.

Vorstellungen bis 2. Dezember im Alten Schauspielhaus. Karten unter Tel. 0711-2265505.