Alte Weggefährten: Domenico Foto: Bulgrin - Bulgrin

Wer am Donnerstag zufällig auf dem ASV-Gelände in Aichwald vorbeischaute, konnte dem berühmtesten Sohn der Gemeinde begegnen – Schalke-Trainer Domenico Tedesco.

AichwaldEs läuft doch top.“ Domenico Tedesco grinst wie ein kleiner Junge über beide Backen, als er das sagt. Vor einer Woche stand ihm als Trainer des Traditionsclubs Schalke 04 noch das Wasser bis zum Hals. 15 Punkte nach 16 Spielen, der schlechteste Bundesliga-Start der Königsblauen in den vergangenen 25 Jahren. Doch mit einem 3:1 beim VfB Stuttgart hat das Team sich und seinem Trainer erst einmal etwas Luft verschafft. Von Krise will der 33-Jährige nichts wissen. An diesem Tag schon gar nicht. Denn er ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, nach Aichwald. In der Schurwald-Gemeinde ist Tedesco aufgewachsen, hier ist er in die Grundschule gegangen und hier hat er beim ASV seine Trainer-Laufbahn begonnen. Das hat der Sohn einer Mitte der 1980er-Jahre eingewanderten süditalienischen Familie (geboren in Rossano in Kalabrien) nie vergessen. „Aichwald ist für mich Heimat. Es ist für mich wie nach Hause zu kommen“, sagt er beim Betreten des Vereinsgeländes am Ortsrand von Schanbach.

Tedesco ist diesmal nicht gekommen, um zu coachen oder zu kicken, er steht vor der Kamera, um Fragen zu Aichwald zu beantworten. Mit dem wohl berühmtesten Sohn der Gemeinde soll eine Sequenz für einen Imagefilm gedreht werden. Bürgermeister Nicolas Fink hatte Tedesco dazu schon vor langer Zeit eingeladen. Doch immer kam etwas dazwischen. An Donnerstagnachmittag, zwischen den Jahren, wenn die meisten Zeit zum Durchschnaufen haben, klappt es endlich. Für Fink buchstäblich in letzter Minute. Denn an Silvester endet nach zwölf Jahren seine Zeit als Rathauschef. Anfang des neuen Jahres beginnt offiziell seine Zeit als SPD-Landtagsabgeordneter.

Um keinen Rummel zu verursachen, wurde das Treffen vorher nicht publik gemacht. „Sonst hätten wir im Stadion ruckzuck volles Haus gehabt“, sagt der Noch-Bürgermeister. Denn die ganze Gemeinde sei stolz auf ihren „Dome“, wie viele Aichwalder ihn nennen. Einer hat das Glück, unverhofft auf den Trainerstar zu treffen. Andreas Eckstein wollte eigentlich nur mal schauen, ob die AH-Mannschaft an diesem frostigen Dezembertag auf dem Kunstrasenplatz spielen kann. Dass ihm dabei „Dome“ über den Weg läuft, hätte er sich nicht träumen lassen. Umso mehr freut er sich über die Begegnung. Die beiden kennen sich bestens und umarmen sich freundschaftlich. „Andi“ hatte „Dome“ in der F-Jugend trainiert. Ein wilder Bub sei sein Schützling als Achtjähriger gewesen, erzählt Eckstein. „Typisch italienisches Blut halt.“ Doch er erinnert sich nicht nur an Tedescos Temperament. „Er war schon damals sehr zielstrebig und ehrgeizig. Und er hat gut zugehört.“

Mit Akribie hat sich der studierte Wirtschaftsingenieur, der selbst nur in der Kreisliga A gespielt hatte, als Fußball-Lehrer emporgearbeitet. Beim ASV Aichwald trainierte er die zweite Mannschaft in der Kreisliga B. Doch das reichte ihm nicht. Als der VfB Stuttgart Jugendtrainer suchte, stellte er sich vor und wurde genommen, zunächst für das U-9-Team. Über einen Assistenten-Job bei Thomas Schneider arbeitete sich Tedesco hoch zum Trainer der Stuttgarter U 17. In der Szene wurde man auf den Deutsch-Italiener aufmerksam: Da reift ein Talent heran.

Die weiteren Stationen sind bekannt: 2015 wechselte er zu 1899 Hoffenheim. Gemeinsam mit dem damaligen Shooting-Star Julian Nagelsmann machte er in Hennef den Fußballlehrer-Lehrgang und schloss ihn als Jahrgangsbester mit der Traumnote 1,0 ab. Nagelsmann wurde Bundesliga-Trainer der Hoffenheimer, Tedesco übernahm von ihm die U 19 des Vereins. Im März 2017 bekam der damals 31-Jährige die große Chance: Er unterschrieb als Cheftrainer bei Erzgebirge Aue. Die Verpflichtung zahlte sich aus. Tedesco rettete das Team vor dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Zu Beginn der Saison 2017/18 übernahm er vom beurlaubten Markus Weinzierl den Chefposten bei Schalke 04 und wurde auf Anhieb Vize-Meister. „Das wurde gar nicht so wertgeschätzt“, sagt der 33-Jährige rückblickend. Aber ihm liegt es fern, darüber zu klagen. Das sei eben das schnelllebige Geschäft im Fußball. Heute top, morgen im Keller. Tedesco musste in Gelsenkirchen bittere Erfahrungen machen. Noch nie zuvor in seiner Trainer-Karriere habe er so viele Spiele hintereinander verloren, sagt er. Wie immer in solchen Krisen stand er als Cheftrainer schnell in der Kritik. Die Vorwürfe: Tedesco rotiere zu viel, er denke Fußball zu akademisch und er erweise sich zunehmend als beratungsresistent. Mit dem 3:1 beim VfB hat er sich zunächst einmal die schärfesten Kritiker vom Halse gehalten. Doch er weiß: Der Weg zurück nach oben ist verdammt schwierig.

Aus der Ruhe bringen lässt sich Domenico Tedesco deshalb nicht. Bei seiner Visite in Aichwald wirkt er gelassen und entspannt. „Du musst aus jeder Situation lernen und gerade dann, wenn es mal nicht so läuft, alles kritisch hinterfragen.“

Starallüren sind ihm fremd. Trotz seiner steilen Karriere ist er auf dem Boden geblieben. Das gilt auch für sein Äußeres. Jeans, Pulli, drüber ein Parka, dazu Turnschuhe – so fühlt sich Tedesco wohl. Er wirkt sehr konzentriert. Geduldig beantwortet der 33-Jährige alle Fragen. Gerne erfüllt er auch einen Wunsch seines Duz-Freundes Nicolas Fink: einen Eintrag ins Goldene Buch der Gemeinde Aichwald. Staatssekretäre oder Minister wie Guido Wolf haben sich darin verewigt. Aber auch Sportler wie der frühere Turn-Weltmeister Fabian Hambüchen oder Ex-VfB-Spieler Serdar Tasci. Und jetzt eben Domenico Tedesco. Ein bescheidener junger Mann, der mit jungen Jahren schon vieles erreicht hat. Für Fink ein Vorzeige-Aichwalder. „Einer, auf den man stolz sein kann.“