An die 40 000 Euro hat Jürgen Brüchert für die Sanierung des Mauerwerks an seinem erst zwölf Jahre alten Haus in Altbach investieren müssen. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Mit Setzungsrissen hat alles angefangen. Bernhard Adolf, Bausachverständiger aus Wernau, kennt mindestens sechs Gebäude im Kreis, die mit minderwertigem Porenbetonstein gebaut wurden.

Kreis EsslingenVor zwölf Jahren haben sich Jürgen und Sabine Brüchert einen lange gehegten Traum erfüllt: In der Lenaustraße in Altbach ließen sie sich ein Reiheneckhaus errichten. Wunderbar hell und mit viel Platz, nicht nur drinnen, vor allem das große Gartenstück hinter ihrem schmucken Heim genießen sie zusammen mit ihren Kindern. Aber der Traum vom Eigenheim währte nicht lange. Vor zwei Jahren tauchten die ersten Risse im Mauerwerk auf, in erster Linie neben den Fenstern. „Wir haben erst Setzungsrisse vermutet“, sagt Brüchert. „Das kommt ja bei einem Neubau schon mal vor. Deswegen haben wir zunächst abgewartet und uns keine großen Sorgen gemacht.“ Doch wie sich mittlerweile herausgestellt hat, nimmt der Schaden unerwartet große Dimensionen an. An die 40.000 Euro musste die Familie für den Einbau speziell dafür angefertigter Stahlstützen investieren. Offenbar sind in dem Haus sogenannte Porenbetonsteine von minderwertiger Qualität verbaut worden. Brücherts sind nicht die einzigen mit solchen Schäden. Bernhard Adolf, Stukkateur-Meister und seit 15 Jahren vereidigter Bausachverständiger, kennt im näheren Umkreis mindestens sechs solcher Fälle. Fälle, die der Wernauer unbedingt aufklären möchte. Denn er ist sich sicher, dass die verwendeten Porenbetonsteine, die nach seinen Recherchen mindestens drei Jahre lang auch in zahlreichen anderen Gebäuden verbaut wurden, nicht den baurechtlichen Anforderungen genügen.

Noch kann Adolf keine Namen nennen. Als er im vergangenen Jahr in einem Fachorgan eine Präsentation veröffentlichen wollte, in der er auf die Schäden einging und Andeutungen über die Herkunft der verbauten Steine machte, wurde er harsch zurückgepfiffen. Der Bundesverband der Porenbeton-Industrie forderte von ihm die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Adolfs Feststellungen seien zu unspezifisch und brächten eine ganze Branche völlig zu Unrecht in Verruf. Abschrecken lassen will er sich davon nicht. „Ich bleibe dran und werde da keine Ruhe geben“, sagt der Wernauer Sachverständige.

Adolf kennt, wie er sagt, sechs Gebäude im Landkreis Esslingen sowie im Remstal, wo die Eigentümer aufwendig nachbessern müssen, weil erhebliche Risse die Statik in Gefahr bringen. Das größte ihm bekannte Objekt ist ein 20-Familien-Haus in der Theodor-Rothschild-Straße im Scharnhauser Park. „Da mussten über 100 Sprieße eingebaut werden, um das Mauerwerk zu sichern“, erklärt Adolf. Der Schaden in den dortigen Eigentumswohnungen ist um ein Vielfaches größer als der von Familie Brüchert in Altbach. „Bestimmt zwanzig mal so hoch“, sagt der Bauexperte.

Eigentlich wollten Jürgen und Sabine Brüchert mit ihrem Schaden gar nicht an die Öffentlichkeit gehen. Aber dann lasen sie im vergangenen Herbst einen Beitrag in der EZ, in dem es um ein nur ein Jahr älteres Dreifamilienhaus in Reichenbach ging, das nach nur wenigen Jahren so große Schäden aufweist, dass es nicht mehr bewohnbar ist. Alle drei Eigentümerfamilien haben mittlerweile eine neue Bleibe gefunden. Wie die Sache für sie ausgegangen ist, vor allem ob und wie sie von der Baufirma entschädigt wurden, das will keiner sagen. „Alles in Ordnung“, mehr wollte einer der Eigentümer vor Weihnachten auf Nachfrage der Eßlinger Zeitung nicht sagen. Das habe man im Einvernehmen mit dem Bauunternehmen geregelt. „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

Bausachverständiger Adolf will das nicht weiter kommentieren, aber etwas suspekt sei das schon, zumal die Hauseigentümer zunächst mit harschen Vorwürfen in der Öffentlichkeit auf eine Entschädigung gepocht hatten. Nach Adolfs Informationen wurde in Reichenbach der selbe, 36 Zentimeter breite Porenbetonstein verbaut wie in den ihm bekannten Schadensfällen.

Bei Brücherts in Altbach hat der Sachverständige die Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart eingeschaltet. Adolf ließ zwei Proben aus der Hausmauer entnehmen, um sie von Experten auf ihre Stabilität untersuchen zu lassen. Das Ergebnis war für Jürgen und Sabine Brüchert niederschmetternd: Die beiden Bohrkerne entsprechen nicht der geforderten Druckfestigkeit. Laut Prüfbericht vom 28. Oktober 2019 muss der Mindestwert der Druckfestigkeit größer als 2,6 N/mm² sein. Tatsächlich beträgt er aber im Mittelwert nur 1,5 N/mm². „Die Anforderungen nach DIN EN 771-4 (1) in Verbindung mit DIN 20000-404 (2) an Porenbetonsteine der Festigkeitsklasse 2 wurden von den geprüften Proben der Bohrkerne nicht erfüllt“, heißt es am Ende des Prüfungsberichts. Die Steine entsprächen „definitiv nicht den Anforderungen“, sagt Michael Stegmaier, Referatsleiter in der Materialprüfungsanstalt, auf EZ-Nachfrage. Wie sich das auf die Statik des Hauses auswirkt, könne er nicht sagen. Da müsse man das ganze Objekt betrachten. Auf die Frage, wie viele solcher, nicht den DIN-Normen entsprechenden Bohrkerne er schon beanstandet habe, kann Stegmaier keine genaue Angabe machen. So viel sei aber sicher: „Das ist kein Einzelfall.“ Auch von anderen Auftraggebern habe er solche schadhaften Porenbetonsteine zur Prüfung bekommen.

Brücherts sehen das als Beweis genug, dass sie mit den bei ihnen verwendeten Steinen übers Ohr gehaut wurden. Die Stahlstützen, zu denen Bausachverständiger Adolf und ein Statiker dringend geraten hatten, sind mittlerweile eingebaut. Trotzdem leben Brücherts weiter mit der Angst, irgendwann vielleicht einmal eine Bauruine zu haben. An wen sie sich in ihrer Not bisher auch gewandt haben, überall erntete die Familie nur Achselzucken. „Ich hätte nie gedacht, dass in Deutschland so ein Pfusch möglich ist“, sagt Sabine Brüchert. Von ihrer Rechtsschutzversicherung kann die Familie nichts erwarten. Schäden bei Neubauten zählten nicht zum Leistungskatalog, hat die Versicherung mitgeteilt. Und eine Produkthaftung kann auch nicht geltend gemacht werden, denn die endet nach zehn Jahren.

Bernhard Adolf will in der Sache nicht aufgeben. Er wird weiter recherchieren und weitere Laborprüfungen veranlassen. Wichtig sei nun, die verwendeten Steine auf ihre Bestandteile hin untersuchen zu lassen, erklärt er. Ein Problem ist, dass sie keine Prägung haben, mit der sich der Hersteller zweifelsfrei identifizieren ließe. „Wir sind erst am Anfang“, sagt er entschlossen.