Jeder für sich, alle gegen eine: Kristin Göpfert als Elisabeth (links, mit Stephanie Biesolt und Ralph Hönicke). Foto: Patrick Pfeiffer - Patrick Pfeiffer

Der Regisseur Alexander Müller-Elmau rückt das Sozialdrama von 1932 in die nahe Zukunft: als Warnung vor einer Prekarisierung weiter Teile der Gesellschaft. Am Samstag hat die Inszenierung im Esslinger Schauspielhaus Premiere.

EsslingenVielleicht wurde Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ noch vor wenigen Jahren – und bei allem Respekt vor dem großen sozialkritischen Autor – insgeheim als doch etwas vergangen abgetan: als Moritat aus der kollektiven Armutsfalle, vor der unsere tollen Sozialsysteme mittlerweile die allermeisten bewahren. Der Regisseur Alexander Müller-Elmau, der das Stück mit dem biblischen Titel und dem Untertitel „Ein kleiner Totentanz“ an der Esslinger Landesbühne inszeniert, sieht das ganz anders. Das Sozialdrama von 1932 ist für ihn nicht nur Horváths „aktuellstes Stück“, sondern eine Warnung vor unschönen Aussichten. Deshalb lässt er die Geschichte der mittel- und erwerbslosen, aber überaus hoffnungsfrohen Elisabeth, die nur wegen eines fehlenden Wandergewerbescheins in den Fängen der Justiz und schließlich im Suizid endet, nicht in der Vergangenheit, aber auch nicht heute spielen. Sondern in „nächster Zukunft“: als „schwarze Vorausschau“, ausgehend von einer Gegenwart, in der schon längst die Prekarisierungswelle rollt, in der Langzeitarbeitslose, Geringverdiener, Abgehängte und nicht zuletzt etliche Migranten aus jeder sozialen Perspektive und Wertschätzung herauskippen – mit der Folge materieller Verarmung. Wenn dann nach Jahren der Hochkonjunktur in Deutschland noch eine Rezession hinzukommt, wird die Prekarisierung zum Massenphänomen – und die „nächste Zukunft“ ist da.

Der Pamphlet-Charakter allein ergibt freilich noch kein Theaterstück, deshalb kommt Horváths Gesellschaftsporträt ins Spiel: Quer durch alle Schichten sind die Personen „egoistisch, wehleidig und unfähig zur Empathie“, sagt Müller-Elmau. „Jeder denkt nur daran, was ihm gerade weggenommen wird.“ Für den Regisseur, der als Beispiel die Anti-Fahrverbot-Demonstrationen nennt, ein ebenso aktueller Zug wie die vom Autor diagnostizierte und dargestellte Sprachlosigkeit: „Die Figuren drücken sich nur durch Selbstmitleid oder Floskeln oder beides zugleich aus.“ Die Dramaturgin Anna Gubiani sieht in diesem entfremdenden „Bildungsjargon“ – dem Nachplappern antrainierter Phrasen – die Blockade der Verständigung und der Selbstwahrnehmung. Und laut Müller-Elmau bestimmt die Floskelhaftigkeit längst auch die Rhetorik von Politikern in Talk-Shows und sozialen Netzwerken. Um der heutigen Kenntlichkeit willen hat er Horváths Text „an wenigen Stellen und behutsam“ modernisiert.

Zugrunde geht die junge Elisabeth in dem Stück an keinem „großen“ Schicksal, sondern an kleinen, aus der Not geborenen Regelverstößen und einem Wust aus Bürokratie und Paragraphen. Müller-Elmaus eigenes Bühnenbild stellt deshalb der Spielebene eine zweiten, durch Plastikfolie abgetrennten Raum gegenüber: das Polizeirevier, aber auch eine Art Zentrale der „völligen Vereinzelung“, aus der nur Text- und Gedankenfetzen tönen. Und weil die radikalste Vereinzelung der Tod ist, wird das Ende gleich zu Beginn der Inszenierung vorweggenommen: das Figurentableau um die nach ihrem Suizidversuch sterbende Elisabeth.

Die Premiere beginnt an diesem Samstag, 6. April, um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Nächste Vorstellungen: 11. April, 15. und 26. Mai, 1. Juni und 19. Juli.