Ein unbequemer Zeitgeist: Hans Huber hat sich nie verbiegen lassen. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

OB Roland Klenk bezeichnete ihn einmal als „geradlinigen Querdenker“. Hans Huber ist ein besonderer Mensch, der bis vorigem Jahr dienstälteste Gemeinderat Deutschlands, erhielt nun mit 93 Jahren die Ehrenbürgerwürde der Stadt Leinfelden-Echterdingen.

Leinfelden-EchterdingenKnorrig, knitz und für einen Mann im zehnten Lebensjahrzehnt unglaublich vital – so präsentierte sich einer der profiliertesten Kommunalpolitiker aus dem Landkreis Esslingen am Mittwochabend bei einem Festakt, der allein ihm gewidmet war: Hans Huber, der „radelnde Doktor im Flecka“, der widerborstige Diskutant, der profunde Heimatkenner, das liebevolle Oberhaupt einer großen Familie, erhielt die Ehrenbürgerwürde „seiner“ Stadt Leinfelden-Echterdingen. Der 93-Jährige ist er in jeder Hinsicht ein Unikum. Mit einer Rekordmarke machte er sogar bundesweit Schlagzeilen: Huber gehörte, bis er voriges Jahr verabschiedet wurde, 56 Jahre dem Gemeinderat an, so lange wie kein anderer zwischen Flensburg und Oberstdorf.

Wie einer in dem hohen Alter noch so viel Lebenskraft ausstrahlen und überall mitmischen kann? Huber ist das oft gefragt worden. An den Gene liege es nicht, sagt der Arzt. Als Mediziner hat er sich ein Leben nach strengen Regeln verordnet: viel Bewegung, kein Fleisch, jeden Morgen eine kalte Dusche. Augenzwinkernd begründet er seine Frische ganz simpel: „Radfahren, Knoblauch, Sex“.

Huber sei „kein einfacher Fall“, sagte OB Roland Klenk in seiner Laudatio. Nach so vielen Ehrungen, die Hans Huber schon zuteil geworden sind, habe er Mühe, neue Facetten seiner Besonderheit hervorzukehren. Als Rathauschef hat er den früheren Fraktionschef der Freien Wähler in der politischen Auseinandersetzung so erlebt: „Er hat Mut, keinerlei Berührungsängste, bleibt sich selbst treu und fährt einen konsequenten, festen Kurs.“ Diese Ambivalenz hatte Klenk schon bei anderer Gelegenheit mit „geradliniger Querdenker“ auf den Punkt gebracht.

Was ihn einmalig mache, sei „seine großartige Fähigkeit, sein berufliches Wirken als Arzt, seine Gemeinderatstätigkeit, sein ehrenamtliches Engagement in den vielen Vereinen und sein Hobby als Erforscher und Bewahrer unserer Heimatgeschichte so miteinander zu verknüpfen, dass diese unterschiedlichen Tätigkeiten zum Wohl unserer Stadt aufs allerbeste voneinander profitieren“. „Unfassbar viele Leistungen“ bescheinigte auch Eberhard Wächter, Hubers Nachfolger als Sprecher der Freien Wähler im Gemeinderat, dem neuen Ehrenbürger. Neben der harte Schale, die er gerne nach außen trägt, gebe es einen weichen Kern. Bei allem Draufgängertum sei in allem die Liebe seine wesentliche Antriebsfeder, so Wächter.

Seinen politischen Werdegang hat Huber schon oft erzählt. „Wie die Jungfrau zum Kind“ sei er 1962 in die Kommunalpolitik gekommen. Wegen seiner „frechen Gosch“ sei er bei einer Wahlveranstaltung aufgefallen. Und nach vier Viertele habe er sich für eine Kandidatur erweichen lassen. Seine hemdsärmelige Art kam an bei den Leuten. So gut, dass er sieben Mal zum Stimmenkönig avancierte. Nicht immer hat sich Huber mit seiner Art Freunde gemacht. Sehr gut erinnert sich der 93-Jährige an die heißen Kämpfe um die Ansiedlung der neuen Landesmesse auf Echterdinger Gebiet. „Die Messediskussion hat mir sehr geschadet.“ Anfangs strikt gegen das Großprojekt gewesen. Doch als er erkannte, dass die Ansiedlung nicht zu verhindern war, rückte er von seinem Nein ab und stimmte für Verhandlungen mit dem Land. Das haben ihm viele verübelt.

Trotz großen Termindrucks war Rainer Wieland, der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, nach Echterdingen gereist, um seinem alten Weggefährten und Bundesbruder, außer verbalen Streicheleinheiten auch „ein paar Frechheiten“ ins Stammbuch zu schreiben. Hans sei „ein Dickkopf, wie er im Buche steht“, sagte er einer witzigen, aber auch tiefgründigen Rede. Ein Begriff passe „genial“ zu seinem Wesen: „Nörgel-Huber“.

Der „alte Haudegen“, wie er in einem Zeitungsporträt mal bezeichnet wurde, zeigte sich nach so vielen lobenden und frotzelnden Worten gerührt. Er habe vielen zu danken, sagte der Geehrte in seiner Ansprache. „Auch dem Schicksal.“ Besonders hob Huber seine 36 Jahre jüngere Frau Susanne Ludwar hervor: „Mit ihr habe ich das große Los gezogen.“ In erster Linie sei er Arzt gewesen, sagte er rückblickend. 60 Jahre lang. Politisch sieht er sich als „erster Grüner“ seiner Heimatgemeinde. Umwelt- und Naturschutz habe er zum Thema gemacht, lange bevor die Öko-Partei gegründet worden sei. Hubers Blick auf die heutige Gesellschaft fällt sehr kritisch aus. Von Gemeinsinn sei nicht mehr viel zu spüren. „Zu viele leben auf Kosten der anderen.“ Überhaupt sei es ein Merkmal der heutigen Zeit, „dass viele Menschen verlernt haben nachzudenken“. Die ganze Welt kranke an Größenwahn und sei dem Irrglauben verfallen, dass alles machbar sei.

Als letztes Kapital seines langes Lebens wollte Huber die Ehrung nicht verstanden wissen. Ganz im Gegenteil: So wie er sich an dem Abend vor mehr als 200 Gästen präsentierte, ist von dem 93-Jährigen noch viel zu erwarten: dass er sich wie bisher mit Wortgewalt in kommunalpolitische Diskussionen einmischt, dass er als Heimatgeschichtler mit ungebremster Neugierde herumstöbert, dass er als Allgemeinmediziner weiter Hausbesuche macht, dass er als alter Charmeur Schokolädle an Frauen verteilt. Langweilig sei ihm nie, hatte er im EZ-Interview einmal gesagt. Aber er habe ein Problem: „Mir läuft die Zeit davon.“