Kameramann Manuel Hamad macht Probeaufnahmen von Bewerberin Melanie und Regisseur Matthias Haag. Foto: Petra Bail - Petra Bail

Um eine Rolle im Kino-Werbespot zu „Top Gun 2“ zu ergattern, kamen 100 Bewerber nach Deizisau. Beim Casting mussten sie zeigen, wer das Zeug zum Kampfpiloten hat.

DeizisauPietro ist 18 und wirkt eher schüchtern. Er soll „eine coole Socke“ spielen, so will es der Regisseur. „Bist du bereit?“, fragt der Kameramann und „bitteeeee“. Scheinwerfer und Kamera sind auf den nervösen jungen Mann gerichtet, der wie 99 weitere Bewerber zum Casting des Ledermodespezialisten JCC eingeladen wurde. Weit mehr als 1200 Kandidaten aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Belgien und Luxemburg haben sich für eine Rolle im Werbespot zum Action-Streifen „Top Gun 2: Maverick“ beworben, der nächstes Jahr im Juli in die deutschen Kinos kommen wird. „Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen“, sagt Scarlett Christel, die zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit und Marketing des Unternehmens ist, das 1983 von den Zwillingsbrüdern Horst und Walter Christel in Deizisau gegründet wurde.

Als Amateur hat man nicht alle Tage die Chance, in einem Werbespot für Trend-Klamotten mitzuwirken, die in einem amerikanischen Blockbuster zu sehen sind. Seit einem Jahr ist JCC Lizenzpartner für Europa der amerikanischen Marke Top Gun, die Oberbekleidung im Military-Look herstellt. Im Trailer der Fortsetzung von Tony Scotts Oscar-prämiertem 80er-Jahre-Kultfilm „Top Gun – Sie fürchten weder Tod noch Teufel“ ist Tom Cruise als Kampfpilot Maverick in einer Lederjacke des Labels zu sehen. In Deutschland hat DSDS-Jurymitglied Pietro Lombardi das Brand bekannt gemacht und für reißenden Absatz in Deizisau gesorgt.

Um Kandidaten für den Reklamefilm zu gewinnen, ließ JCC die beiden Influencer Stephanie Schmitz und Julian Evangelos, die zusammen 350 000 Follower haben, einen Aufruf auf Instagram machen und luden die beiden als Überraschungsgäste zum Casting ein. Von der enormen Resonanz innerhalb der ersten zwei Wochen war das Unternehmen überwältigt. Bewerberin Saskia sah den Casting-Aufruf und hat sich spontan getraut. Die 28-jährige Kölnerin ist zwar unerfahren, hat aber ein gutes Gefühl. Wer nicht eingeladen wurde, erhielt eine individuelle Absage mit Begründung. „Das war uns wichtig“, betont Scarlett Christel, die in einem Familienunternehmen arbeitet, in dem eine persönliche Note spürbar ist.

Im Aufenthaltsbereich der Firmenzentrale in der Sirnauer Straße stehen Bänke und weihnachtlich mit Tannengrün, Mandarinen und Nüssen dekorierte Tische. Zitrusduft liegt in der Luft, die Nervosität ist greifbar. Schließlich sind alle Kandidaten Amateure, für viele ist es das erste Casting. Manche sind in aller Herrgottsfrühe hergefahren, andere am Abend vorher gekommen und haben im Hotel übernachtet, wie Giulia und Andreas. Die 20-jährige Studentin hatte sich beworben und ihren 49-jährigen Vater dazu animiert. Auch er kam in die Top-Hundert. Egal, wie die Sache ausgeht, hatten die beiden eine tolle Vater-Tochter-Aktion. Nach dem Probe-Dreh, den alle im Anschluss an eine kleine Fragerunde vor der Jury absolvieren müssen, will sich Andreas unbedingt im Spiegel mit der Top-Gun-Jacke betrachten und ist überzeugt vom Lob der Tochter: „Ich finde, dass sie ihm steht.“

Die Anreise müssen die 70 Frauen und 30 Männer aus eigener Tasche bezahlen. Wer die Rolle bekommt, für den sind Flug, Hotel und Aufenthalt für die drei Drehtage auf Ibiza frei. Außerdem gibt’s eine Vergütung. Wie hoch die ist, verrät Scarlett Christel nicht. Nur so viel: „für alle gleich.“ Gesucht werden eine weibliche Rolle und zwei, drei männliche. Der Held des Spots steht bereits fest: „Das ist unser Testimonial Dominic Harrison“, sagt Scarlett Christel. Der US-Amerikaner wird das Gesicht von Top Gun Fashion 2020.

Bei der Auswahl fürs Casting war nicht das Aussehen und Alter entscheidend, sondern die Ausstrahlung. „Sie müssen keine Optik wie ein Victoria-Secret-Model haben, sondern charismatisch sein und die Rolle als Pilot oder Pilotin überzeugend ausfüllen“, erklärt die Marketingfachfrau. Dass sich überwiegend junge Leute beworben haben, liege vermutlich am Aufruf über soziale Medien. „Ältere nutzen soziale Netzwerke weniger“, vermutet sie. Im Vorgespräch werden die Kandidaten quasi als Lockerungsübung befragt. Die meisten haben ihre Hausaufgaben gemacht und wissen, worum es im Film geht. Eine 26-jährige Schweizerin entschuldigt sich für ihren Dialekt und gibt unumwunden zu, den Streifen von der Mama zu kennen.

Ob sie sich vorstellen könne, eine Pilotin zu sein, wird Vanessa aus Schwäbisch Gmünd gefragt. „Wer weiß?“, antwortet die 21-Jährige unsicher. Sie wird mit dem Rat „Gib einfach alles“ ins provisorische Filmstudio nach nebenan geschickt. Celine aus Konstanz ist groß, schlank und hübsch. Die Hände fest zusammengepresst antwortet die 17-jährige überwiegend mit „ja“ und „okay“. Zu jung findet Jurorin Barbara Christel, die im Marketing mitarbeitet und Modelerfahrungen hat. „Älter schminken“, überlegt ein Jurykollege, dem die Kandidatin zugesagt hat. Noemi aus Luxemburg ist der Beweis, dass der Schwerpunkt bei der Auswahl nicht auf Körperlichkeit lag. Die füllige 21-Jährige war fast vier Stunden unterwegs und wirkte völlig entspannt, als sie erzählte, dass sie schon öfters Castings gemacht habe.

Bevor Manuel Hamad die Kamera für den Probedreh einschaltet, erklärt Regisseur Matthias Haag die jeweiligen Rollen und gibt Anweisungen wie „dynamischer umdrehen“ oder „überrasch mich“ oder „bitte noch mal auf Anfang“. „Ich würde noch was anbieten, nicht erschrecken“, warnt die 22-jährige Melanie. Das Angebot war dann aber doch harmlos. Die Schweizerin ist Tänzerin und will ins Showbiz. Da ist so eine Reklamefilmerfahrung genau richtig. Einige Tage wird die Auswertung der Jury dauern, vermuten die Verantwortlichen. Alle, die keine Rollen bekommen haben, konnten sich immerhin mit einem vorzüglichen Catering trösten. „Völlig unüblich“, weiß Barbara Christel aus eigener Erfahrung. „Beim Profi-Casting nimmt man Vesper mit, weil’s normalerweise nix gibt.“

Der Film „Top Gun 2: Maverick” kommt im Juli 2020 in die Kinos. Drei Monate lang wird vor Filmbeginn der Werbespot von Top Gun Fashion zu sehen sein.