Günter Schneidewind liest aus seinen Rock- und Popgeschichten. Foto: Bail - Bail

Der Rockexperte des SWR las in Ostfildern aus seinen Geschichten. Viele Stars hat der Moderator persönlich getroffen und interviewt.

OstfildernIn drei Tagen wird er 65 und im Sommer geht er in Rente. Das glaubt kein Mensch. Günter Schneidewind, der Rock- und Popexperte von SWR 1, hat sich gut gehalten. „Der große Schneidewind“ zählt zu den wenigen Menschen, die markant altern. Ja, die im Alter sogar noch besser aussehen als in jungen Jahren – auch mit schütterem Haar. Den Ruhestand nimmt ihm sowieso keiner ab, wenn man den Tourplan seiner Show „In Teufels Küche“ und seiner Lesungen anschaut. Wäre auch schade, so glänzend-beiläufig, wie das Musiklexikon auf zwei Beinen seine Zuhörer unterhält – und das nicht nur als Hörfunkmoderator, sondern auch als Entertainer auf der Bühne. Das Publikum im restlos ausverkauften kleinen Saal an der Halle in Nellingen, wo Schneidwind auf Einladung der Buchhandlung Straub auftrat, ging nach einem erinnerungsseligen Abend beglückt nach Hause, viele mit einem Buch unterm Arm.

An diesem Abend passte einfach alles zusammen: die Stimmung, die Musik, die Geschichten und die Dramaturgie. Schneidewind präsentierte eine stimmige Mischung aus Musikschnipseln, Intervieweinblendungen, Erzählungen und kurzen Lesepassagen aus seinem zweiten Band der Rock- und Popgeschichten, die im vergangenen Jahr bei Klöpfer & Meyer unter dem Titel „Der Große Schneidewind – Hits und Storys“ erschienen sind. Sympathisch-offen erzählt er den Zuhörern das „hochtrabende Attribut“, das er von Kollegen wegen seines enormen Wissens, analog zum „Großen Brockhaus“, verliehen bekommen hat.

Und schwupps ist man mittendrin im Namedropping von Showgrößen von Leonard Cohen über Ian Gillen bis zu Marianne Faithfull. Der Witz ist, er kennt sie wirklich. Er hatte tatsächlich alle – zumindest vor dem Mikrofon. Bei dem Sixties-Girl war der einstige Deutsch- und Englischlehrer aus der DDR sogar schon zu Hause. Allerdings 40 Jahre nachdem Faithfull Mick Jaggers Geliebte war. Manfred Mann stand ihm Rede und Antwort und verriet sein Berufsethos: „Showbusiness is like sex,“ verkündete der Spezialist für Moog-Synthesizer. „Wenn’s gut ist, ist es in Ordnung. Wenn’s nicht gut ist, ist es auch okay.“

Man spürt schon nach den ersten zehn Minuten, dass da ein Profi unterhält. In angenehmem Plauderton spricht er über die Erlebnisse mit Größen der Rock- und Popgeschichte von den 60-er-Jahren bis heute. Unterhaltsame Anekdoten wechseln sich ab mit Biografischem. „Hottentotten-Musik“ schimpfte sein verärgerter Vater 1968 über Brian Jones, einem der Gründer der Rolling Stones. Und viele Zuhörer können’s nachfühlen: „Genau“, entfährt es einem Besucher – die Einstellung der älteren Generation zu Beat war vor 50 Jahren hüben wie drüben nicht entspannt.

Die Qualen der Abstinenz

Joe Cocker jammerte 2014 in einem Interview über die Qualen der Abstinenz: „Nicht Saufen zu dürfen ist die Strafe Gottes.“ Sechs Monate später war der begnadete Rock- und Bluessänger tot. Das Publikum erfährt, wie das charmante Liedchen von Beatles-Schlagzeuger Ringo Starr durch Cocker zur gefeierten Bluesrock-Hymne mit dem legendären Cry-out am Ende mutierte. Auch die Geschichte mit Jimmy Page ist gut. Der Led-Zeppelin-Gitarrist spielte mit 17 für Caterina Valente. Er war jung und brauchte das Geld Anfang der 60-er-Jahre. Der gefragte Studiomusiker war auch dabei, als Shirley Bassey in Ohnmacht fiel beim Halten des letzten Tons im „Goldfinger“-Song.

Die Musiker und Sänger, die Günter Schneidwind wieder aufleben lässt, sind in die Jahre gekommen, wie die Vintage Vinyl-Platte der Stones, die als Deko an der Wand lehnt. Publikum, Moderator und Musik eint ein gewisser Shabby-Chic, der total im Trend liegt: Alter adelt. Wenn Titel eingespielt werden, wippen die Füße begeistert mit und man spürt einfach, dass es manche nur schwer auf dem Sitz hält. Wobei auch jüngere Fans Gefallen an den Oldies finden und die in der Pause sogar am Büchertisch stehen, wo der leutselige Radiomann selbstverständlich handsigniert.

Als Udo Lindenberg 1983 in seinem „Sonderzug nach Pankow“ über Erich Honecker spottete, unterrichtete Schneidewind noch als Lehrer im „Arbeiter- und Bauernstaat“. Jahrzehnte später traf er den Rockmusiker in einem Münchner Hotel, kurz nachdem der aufgestanden war: um 20 Uhr. Nach Ende des Interviews wollte der noch „Likörchen und Bierchen“ trinken. Aber gezielt. „Nicht mehr nach der Mengenlehre.“ Das Ende vom Lied war, dass ein ziemlich angeschickerter Moderator in den Zug nach Stuttgart stieg.

Zeuge eines handfesten Ehekrachs

Das gemeinsame Pinkeln mit Ian Gillen wäre kaum erwähnenswert, wenn’s der Sänger von Deep Purple nicht in der Live-Sendung ausgeplaudert hätte. Das Angenehme an Günter Schneidwind ist, dass er die Stars nicht bloßstellt. Auch dann nicht, wenn er Zeuge eines handfesten Ehekrachs, wie dem zwischen Paul McCartney und seiner damaligen Frau Heather Mills in Köln wurde. „Das wirst du bezahlen“, soll sie den Ex-Beatle angekeift haben. Er ahnte ja nicht, dass es 30 Millionen werden würden.