Christoph Poschenrieder wechselt gern die Erzählperspektive. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Das Gespräch mit den Besuchern hat der Autor Christoph Poschenrieder bei der „Kulturzeit“ in Wendlingen sehr genossen. Er stellte seinen neuen Roman „Kind ohne Namen“ vor und plauderte über seine nächsten Projekte.

WendlingenAuf dem Handyberg treffen sich nicht nur junge Leute der verlassenen Gegend. Auch die Fremden zieht es auf den höchsten Punkt der Gegend – den einzigen Ort in dem Kaff, an dem Mobiltelefone Empfang haben. Alles, was da oben fehlt, ist ein Kiosk. Leicht und humorvoll beschreibt Christoph Poschenrieder in seinem Roman „Kind ohne Namen“ das schreckliche Misstrauen der Zurückgebliebenen, denen die Geflüchteten Angst machen. Der einzige Halt, der ihnen bleibt, ist die moderne Kommunikation: „Telefone, das sind die Luftwurzeln, die weit reichen, dorthin, woher sie gekommen sind, diese Leute.“ Zur Eröffnung der „Kulturzeit“ kam der 54-jährige Autor in den Wendlinger Treffpunkt Stadtmitte.

Kritische Gegenleserinnen

Dass der Wahl-Münchner humorvoll ist, spürt man schnell. Er hatte großen Spaß daran, sich vor der Lesung und in der Pause unters Publikum zu mischen. Mit Wein, Wasser und Schnittchen sorgten Treff-Leiterin Heike Hauss und ihr Team für eine schöne Atmosphäre. „Kind ohne Namen“ ist im September 2017 erschienen (Diogenes-Verlag, 22 Euro). Dabei schreibt der Autor zum ersten Mal aus weiblicher Perspektive. Wie hat er das erlebt? „Eine Herausforderung war es gewiss“, räumte Poschenrieder ein. Als Autor sei er es gewohnt, andere Blickwinkel zu beziehen. Sein Roman „Das Sandkorn“, 2014 in die Longlist des Deutschen Buchpreises aufgenommen, ist aus der Perspektive eines homosexuellen Kunsthistorikers und spielt im Jahr 2015. „Aus der Sicht einer Frau zu erzählen, ist dennoch eine besondere Erfahrung“, findet der Schriftsteller. Da sei er froh gewesen, mit seiner Frau und der Lektorin kritische Gegenleserinnen zu haben.

In „Kind ohne Namen“ spürt man die Lust des Autors am Fabulieren. Seine Ich-Erzählerin Xenia hat ihre Heimat verlassen, hat an der Universität studiert. Da fühlte sie sich selbst als Fremde, wurde von den coolen Großstadtmenschen ausgegrenzt: „In meinem beschränkten Horizont gehört Weißmehlunverträglichkeit in die hippen Viertel der großen Städte, dahin, wo die Veganerläden sind. Als ich an der Uni war, gab es kaum eine Kommilitonin, die ohne Ess-Macke auskam. In der Mensa zeigten sie entgeistert auf mein Tablett: Das isst du? Sie dachten wohl, weil ich vom Land komme, hab ich den Magen eines Schweins.“ Als sie wieder zurückkehrt, ist sie schwanger. Und das Leben im alten Umfeld gerät aus den Fugen. Selbst der Pfarrer und der Arzt sind weg.

Kritisch betrachtet Poschenrieder seine Gegenwart. Er versteht es, die Leser für seine Figuren zu begeistern, lässt das Publikum tief in ihr Inneres blicken. Dass er die schrägen Züge der Hauptfigur Xenia mit einer gewissen Verwunderung porträtiert, macht den Reiz seines neuen Buches aus.

Am Rande plauderte der Künstler schon über sein nächstes Projekt. Mit einem Stipendium des Kulturamts der Stadt München forscht er in Amsterdam über den Autor Gustav Meyrink, der 1914 mit dem Roman „Der Golem“ einen Klassiker der phantastischen Literatur schuf. Poschenrieder interessiert sich für die Widersprüche des Künstlers, dessen kritischer Blick auf die Gesellschaft ihn fasziniert.