Quelle: Unbekannt

Für Eltern von verstorbenen Kindern hat der Steinbildhauer Joachim Kreutz einen Workshop angeboten. Durch künstlerisches Wirken konnten sie ihrer Trauer Ausdruck verleihen.

KöngenDer Kompressor dröhnt, eine Schleifmaschine surrt, Hammerschläge lärmen. Auf dem Betriebshof am Köngener Friedhof spritzt Muschelkalk in alle Richtungen, Steinstaub-Wolken wabern durch die Luft. Auf einem langen Tisch liegt Werkzeug zur Steinbearbeitung bereit, Schleif- und Polierscheiben, grobe Bürsten und feine Pinsel. Mit rundkopfigen Holz-Knüpfeln und Schlag-Eisen bearbeiten Mütter und Väter große Steine. Sie alle haben ein Kind verloren. Für Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind, „Sternenkinder“, gibt es seit gut einem Jahr auf dem Köngener Friedhof eine Gedenkstätte, an der die Trauer Gestalt annehmen kann. Angehörige haben damals Stein-Plastiken erarbeitet, angeleitet vom Frankfurter Bildhauer Joachim Kreutz, der auch die zentrale Skulptur einer geöffneten Hand geschaffen hat. Initiiert und bezahlt hat das die Gerhard-und-Christa-Maier-Stiftung. Sie hat auch einen erneuten Workshop finanziert.

„Es erfordert sehr viel Mut, an diesem Kurs teilzunehmen und sich dem sehr persönlichen und sehr emotionalen Thema zu stellen. Bei der Arbeit mit dem Stein werden Gefühle, die bisher emotional waren, plastisch und materiell. Es geht darum, die Empfindungen in die Welt zu stellen“, sagt Joachim Kreutz. Intuitiv entscheiden sich die Teilnehmer für einen Stein, mit dem sie einen oder mehrere Tage arbeiten möchten: „Mir war sofort klar: Das ist meiner. Er hat von sich aus eine leichte Herzform, die ich noch stärker herausarbeiten möchte“, erzählt eine Teilnehmerin. Als Kreutz ihr vorschlägt, die beiden schon gut sichtbaren Herzhälften in der Mittelachse ein wenig gegeneinander zu verdrehen, fühlt sie sich verstanden: „Genau das ist es, genau so fühlt es sich in meinem Herzen an.“

Mit der Leerstelle weiterleben

Sie sei sich nicht sicher gewesen, ob sie nach dem Tod ihres Kindes stark genug für diesen Kurs sei: „Aber die harte körperliche Arbeit am Stein tut mir gut. Und es wird etwas Schönes entstehen.“ Auch die junge Frau neben ihr bemerkt eine Veränderung: „In der ersten Stunde habe ich nur den Stein bearbeitet, eine Kerbe neben die andere gesetzt. Da war einfach noch zu viel Nachdenken. Jetzt löst sich das langsam, jetzt kann ich das freier angehen.“ Ob die Skulptur aufs Grab ihres Sohnes kommt oder im Garten einen Platz findet, will sie in aller Ruhe entscheiden.

Ein Vater, der wie alle an diesem Nachmittag ohne jegliche bildhauerische Vorerfahrung gekommen ist, betont: „Am Anfang hat Joachim Kreutz uns gesagt: ‚Was man am Stein wegschlägt, das ist weg. Damit muss man leben, es ist eine Herausforderung, etwas Neues daraus zu machen.‘“ Diese Situation stehe symbolisch für das Paar oder die Familie, die den Verlust eines Kindes zu beklagen hat und mit dieser Leerstelle weiterleben muss. Eine junge Frau, deren Kind in diesem Sommer starb, findet Bild und Worte für den Verlust: „Mein Stein erinnert an ein Herz. Und diese Höhlung hier, die ich jetzt noch vertiefen möchte, die steht für das Loch in meinem Herzen.“ Eine andere Kursteilnehmerin hat bewusst einen Stein gewählt, der bereits durchlöchert ist: „Das steht für etwas Fehlendes. Und jetzt klopfe ich mich an meine Vision heran, dass das eine Art Durchgang oder Ausblick für mich wird.“

Der junge Mann nebenan bemerkt fasziniert, dass er unbewusst fünf Körper im Halbrund aus seinem Stein herausgearbeitet hat: „Das ist unsere Familie, und da gehört unser verlorener Sohn einfach mit dazu. Wie wunderbar das in der Symbolik ist: Wir sind als Familie nicht verloren.“ In dem Freiluft-Atelier herrscht an diesem sonnigen Herbsttag eine arbeitsame und konzentrierte, aber dennoch entspannte Stimmung zwischen den Vätern und Müttern, die bei aller Trauer auch miteinander lachen können.

Als von einer Arbeit ein großes Stück abbricht, ist Joachim Kreutz zur Stelle. Natürlich ließe sich das mit Steinkleber kitten. „Aber der Riss bleibt. Vielleicht ist es besser, zu dem Verlust zu stehen“, meint er und betont: „Es gibt keine ausweglose Situation.“ Mutig sucht er für den Stein eine neue Perspektive, stellt ihn aufrecht auf eine Kante, sägt, schleift und gewinnt so für die Skulptur eine neue Form der Stabilität. Joachim Kreutz ist bei diesem Workshop nicht nur Künstler und Handwerker, sondern auch Begleiter, Psychologe und Tröster, der immer wieder beeindruckt ist, wie Trauer in schöpferische Kraft umgewandelt wird: „Im Trauerprozess entsteht die Kunst aus großer Tiefe.“

Gedenkstätte „Sternenkinder“

Ort der Erinnerung: Im Zentrum des von Bäumen und Büschen umstandenen Areals neben dem Urnengemeinschaftsfeld auf dem Köngener Friedhof steht eine große offene Hand, die der Bildhauer Joachim Kreutz aus dunkelgrünem Diabas-Stein vulkanischen Ursprungs geschaffen hat. In dieser Hand ruht eine nach mathematischen Gesichtspunkten entwickelte geometrische Form aus Bronze. Im Halbkreis um die Skulptur gruppieren sich Steinskulpturen, die Angehörige von „Sternenkindern“ im Oktober 2018 beim Bildhauer-Workshop gestaltet haben. Ein Gedicht von Ludwig Uhland, ein geschwungener Weg und Bänke ergänzen diesen Ort der Erinnerung.

Bildhauer Joachim Kreutz: Der gelernte Flugzeugbauer entschied sich während des Maschinenbaustudiums für eine Lehre als Bildhauer. Nach der Meisterprüfung arbeitete er freischaffend als Künstler und als Lehrer. Er leitet eine offene Bildhauerwerkstatt, gibt Kurse über die Funktion des Bildhauens als soziales Element, arbeitet mit trauernden Eltern und hat bereits mehrere ähnliche Skulpturen-Projekte für „Sternenkinder“ geschaffen.

Maier-Stiftung: Ende 2017 wurde die Gerhard-und-Christa-Maier-Stiftung ins Leben gerufen, die seither immer wieder Projekte in Köngen finanziell unterstützt. So wurde von der Stifter-Familie auch die „Sternenkinder“-Gedenkstätte initiiert und finanziert ebenso wie die Bildhauer-Workshops, die durch die Familienbildungsarbeit Köngen organisiert werden.