Vom Bahnhof aus geht es im Halbstundentakt Foto: Rudel - Rudel

In unserer Mobilitätsserie werfen wir heute einen Blick nach Reichenbach. In der Filstal-Gemeinde beschäftigt man sich schon lange damit, wie die Bewohner auch ohne Auto mobil sein können.

ReichenbachSie arbeitet im Esslinger Stadtmuseum. Umziehen würde Julia Opitz aber nicht. „Reichenbach ist von der Größe her perfekt“, sagt die junge Frau. „Man bekommt alles, was man braucht und muss den Ort nicht verlassen.“ Zur Arbeit fährt sie oft mit dem Zug. „Wir haben eine super Verbindung, und der Bahnhof und die Unterführung sind im Vergleich zu vorher top.“ Da sie im Zentrum wohnt, kann sie alles zu Fuß erledigen. Möchte Julia Opitz aber auf den Siegenberg oder die Rißhalde, „komme ich da bequem mit dem Bus hin. Denn die Bushaltestellen sind optimal im Ort verteilt.“

Das hören Bürgermeister Bernhard Richter und Ordnungsamtsleiterin Heike Eberlein gerne. Mit der Frage, wie die Reichenbacher ohne eigenes Auto mobil sein können, beschäftigt man sich im Rathaus seit mehr als 20 Jahren. „Früher hatte jeder Bezirk eigene Läden“, sagt der Rathauschef. Doch die Geschäfte auf dem Siegenberg seien ebenso verwaist wie die Läden auf der Rißhalde. „Wir haben uns die Frage gestellt, wie sich eine alternde Gesellschaft weiterhin mit den Dingen des täglichen Bedarfs versorgen kann.“ Um das zu klären, wurde ein Verkehrsplaner eingeschaltet.

Seit 16 Jahren fährt die Linie 148 „in einem liegenden Achter im Rundverkehr durch den Ort“, erklärt Heike Eberlein. Ein wichtiger Haltepunkt ist der Bahnhof. Wer den innerörtlichen Individualverkehr reduzieren möchte, muss auch die Berufspendler im Blick haben. So ist der Bus auf die Züge abgestimmt. „Wenn sich beim Zug etwas ändert, bringt unser Verkehrsplaner den Bus wieder in den richtigen Takt“, erklärt Bernhard Richter, der stolz ist, „dass wir das geschafft haben, ohne zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen“. Damit das Umfeld nicht den Umstieg auf Bus und Bahn vergällt, hat sich die Verwaltung des Bahnhofs angenommen. „Früher sah die Unterführung aus wie die Sau“, schildert der Bürgermeister. Seitdem ein professionelles Graffito die Wände ziert, seien Schmierereien die Ausnahme. Zudem achtet Heike Eberlein darauf, dass der Weg unter den Gleisen hindurch nicht zur olfaktorischen Herausforderung wird. „Wir lassen die Unterführung auf unsere Kosten regelmäßig reinigen.“

Mobilität ist für Bernhard Richter „kein isoliertes Thema“. Sie müsse in ein Gesamtkonzept integriert sein. Dazu gehört, keine Supermärkte auf der grünen Wiese zu genehmigen. Damit Kunden, die mit dem Bus kommen, ebenfalls bequem im Edeka-Markt einkaufen können, „haben wir einen zweiten Eingang zum Bahnhof hin als Auflage gemacht“. Dass der zentral gelegene Netto-Markt dicht gemacht hat, bedauert auch Richter. „Bei privatwirtschaftlichen Entscheidungen können wir als Gemeinde nur reden, aber nichts tun.“

Schaut sich der Schultes die Altersstruktur an, „ist es absehbar, dass immer mehr Leute ihre großen Häuser aufgeben werden“. Um ihnen ein Angebot zu machen, achten Gemeinderat und Verwaltung darauf, „dass so viel barrierefreier Wohnraum wie möglich in zentraler Lage entsteht“. Denn: Je belebter das Zentrum, desto besser für den Einzelhandel. Um Bauplätze zu sichern, kauft die Gemeinde Abbruchhäuser. Damit die älteren Reichenbacher auch außerhalb der eigenen vier Wände mobil bleiben, sind die Bürgersteige an Ampeln und Überwegen abgeflacht. Nicht rollatortauglich ist jedoch das Pflaster in Teilen der Hauptstraße. „Auch da arbeiten wir an einer Lösung“, verspricht Bernhard Richter.

Die Gemeinde und ihr Verkehr

Filstalbahn: Im Halbstundentakt kommt man nach Esslingen und Stuttgart sowie nach Göppingen.

Ortsbus: Die Linie 148 verbindet die Rißhalde und den Siegenberg mit dem Bahnhof und ist auf die Filstalbahn getaktet. Abends gibt es ein Anruf-Sammeltaxi.

E-Zapfsäulen: Sechs E-Zapfsäulen sind geplant, einige sind bereits im Bau.

Parken: In der Tiefgarage Zentrum stehen 41 Parkplätze, am Bahnhof auf einem Park-und-Ride-Platz rund 40 Stellplätze zur Verfügung.

Leitsystem: Im Ortszentrum gibt es ein Blinden-Leitsystem, am Bahnhof eine „sprechende“ Anzeigentafel.

Pflastersteine: Die Pflasterung im hinteren Teil der Hauptstraße ist nicht rollatorgängig.

Radwege: Entlang der Hauptverkehrsstraßen gibt es zwar Rad-Schutzstreifen, aber kein Radwege-Konzept.

Schleichverkehr: Autofahrer, die vom Remstal Richtung Filder wollen, nutzen – zum Verdruss des Bürgermeisters – Wohnstraßen und Schulwege.

Verkehrsgünstige Lage

In der Gemeinde Reichenbach, die in diesem Jahr ihr 750-jähriges Jubiläum feiert, lebten am 30. Juni vergangenen Jahres 8350 Einwohner und es waren 5771 Kraftfahrzeuge gemeldet. Der Ort liegt verkehrsgünstig an der vierspurigen B 10 und hat zudem einen Anschluss an die Filstalbahn. Mit dem Zug erreicht man in zehn Minuten Esslingen und in 22 Minuten den Stuttgarter Hauptbahnhof. Der Stuttgarter Flughafen ist rund 25 Kilometer entfernt. Das statistische Landesamt zählte im Jahr 2015 für Reichenbach 2406 Einpendler und 3274 Auspendler.