Gerade Kinder von Alleinerziehenden sind häufig von Armut betroffen. Foto: dpa - dpa

Circa 20 Prozent der Kinder im Landkreis Esslingen leben unterhalb der Armutsgrenze. Gerade in einem reichen Landkreis hat das Folgen, weiß der langjährige Esslinger Stadtrat.

Kreis EsslingenWenn Kinder arm sind, dann heißt das nicht nur, dass sie oder ihre Eltern kein Geld haben, ist Klaus Hummel überzeugt. Gerade im reichen Süden sei Armut eine komplexe Lebenslage. Der Grund: Die Sozialhilfe ist bundesweit einheitlich – die Lebenshaltungskosten nicht. Der langjährige Esslinger Stadtrat und ehemalige Rektor der Katharinenschule weiß, dass man Kindern ihre Armut nicht unbedingt ansieht. „Es sind hier bei uns nicht die hungernden Kinder am Straßenrand“, sagt er. „Die Kinder bemühen sich, teilzuhaben an den Markenklamotten, die ihre Klassenkameraden auch tragen“, sagt Hummel.

Hilfe erreicht Familien nicht

Vielmehr könne man den Kindern ihre Armut in anderen Lebensbereichen anmerken. „Sie sind oft entweder besonders aggressiv oder besonders zurückgezogen. Sie sagen selten ,Ich‘, weil sie sich nichts zutrauen. Man trifft sie nicht im Sportverein oder in der Musikschule“, weiß er. Während wohlhabende Eltern bis zu 1200 Euro pro Monat für ihr Kind ausgeben könnten, sind es bei den ärmsten zehn Prozent der Esslinger gerade einmal 364 Euro pro Kind und Monat. Für Zoobesuche, Eis, Kino oder Freizeitaktivitäten blieben davon nur rund 44 Euro übrig.

Und genau das ist ein Punkt, der nicht sein müsste, so Hummel. Denn zumindest in der Stadt Esslingen gibt es den sogenannten Stadtpass, der es armen Familien ermöglichen soll, ihre Kinder in Vereine, zu Ferienprogrammen oder zur Mittagsverpflegung in der Schule oder Kita zu schicken. Und auch für die kulturelle Bildung der Kinder sei mit dem Kulturpass gesorgt, sagt Hummel. Für Kinder aus einer Familie, die unter der Armutsgrenze lebt, gibt es damit 25 Prozent Nachlass bei den Kosten der Musikschule, sie können kostenlos die Stadtbücherei und vergünstigt Konzerte und Theatervorstellungen besuchen.

Und auch der Landkreis bietet Hilfen an. So gibt es beispielsweise Zuschüsse für Schulausflüge und Sprachhilfe, es wird bei der Schülerbeförderung und beim Schulbedarf ausgeholfen. So hätten arme Familien zum Beispiel ein Anrecht darauf, aus dem Bildungs- und Teilhabepaket für ihre schulpflichtigen Kinder jeden September 180 Euro und jeden Januar 100 Euro für Schulmaterial zu bekommen. Das Problem: Nur 12,6 Prozent der Berechtigten im Kreis Esslingen nehmen diese Angebote auch wahr. Die Zahl habe der Paritätische Wohlfahrtsverband Anfang Oktober erhoben, so Hummel. Ein Grund dafür, dass viele Menschen nicht die Hilfe bekommen, die ihnen zusteht, sei der Bildungsstand. „Es leben eine Million funktionale Analphabeten in Baden-Württemberg“, so Hummel. Das sind Menschen, die zwar Wörter erkennen, aber längere Texte nicht verstehen können. „Und die sollen Anträge stellen, Formulare ausfüllen und zu Behörden gehen? Da frage ich mich: Lieber Landkreis, was tust du, damit die Familien von ihren Rechten erfahren?“

Kommunen sollen Daten erheben

Stadtteilcafés, zu denen Sozialarbeiter kommen, könnten dabei helfen. „Ich glaube nicht, dass sich die Menschen in der Armut wohlfühlen“, ist sich Hummel sicher. „Wenn sie von den Hilfsmöglichkeiten erfahren, holen sie sich die auch.“ Auch Lehrer und Erzieher sollten über Hilfsmöglichkeiten informiert sein und im Zweifel Eltern ansprechen. Ihnen komme, wie auch den Sozialarbeitern, eine Schlüsselrolle zu. „Für ein Kind, das in Armut lebt, ist es schlimm, wenn nach den Ferien gefragt wird, was es im Sommer gemacht hat“, sagt Hummel. Auch wenn ein Kind zu spät kommt, solle nicht vor allen darauf hingewiesen werden. „Kinder von Alleinerziehenden oder Alkoholikern müssen selbstständig aufstehen. Das ist für sie die erste große Leistung des Tages.“

Ein wichtiges Instrument, um das Thema Armut aufzuzeigen, sei ein Sozialdatenatlas. Dieser wurde in Esslingen zuletzt 2009 erstellt und zeigt auf, in welchen Stadtteilen besonders viele Kinder unter 15 Jahren von Hartz IV leben oder wie viele Kinder aus welchem Stadtteil von der Grundschule aufs Gymnasium gehen. Inzwischen, so Hummel, habe sich die Kluft zwischen den reichen Stadtteilen in den Hanglagen und den ärmeren sicher noch verschärft. „Im nächsten Jahr soll der Sozialdatenatlas neu aufgelegt werden“, so Hummel. In anderen Gemeinden und Städten des Kreises gebe es so eine Übersicht nicht. „Es wird aber Zeit, dass sich auch dort die Verwaltung damit beschäftigt. Gerade in der Wohnungspolitik kann daraus ganz viel folgen.“