Was sieht man, wenn man nichts sieht: Diese Erfahrung konnten Passanten am „Tag des weißen Stockes“ sammeln. Claudia Lychacz (Dritte von links) hat die Interessierten in die Welt der Sehbehinderten eingeführt. Foto: Krytzner - Krytzner

Am „Tag des weißen Stockes“ hat die mit dem grauen Start geborene Claudia Lychacz Interessierte in die Welt der Sehbehinderten eingeführt.

PlochingenFür Sehende ist die Welt der Sehgeschädigten und Blinden kaum vorstellbar. Umgekehrt genauso, zumindest bei Schäden von Geburt an. Claudia Lychacz kam mit grauem Star zur Welt und hatte damals ein Sehvermögen von 80 Prozent. „Ich hatte mit sieben Monaten meine erste Operation am Auge. Beim 60. operativen Eingriff habe ich aufgehört zu zählen.“ Bis heute wurde Claudia Lychacz nahezu 100 Mal an den Augen operiert. Ihre Sehfähigkeit verbesserte sich durch die Eingriffe jedoch nicht. Im Gegenteil: „Beim Abitur im Jahr 1999 lag mein Restsehvermögen noch bei 50 Prozent und heute sind es noch zwei.“

Das abnehmende Sehvermögen führte bei der Sehbehinderten dazu, dass sie ihr Studium abbrechen musste und ihren Wunsch, Kinderärztin zu werden, aufgab. Den Lebensmut hat Claudia Lychacz jedoch nicht verloren. „Ich bin durch die Behinderung viel taffer geworden und kann mich besser durchsetzen“, sagt die 29-Jährige. In Plochingen hat Claudia Lychacz nun Interessierte begleitet und sie zum Abschluss der „Woche des Sehens“ in die Welt der Sehbehinderten eingeführt. Dort konnten sich Passanten am Stand der EUTB (Ergänzende, unabhängige Teilhabeberatung) über die Sehbehinderung informieren und mit verschiedenen Brillen die unterschiedlichen Sehstärken ausprobieren. Bei mehreren Spaziergängen in totaler Blindheit konnte der Gang mit dem Blindenstock getestet werden.

„Oft verkrochen und geheult“

Claudia Lychacz hat oft mit dem Schicksal gehadert – und das passiert auch heute manchmal noch –, weil sie vom Sehen in Etappen Abschied nehmen musste. „Es ist ein jahrelanger Prozess. Da habe ich mich zwar oft verkrochen und geheult, habe aber immer wieder ins Leben zurückgefunden.“ Besonders bitter war der Moment, als für Claudia Lychacz klar wurde, dass sie nicht mehr alleine klar kommt, nicht mehr den Alltag bewältigen kann – und auf fremde Hilfe angewiesen ist. „Ich hatte immer alles unter Kontrolle. Da wird es ganz schwierig, Verantwortung abzugeben oder jemanden um Hilfe zu bitten.“

Es blieb ihr aber nichts anderes übrig. Sie machte sich mit dem Blindenstock – auch weißer Stock genannt – bekannt, bat Nachbarn um Hilfe und hat seit kurzem einen Blindenführhund. „Der Nachbar nimmt mich am Samstag jeweils zum Einkaufen mit. Wir haben viel Spaß, und ich bin sehr froh, dass es ihn gibt.“ Seit Claudia Lychacz mit ihrem helfenden Vierbeiner unterwegs ist, haben sich zudem interessante Kontakte ergeben. „Ich habe Menschen kennengelernt, denen ich als Sehende wohl kaum Beachtung geschenkt hätte. Mein treuer Begleiter ist Brückenbauer und Türöffner.“ Dennoch ist sie mit dem Blindenführhund nicht überall willkommen. „In öffentlichen Gebäuden ist der Zugang mit meinem Hund kein Problem, aber es gibt viele Orte, an denen Hunde nicht erlaubt sind.“

Obwohl die Welt der Blinden nicht gerade farbenfroh ist, gibt es immer wieder fröhliche Momente und komische Situationen. „Ich habe in einem Kaufhaus mal nach dem Weg zur Rolltreppe gefragt. Die Person antwortete auch nach dem dritten und lauten Befragen nicht, als eine Dame aus dem Hintergrund zu mir meinte: ‚Sie sprechen mit einer Schaufensterpuppe.’“

Im Alltag ergeben sich laufend Situationen, die zum Teil auch wütend machen. „Fahrradfahrer, die nicht klingeln und plötzlich an einem vorbeizischen, oder Autofahrer, die an Zebrastreifen nicht anhalten.“ Etwas traurig erklärt die Sehbehinderte dann: „Die Welt wird klein, wenn man nichts mehr sieht.“ Sie behilft sich mit Hören und Riechen. „Wenn ich eine Apotheke suche, kann ich mich auf den Geruchssinn verlassen.“ Hindernisse gibt es in der Welt der Blinden viele. „Treppen haben es in sich, besonders wenn die Stufen unterschiedlich hoch sind.“ Wer noch über ein kleines Restsehvermögen verfügt, wird von Licht und Schatten geplagt. „Wenn ich aus dem Schatten ins Sonnenlicht trete, wird das unglaublich hell und die Augen schmerzen.“

„Es gibt mehr als meine Augen“

Claudia Lychacz wünscht sich, dass alle Lichtsignalanlagen umgerüstet werden. „Sie sollen piepsen oder klackern. Das wäre für die Sehbehinderten eine große Hilfe. Das Vibrieren bringt nichts, weil man da den Knopf anfassen muss.“ Ein weiteres Hilfsmittel ist das Handy. Einige Smartphones sind mit einer Sprachausgabe ausgestattet, die es auch Sehbehinderten ermöglicht, das Handy zu benutzen. „Die Wissenschaft ist auf dem richtigen Weg. Es gibt sogar Brillen, die mit speziellen Kameras ausgestattet sind oder Navigationsgeräte für Blinde“, sagt Claudia Lychacz.

Sie möchte nicht nur über ihre Blindheit definiert werden. „Es gibt ja noch mehr als meine Augen. Viele Menschen vergessen, dass man sich mit mir auch über Politik oder Fußball unterhalten kann.“ Träume hat die Sehbehinderte, auch wenn die nächtlichen Träume meist farblos sind und nur das darstellen, was sie tagsüber erlebt. „Ich träume von einem sicheren Arbeitsplatz mit einer unbefristeten Anstellung. Und von Irland. Auch wenn es noch 20 Jahre dauern sollte, irgendwann stehe ich dort an der Küste.“

Weitere Infos gibt’s unter www.neuearbeit.de oder Telefon 07153 / 6166105.