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Trotz hohen Alters ist Emil Diez nicht zu stoppen. Der Künstler baut Flugzeugmodelle und begeistert sich für Kalligrafie.

DettingenRuhig steht Emil Diez in seinem einstigen Laden in der Dettinger Ortsmitte. Statt Bonbons, Kaffee und anderen Waren des täglichen Bedarfs sind nun Flugzeugmodelle zu bestaunen – und wunderschöne Kalligrafien. Emil Diez, Jahrgang 1924, ist alles andere als eine Krämerseele: Er ist Künstler, Philosoph und äußerst bescheiden. „Der Mann bringt alles zum Fliegen“, sagt Alfred Ulmer bewundernd. Der Weilheimer ist selbst Modellbauexperte. Zum Beweis für diese Aussage nimmt Sohn Wolfgang Diez ein kleines, unscheinbares Modell aus dem Regal, das ein wenig an eine weiße Hummel erinnert. Eine leichte Handbewegung reicht, und schon fliegt das Fliegengewicht durch die Luft. Es ist lediglich dünn geschnittenes Styropor, das dank gekonnter Konturenführung fliegt.

Direkt daneben stehen weitere elegante Leichtgewichte mit größeren Flügeln aus dünner Folie. Rumpf und Nase sind aus einem anderen Material. „Das ist ein Grashalm. Die Natur ist einfach nicht zu überbieten“, erklärt Emil Diez. Überhaupt hat es ihm die Natur angetan. Sie ist seine Lehrmeisterin, seine Inspiration. „Den Wind sieht man ja nicht, dafür aber die Vögel fliegen. Immer wieder aufs Neue bin ich fasziniert, wenn ich den Roten Milan ohne Flügelschlag durch die Luft gleiten sehe – das ist ein herrliches Flugbild“, schwärmt der 95-Jährige.

Als Knirps erlebte er die Anfänge des Menschheitstraums Fliegen hautnah mit, als der Segelflug an der Teck losging. „Da setzen sich Menschen in einen Apparat rein, gehen in die Luft – und bleiben drin“, staunte er damals. Er selbst ist 16 Jahre lang geflogen. „Vom Boden weg und frei zu sein, das war so ein erhabenes Gefühl. Ich wollte, dass es nie aufhört“, erinnert er sich an seine ersten Flugstunden.

Ein Spiel mit der Natur

Modellflieger sind seine Passion geblieben, es ist für ihn ein Spiel mit der Natur. „Das ist nicht nur Flugzeugschmeißen. Am Hang gibt es Fallwinde. Ich habe Respekt vor all den Zusammenhängen, das ist ein Verschmelzen mit der Natur“, sagt er mit strahlendem Blick. Ein perfekter Flugtag ist für ihn, wenn seine Flieger kreisen wie ein Mäusebussard. Wie viele Modelle seine Werkstatt verlassen haben, kann der Senior nicht sagen. Egal ob für Saalflug, Fesselflug, Freiflug oder Motorflug, er hat die Flugzeuge für sämtliche Disziplinen konstruiert und gebaut. Die Vorkriegsmodelle waren ohne Fernsteuerung. „Ich habe ein kleines Uhrwerk eingebaut. War die eingestellte Zeit um, kam ein Fallschirm raus. So konnte mir das Flugzeug nicht davonfliegen“, erklärt der Konstrukteur.

Kommen die Flieger in entsprechende Thermik, sind wie weg. Sein persönlicher Langzeitrekord liegt bei 45 Minuten. 150 bis 300 Meter hoch wurde das Modell immer wieder in den Himmel getragen. „Ein Flugtag dauerte früher so lange, bis alle Modelle kaputt waren oder der Sprit aus. Vorher ging man nicht heim“, erzähl Diez und zitiert Albert Einstein: „Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat.“

Seine Finger- und Kunstfertigkeit stellte er in der Kriegsgefangenschaft in Norddeutschland unter Beweis. Aus einem herabgefallenen, morschen Kastanienast hat er mit seinem Taschenmesser ein filigranes Flugzeug geschnitzt und geschliffen, mit funktionierendem Propeller. „Die schöne Form hat mich fasziniert. Die halbe Kompanie ist regelmäßig vorbeigekommen, um den Fortschritt zu beobachten“, erzählt er.

Der Krieg verhinderte, dass er Kunst studierte. Der Grundstock war schon gelegt. Mit 16 Jahren belegte er einen Kurs für schöne Schriften. Diese Leidenschaft begleitet ihn seither ebenfalls. „Wenn ich schreibe, vergesse ich alles – Schlaf und Hunger“, sagt Emil Diez. Bis heute probiert er immer wieder verschiedene Schriften aus und übt stundenlang. Beschrieben wird alles, was ihm in die Finger kommt und unbedruckt ist: aufgerissene Briefumschläge, Finanzamt-Formulare . . . „Das ist eine Untugend von mir, Papier, das nicht beschriftet ist, vollzuschreiben. Das ist wie eine Sucht.“ So entstehen Kunstwerke, die er achtlos in den Papierkorb wirft und die seine Kinder wieder herausfischen. „Man übt die Buchstaben auf einer Seite. Wenn man den Grundstil beherrscht, kann man variieren“, sagt Emil Diez. Die Schrift richtet sich bei ihm nach dem Inhalt.

Manche Feder hat er ebenfalls hergestellt, etwa aus einer Cola-Dose. Ein Stück Weide dient als Federhalter. „Die liegt gut in der Hand. Kalligrafie ist die stille Kunst, eine Feder zu führen“, sagt er. Beim Schreiben experimentiert er gerne und verwendet auch mal eine Wäscheklammer. Die Tinte macht er ebenfalls selbst – etwa Eisengallustinte, mit der im Mittelalter geschrieben wurde. Die fließt grau und wird schwarz, wenn das Eisen oxidiert. „Nussschalen geben einen schönen Braunton, und Beize wird braun oder rot“, erklärt er.

Die Musik ist ein weiterer wichtiger Teil in seinem Leben. 80 Jahre lang hat er Geige gespielt, Gitarre, Mandoline, Ukulele und weiteren Instrumenten, die er sich selbst beigebracht hat, Töne entlockt. „Das ist eine Ausstellung über die Leidenschaft. Er hat mit seinen 95 Jahren Feuer für die Sachen, die ihm wichtig sind“, sagt Wolfgang Diez.

Natürlich finden sich auch eigene Bumerangs in der Sammlung von Emil Diez. Als er vom Werfen aber einen Tennisarm bekam, hat er mit diesem Sport aufgehört. Alles, was fliegt, fasziniert ihn einfach. Und was könnte seine zentralen Leidenschaften besser vereinen, als ein beschrifteter Papierflieger. Die hängen selbstverständlich an der Wand. „Fliegende Kalligrafie“, nennt Sohn Wolfgang diese Exponate.