Steinbrüche sehen auf den ersten Blick nicht wie ein Naturraum aus, aber sie bieten Tieren und Pflanzen Nischen. Foto: Haußmann Quelle: Unbekannt

Von Daniela Haußmann

Wer in Grabenstetten oder Erkenbrechtsweiler wohnt, kennt das Schrillen der Sirene, das durch den Steinbruch hallt. Kurz darauf folgt ein lauter Knall. Der Boden bebt, die Druckwelle breitet sich in den Steilwänden aus. Tonnen von Stein werden aus dem Fels gerissen und mit schwerem Gerät abtransportiert. Ob Steinbrüche, Sand- oder Kiesgruben - der Abbau von Bodenschätzen hinterlässt Spuren. Doch was anmutet wie eine tief in die Landschaft geschlagene Wunde, stellt für viele Pflanzen- und Tierarten ein Refugium dar, in dem sie noch vorkommen können. Sie sind wertvolle Lebensräume geworden.

Peter Röhms Unternehmen, die Röhm-Gruppe, hat bis in die 70er-Jahre in Unterensingen Kies gefördert. Wenn der Wendlinger heute um den Röhmsee wandert, erinnert er sich an die Tümpel, Teiche und Seen, die sich durch die Schneeschmelze im Frühjahr, nach Regengüssen oder durch aufsteigendes Grundwasser bildeten. „Libellen flogen umher, Erdkröten und Gelbbauchunken laichten hier, verschiedene Vogelarten, darunter Singschwan, Graureiher oder Flussseeschwalbe, fanden während des Kiesabbaus auf unserem Betriebsgelände einen Rast-, Jagd-, Brut- und Überwinterungsplatz.“

Dass in Steinbrüchen und Kiesgruben Artenvielfalt herrscht, wundert Röhm nicht. Beim Abbau wird das Gelände permanent umgestaltet, laufend entstehen neue Lebensräume. „Das erzeugt auf engstem Raum eine enorm hohe Standortvielfalt, die sich positiv auf die Biodiversität auswirkt.“ In Nischen wie schroffen Felswänden nisten Uhu, Dohle und Turmfalke, auf Felsköpfen und Schutthalden sprießen neben Silberdistel oder Katzenpfötchen Pflanzen, die extreme Standorte benötigen, auf den Böden tummeln sich Spinnen und viele Insektenarten.

„Viele Pflanzen- und Tierarten, die in Abbaustätten vorkommen, haben ihre ursprünglichen Lebensräume in dynamischen Flusslandschaften, in denen das Wasser offene Stellen schafft“, erklärt Thomas Beißwenger, Geschäftsführer des Industrieverbands Steine und Erden (ISTE) Baden-Württemberg. „Bevor der Mensch Flüsse begradigte, traten sie regelmäßig über die Ufer, und das Gelände in ihrem Randbereich stand zeitweise unter Wasser“, erklärt er. „Die Tier- und Pflanzenwelt dieser natürlichen Überschwemmungsflächen, die die meisten unter dem Begriff Flussaue kennen, war auf diese Hoch- und Niedrigwasserphasen eingestellt.“

Mit der Begradigung von Bächen und Flüssen gingen Auen verloren. „Abbauflächen sind zwar keine Flussauen, aber ein wertvoller, von Menschenhand geschaffener Ersatzlebensraum. Denn Radlader und Co. imitieren die natürliche Dynamik, die in den Überschwemmungsbereichen unserer Flüsse vorherrschte, bevor sie begradigt wurden“, erläutert Beißwenger.

Peter Röhms Blick wandert über die Äcker, die den Röhmsee von allen Seiten umschließen. „Die Böden unserer Kulturlandschaft werden meist intensiv landwirtschaftlich genutzt. Dabei kommen Dünger und Pestizide zum Einsatz, die die Böden stark mit Nährstoffen anreichern.“ Arten wie seltene Orchideen, die von starkwüchsigen Pflanzen schnell verdrängt werden, finden auf den nährstoffarmen und spärlich bewachsenen Abbauflächen optimale Bedingungen. Einen Vorteil sieht Röhm aber auch im fehlenden Freizeitdruck. Störungen durch Wanderer, Spaziergänger oder Hundebesitzer gibt es in der Abbaustätte nicht. „Laichen Amphibien in Fahrspuren ab, dann ist der betroffene Bereich für den Abbau bis zum Abschluss der Jungtieraufzucht gesperrt“, betont er.

Einschätzung der Naturschützer

Johannes Enssle, Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Baden-Württemberg, betrachet Steinbrüche und Kiesgruben durchaus als wertvolle Biotope, „sofern sie nicht zu intensiv bewirtschaftet werden“. Die größte Artenvielfalt weisen sie kurz nach Ende des Abbaus auf. Je mehr die Natur die ehemalige Wirtschaftsfläche zurückerobert, desto mehr nimmt die Lebensraumvielfalt ab.

Trittsteinbiotope können Abbaustätten sein, erklärt Enssle. Ob Steinbruch und Co. aber eine ökologische Aufwertung sind, hänge vom Standort ab. „Gegenüber landwirtschaftlichen Flächen, auf denen Dünger zum Einsatz kommt, stellen Abbaustätten sicherlich eine Aufwertung dar“, sagt Enssle. „Findet der Abbau auf einer Flachlandmähwiese statt, auf der auch Orchideen wachsen, handelt es sich möglicherweise um einen riesigen Eingriff.“

Der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg hat mit dem Nabu Baden-Württemberg und der Gewerkschaft IG Bau eine Erklärung zur nachhaltigen Rohstoffnutzung herausgegeben, die einsehbar ist unter www.iste.de/themen/rohstoffpolitik/umweltschutz.