Gesundheit! Die Grippewelle hat im Land und im Kreis ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Foto: dpa - dpa

Der Kreis kränkelt, die Wartezimmer sind voll. Mit schuld daran ist die starke Grippewelle. Im Kreis sind bereits drei Menschen in Folge der Influenza gestorben, in ganz Baden-Württemberg 37 Patienten.

Kreis EsslingenDas ist Rainer Graneis in seinen fast 30 Berufsjahren bislang noch nicht oft passiert: Wenn er und seine beiden Kolleginnen abends die hausärztliche Gemeinschaftspraxis in Nellingen verlassen, haben sie jeden Tag eine dreistellige Anzahl von Patienten mit einer Grippe oder einem grippalen Infekt verarztet. Für letzteren, der gemeinhin auch als schlichte Erkältung firmiert, sind zwar andere Viren als die Influenza-Erreger verantwortlich. Aber die Symptome gleichen denen einer richtigen Grippe, die sich durch hohes Fieber, Kopf-und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit und Husten auszeichnet – aber wesentlich schwerer verlaufen kann. Ob sein Patient nun eine richtige Influenza oder „nur“ einen grippalen Infekt hat, ist für den Vorsitzenden der Kreisärzteschaft Esslingen – nicht zuletzt angesichts der hohen Fallzahlen – von sekundärer Bedeutung. Aus gutem Grund: „Wir testen nur in begründeten Fällen, ob es sich um eine Grippe handelt und welcher Erreger sie ausgelöst hat. Zumal sich die Therapie der beiden Erkrankungen bei Menschen ohne gesundheitliche Vorbelastungen oder Risiken auch nicht groß unterscheidet.“

Von daher gesehen sind die Grippezahlen, die den Gesundheitsämtern gemeldet werden, „nur die Spitze des Eisbergs“, wie Angela Corea, Ärztin im Gesundheitsamt des Landkreises Esslingen und zuständig für das Sachgebiet Infektionsschutz, gleich richtig stellen will. Weist ein Labor einen Grippe-Erreger nach, muss es ihn der Behörde melden. Häufen sich Krankheitsfälle zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, muss auch das gemeldet werden. „Aber es ist davon auszugehen, dass nur bei einem kleinen Teil von Patienten eine Influenza-Diagnostik veranlasst wird“, heißt es auch aus dem Landesgesundheitsamt in Stuttgart.

Aus Sicht der Experten sprechen die Meldezahlen jedenfalls für eine starke Grippewelle, vergleichbar mit der im vergangenen Jahr. Allein im Kreis Esslingen hat sie bereits drei Todesopfer gefordert. Zwei davon waren durch chronische Erkrankungen vorbelastet, eines war hochbetagt. Landesweit sind bislang 37 Menschen in Folge der Influenza-Infektion gestorben, darunter zwei Kinder, so der Stand aus dem Landesgesundheitsamt vom Mittwoch, 21. Februar.

Die Momentaufnahmen aus dem Kreis Esslingen belegen im Zeitraum vom 1. Januar bis 20. Februar 481 gemeldete Grippefälle, darunter zwei Häufungen in Altenheimen, wovon eine noch anhält. Rund 65 Prozent dieser Grippefälle sind hervorgerufen durch bestimmte Erreger des Typus B – wie im ganzen Land. Das hatte in den vergangenen Tagen auch deshalb für Aufsehen gesorgt, weil es Zweifel an der Wirksamkeit des saisonalen Impfstoffs mit seinem Dreifachwirkstoff gegenüber diesen Erregern gab. Jüngsten Äußerungen aus dem Robert-Koch-Institut zufolge habe er jedoch im Moment eine Wirksamkeit von 46 Prozent, was bei der üblichen Schwankungsbreite zwischen 20 und 60 Prozent Wirksamkeit bei Grippeimpfungen nicht schlecht sei. Nur bei chronisch Kranken hat die Kasse bislang die Kosten für den teureren Vierfachwirkstoff übernommen, der auch den betreffenden B-Erreger besser abdecken soll.

Bisheriger Höhepunkt der Grippewelle war jedenfalls wie im Land auch im Kreis Esslingen die vergangene Faschingswoche mit kreisweit 125 gemeldeten Neuerkrankungen. Nimmt man die Anzahl der stationär in den Kliniken untergebrachten Grippe-Patienten als Indikator für die Schwere der Krankheit, zeichnet sich im Kreis Esslingen jedoch ein unterschiedliches Bild. Simone Busch, Gastroenterologin und Infektologin in der Medius-Klinik Ruit, hat zwar keine genauen Zahlen. Gefühlt teilt sie jedoch die Einschätzung der Kollegen aus der Praxis und aus dem Gesundheitsamt: „Wir haben derzeit sehr viele isolierte Patienten. Wir hatten letztes Jahr viele Grippefälle, dieses Jahr sind es noch mehr.“ Im Gegensatz dazu haben im Esslinger Krankenhaus zwischen 1. Januar und 20. Februar 2018 „nur“ 25 Menschen mit einem positiven Grippe-Labortest gelegen. Im Jahr davor waren es 82 Fälle, berichtet Jürgen Maier, Leiter der Hygienekommission im Klinikum.

Angela Corea vermutet, dass der Scheitelpunkt der Krankheitswelle erst in ein, zwei Wochen erreicht wird. Wissen kann man es freilich nicht, doch auch das Landesgesundheitsamt geht in den nächsten Wochen noch von einer „erhöhten Influenza-Aktivität“ aus. Und rät weiterhin zur Impfung, wobei die Kassen den Vierfachwirkstoff nach wie vor nur für Hochrisikopatienten übernehmen. Ob und welche Impfung für den einzelnen noch Sinn macht, solle man aber mit seinem Hausarzt abklären, meint Corea. Hat man bereits den Dreifach-Impfstoff im Körper, ist das Robert-Koch-Institut in Berlin zumindest bei Nicht-Risiko-Patienten eher zurückhaltend mit dem Nachimpfen.

Hoher Krankenstand im Land

Beim baden-württembergischen Gesundheitsministerium in Stuttgart sind seit Beginn der Grippe-Saison 2017/18 , also seit der 40. Kalenderwoche des Vorjahrs, landesweit bislang 12 861 Grippe-Fälle (Stichtag 21. Februar 2018) aufgelaufen. Die Behörde geht damit von einer vergleichbar starken Influenzawelle wie im gleichen Zeitraum des Vorjahrs aus, in dem ihr 12 941 Influenzameldungen gemeldet worden waren.

Der aktuelle Trend „spricht weiterhin für eine starke Grippewelle“, heißt es aus Stuttgart. Mit 3197 Fällen in der vergangenen Meldewoche sieben, also der Faschingswoche, hat das Landesgesundheitsamt die bisher höchste Anzahl jemals in einer Woche gemeldeten Influenzafälle verzeichnet. Für die laufende Meldewoche acht wurden mit Stand vom Mittwoch bereits 1444 Fälle übermittelt.

Deshalb empfiehlt das Landesgesundheitsamt weiterhin die Grippeimpfung, für die es in Baden-Württemberg keine Alterseinschränkung gibt. Die Krankenkassenverbände in Baden-Württemberg übernehmen allerdings nur bei Hochrisikopatienten die Kosten für den Vierfachimpfstoff, der im Ruf steht, gegen das derzeit dominante Influenza-B-Virus besser zu wirken als der von der Kasse bezahlte Dreifachwirkstoff. Derzeit werden auf alle Altersgruppen gesehen 66,65 Prozent der Grippe -Fälle im Land von Erregern des B-Typus verursacht. In der Altersgruppe 0 bis 9 Jahre liegt sein Anteil bei 42,2 Prozent (Stand: 21. Februar 2018). Wer überlegt, sich noch impfen zu lassen, kann sich weitere Informationen auf der Webseite des Robert Koch Instituts abrufen.

Von Claudia Bitzer