Thomas Matrohs sieht sich als innovativen Geist: „Ich besetzte gern Themen, an die sich andere nicht so schnell heranwagen.“ Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Am Sonntag, 2. Juli, ist in Deizisau Bürgermeisterwahl. Einziger Kandidat ist der 40-jährige Amtsinhaber Thomas Matrohs. 5448 Bürger sind zur Wahl aufgerufen, deutlich mehr als vor acht Jahren, weil erstmals auch die 16-Jährigen ihre Stimme abgeben können. Im EZ-Interview spricht Matrohs über erfolgreiche Projekte, über schwierige Monate, als Deizisau auffälligen Flüchtlingen Unterkunft bot, und über die Herausforderungen der Zukunft.

Es hat nicht überrascht, dass Sie wieder antreten. Es überrascht nicht einmal, dass kein Gegenkandidat antritt. Haben Sie selbst sich einen Moment lang gefragt, ob Sie weitere acht Jahre machen wollen?

Matrohs: Überhaupt nicht - so wie die vergangenen acht Jahre verlaufen sind. Wegen des guten Miteinanders im Gemeinderat und mit der Bürgerschaft, insbesondere auch mit meiner Mannschaft hier im Rathaus hat sich diese Frage für mich keinen Moment lang gestellt. Und weil ich mich mit meiner Frau hier sehr, sehr wohl fühle, weil es für die Kinder mit Kindergarten und Schule sehr gut passt.

Sie sind jetzt 40, am Ende der zweiten Amtsperiode 48 Jahre alt. Sollen dann die Abschnitte bis 56 und 64 folgen?

Matrohs: In Deizisau stimmt für mich die Balance zwischen verantwortungsvoller Tätigkeit, der Möglichkeit, viel zu bewegen und trotzdem noch Privatmensch zu sein, der Abende und Wochenende mit der Familie verbringen kann, der auch in Freizeitklamotten zum Einkauf gehen kann. Diese Balance lässt mich nicht an einen anderen Karriereschritt denken.

Ein Teil Ihrer Bilanz lässt sich an Gebäuden ablesen: neue Mensa, Umbau Gemeinschaftsschule und Pflegeheim mit Kindergarten. Welches Brett empfanden Sie als besonders dick?

Matrohs: Den Entscheidungsprozess fürs Pflegeheim, von der Bürgerwerkstatt bis zum Spatenstich, fand ich besonders herausfordernd. Vielleicht konnte man von außen manchmal den Eindruck gewinnen, da passiert gerade nicht viel, aber in diesen vier Jahren waren viele Abstimmungsgespräche notwendig. Die Vertreter der Evangelischen Heimstiftung haben mehrfach betont, wie intensiv das Projekt verhandelt worden ist. Und, in heutiger Zeit kaum zu glauben, dieses Mammutprojekt hat auf Basis eines Handschlags des Prokuristen mit mir funktioniert. Den Vertrag haben wir zwei Tage vor der Einweihung unterschrieben. Für beide Seiten waren einfach klar: Wir wollen es! Auch als die Angebote deutlich über der Kostenberechnung lagen, hat die Heimstiftung nicht gewankt. Diese Erfahrung wird mir in Erinnerung bleiben.

Vergleichsweise glatt verlief der Weg hin zur Gemeinschaftsschule.

Matrohs: Die Schule hatte einige Vorleistungen erbracht und wir hatten zur richtigen Zeit den Mut, den Antrag zu stellen. Dass wir damit so viel Verantwortung im Schulbereich übernehmen, war uns nicht so klar. Früher war die Gemeinde fürs Gebäude zuständig, jetzt tragen wir Mitverantwortung für die Pädagogik. Wir sind auch für das Mittagsband mit den Arbeitsgemeinschaften und Betreuungsangeboten zuständig. Das hat sich auf den Stellenplan und den Haushalt ausgewirkt. Und an Investitionen haben wir 5,5 Millionen Euro für Mensa, neue Unterrichtsräume, aber auch Brandschutz bewegt. Jetzt kommt noch die Gestaltung des Schulhofs oben drauf.

Eine Bewährungsprobe in der zweiten Hälfte Ihrer Amtszeit war die Unterbringung der Flüchtlinge. Alles richtig gemacht?

Matrohs: Rückwirkend betrachtet: Ja. Der Januar 2016 war sehr herausfordernd. Ich war überzeugt, dass es richtig ist, dem Landkreis die Unterkunft für auffällige Flüchtlinge anzubieten, um die Belegung von Gemeindehalle oder Sporthalle zu vermeiden. Wir hatten nur 28 Plätze in der Unterkunft, unsere Quote lag aber bei 130. Es kamen dann zwei, drei sehr anstrengende Monate, die mir manche schlaflose Nacht beschert haben. Wenn ich im Bett ein Martinshorn hörte, habe ich mich schnell angezogen und bin in die Sirnauer Straße gefahren. Manchmal war es nur ein falscher Alarm, aber manchmal wurden gerade auch von der Polizei zwei oder drei Unruhestifter abgeführt. Das hat sich mit der Zeit entspannt, weil der AK Asyl die Flüchtlinge betreut hat und weil ein Security-Mann mit geschickter Hand agierte.

Wie haben die Bürger reagiert?

Matrohs: Viele haben diese besondere Situation wohl gar nicht registriert. Ich bekam aber auch Mails von Bürgern, die nicht verstehen konnten, warum wir diese schwierigen Flüchtlinge aufgenommen hatten. Die Begleiterscheinungen und die Kundgebungen auf dem Marktplatz haben den Menschen schon Sorgen bereitet. Wir sind ja kurze Zeit Spielfeld für sehr unterschiedliche Gruppierungen geworden. Ich fand aber auch schön, dass es Bürger gab, die mir beispielsweise in dieser schwierigen Bürgerfragestunde den Rücken gestärkt haben. Ich habe in dieser Phase viel gelernt, wie man als Amtsperson in so einer fordernden Situation zurechtkommt. Am Ende geht man gestärkt daraus hervor.

Ich erinnere mich nur an einen echten Flop in der ersten Periode: der Jugendcontainer hinterm Cola-Werk. Was haben Sie daraus gelernt?

Matrohs: (lange Denkpause) Dass es zumindest gut ist, wenn man eingesteht, dass etwas floppt. Vielleicht hätte ich das Projekt früher hinterfragen müssen, als nur sechs oder zehn Jugendliche in die Kelter gekommen waren, obwohl 600 eingeladen waren. Andererseits dachte ich mir, vielleicht muss erst die Infrastruktur stehen und dann wird sie sich mit Leben füllen. Ich habe noch eine ganz andere Erfahrung gemacht: Jugendliche sind in den Gemeinderat gekommen und haben über den Zustand des Bolzplatzes geklagt - und sie haben Vorschläge gemacht. Die haben wir umgesetzt. Der Flop und die positive Erfahrung bewegen mich dahin, eine Plattform für Jugendliche zu installieren, damit sie ihre Themen platzieren können.

Wie soll die konkret aussehen?

Matrohs: Ich bin mir nicht sicher, ob das Rathaus der geeignete Ort dafür ist. Vielleicht müssen wir Neuland bei Ort und Zeit beschreiten. Noch fehlt mir eine Idee zur Ausgestaltung.

Ein Bürgermeister sollte sich um den Zusammenhalt in der Kommune kümmern. Wie funktioniert das? Sich auf allen Festle und Hauptversammlungen sehen lassen, reicht dafür nicht wirklich, oder?

Matrohs: Ich gehe zwar zu allen Hauptversammlungen, zu denen ich eingeladen werde, und bin bei vielen Festen präsent, aber das allein reicht nicht. Mit vielen Vorständen gibt es darüber hinaus einen guten Austausch per Mail oder Telefon. Die Vereine wissen, dass sie sich an mich wenden können. Ein Bürgermeister entwickelt ein Netzwerk, das hilft, dem Gemeinwesen positive Impulse zu geben. Ich glaube, mir kommt zugute, dass ich selbst ein Vereinsmensch bin und früher im Musikverein Köngen nahezu alle Ehrenämter durchlaufen habe.

Auf Ihrer Wahlkampfbroschüre geben Sie sich unter anderem das Attribut „innovativ“. Wo sehen Sie das Innovative bei ihren Projekten bzw. Ihrer Amtsführung allgemein?

Matrohs: Ich besetze gern Themen, an die sich andere nicht so schnell heranwagen. So sind wir beispielsweise 2010 mit der EnBW in das Pilotprojekt zur LED-Beleuchtung am Neckarsteg eingestiegen. Bei den Gemeinschaftsschulen waren wir die dritte Gemeinde im Landkreis. Das Quartiershaus ’Palmscher Garten’ weist etliche innovative Errungenschaften auf, etwa das Hospizzimmer, die Wohngruppen und den Kindergarten im Pflegeheim. Auch der Abholservice unseres Mobilobusses ist ungewöhnlich. Es ist schön für einen Bürgermeister, wenn er einen Gemeinderat hat, der mutig mitgeht, um zu den Ersten zu zählen - auch wenn es vielleicht nicht gleich rund läuft.

Was haben Sie sich alles für die zweite Amtszeit vorgenommen?

Matrohs: Vieles. Zunächst würde ich mich freuen, wenn das gute Miteinander in der Gemeinde auch künftig im Vordergrund steht. Bei den Bauprojekten gilt es, die Sanierung der Kläranlage sowie der Sport- und der Gemeindehalle zeitnah anzugehen. Ein Dauerthema bleibt die Kinderbetreuung. Laut Prognose wächst unsere Bevölkerung von heute 6700 auf 7400 im Jahr 2035. Das bedeutet, wir müssen über zwei Kindergärten mit je drei Gruppen nachdenken. Der erste sollte bereits in drei Jahren stehen. Die Grundschule wird bei so vielen Einwohnern nicht zweizügig bleiben können. Und auf der anderen Seite wächst die Zahl der hochbetagten Bürger. Mein Vorvorgänger Ertinger hat vor 38 Jahren 90 über 80-Jährige zum Seniorennachmittag eingeladen, ich habe jetzt 425 angeschrieben. Seniorenwohnen und barrierefreier Marktplatz bleiben also wichtige Themen. Bei der Ortskernsanierung II wird es verstärkt um Mehrgenerationen-Wohnen gehen. Unsere Art, sich fortzubewegen wird sich grundsätzlich ändern. Das hört bei Ladestationen für E-Fahrzeuge nicht auf. Ich will mit der Bürgerschaft ins Gespräch kommen, wie unsere Gemeinde im Jahr 2035 aussehen könnte.

An welche Gesprächsform denken Sie?

Matrohs: 2010 hatten wir eine Klausurtagung des Gemeinderats, um über die große Linie zu reden. Ich würde gern einen Dialog anstoßen, der über das Gremium hinausgeht. Denn die Gestaltung eines Dorfes, mit dem sich die Bürger identifizieren, können Bürgermeister und Gemeinderat nicht alleine auf den Weg bringen. Viele Menschen können mit ihren Ideen dazu beitragen, dass wir eine gute Entwicklung hinkriegen. Und bei allen Zielen gilt: Die Gemeinde muss es finanziell stemmen und schauen, dass sie als Gewerbestandort genügend Einnahmen hat.

Die offizielle Bewerbervorstellung der Gemeinde Deizisau findet am Freitag, 23. Juni, um 19 Uhr in der Gemeindehalle statt. Der Kandidat hat eine halbe Stunde Redezeit, dann können ihm die Besucher Fragen stellen.