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Der Pflegealltag ist nicht leicht. Die Pflege ihres Mannes meistert Ingrid Hermann mithilfe ihrer Familie und der Sozialstation Aichwald, die Bürokratie sieht sie als große Hürde.

AichwaldDurch das Fenster seines Hauses in Lobenrot sieht Otto Hermann einen Buntspecht. Da huscht ein Lächeln über das Gesicht des Seniors, der seit einem Sturz im Krankenhaus ans Bett gefesselt ist. Fasziniert schaut er auf das Vogelhäuschen. Seit eineinhalb Jahren pflegt ihn seine Frau Ingrid daheim. „Er wollte wieder nach Hause, hier fühlen wir uns wohl“, sagt die 83-Jährige, der ihr Alter kaum anzusehen ist. Zweimal am Tag kommen die Pflegekräfte der Sozialstation Aichwald, um die Wunden des Seniors zu versorgen.
„Drei bis vier Stunden kann ich ihn alleine lassen“, sagt seine Frau. Dann fährt sie nach Stuttgart zum Friseur, denkt auch mal an sich. „Da gehe ich schon immer hin, das tut mir gut“, sagt die Seniorin, die mit ihrem Mann die Bäckerei Hermann am Schillerplatz geführt hat. Inzwischen ist dort ihr Sohn Lutz Chef. Die rüstige Rentnerin fährt auch noch Auto. Manchmal, wenn sie eine Auszeit braucht, kommt ihr Enkel Marc Bawarschi. Dann schaut der 25-Jährige mit seinem Opa Fußball oder Autorennen. „Das brauchen die Männer von Zeit zu Zeit“, verrät Ingrid Hermann. Da strahlt die Oma: „Dass ich den Rückhalt meiner Familie habe, macht mich glücklich.“
Als die Familie vor der Alternative stand, den Vater daheim zu pflegen oder ihn im Pflegeheim betreuen zu lassen, waren sich alle einig. Nach einigen Monaten im Seniorenstift Radäcker in Sulzgries wollte Otto Hermann heim. Zwar habe ihnen das Haus gefallen, aber den Rentner zog es heim, in die eigenen vier Wände. „Da war es für mich klar, dass ich ihn unterstütze“, sagt seine Frau. „Das Haus ist unsere Heimat.“ Als die Familie da einzog, hat der Bäcker darauf geachtet, dass alles barrierefrei ist. Darüber ist Ingrid Hermann froh. „Es erleichtert vieles, dass wir nicht umbauen mussten.“
Das Pflegebett steht im Wohnzimmer der Hermanns. „Er möchte, dass ich da bin,“ sagt die 83-Jährige. Manchmal sitzen die zwei einfach da, beobachten die Vögel. Mittags kocht Ingrid Hermann für den bettlägerigen Mann: „Am liebsten mag er Gemüse.“ Das bereitet sie in allen Variationen zu. Wie meistert sie trotz ihres hohen Alters die Pflege? „Es geht alles, wenn man will.“ Mit Hilfe eines Lifts schafft sie es sogar, ihren Mann aus dem Bett zu hieven. Obwohl das die Bäckersfrau im hohen Alter selbst fordert. Froh ist sie über die Hilfe der Sozialstation Aichwald. Das Miteinander mit den Fachkräften klappe prima: „Es gibt so viele Hilfen für pflegende Angehörige. Das kann man, wenn man es will.“
Es gebe Höhen und Tiefen im Pflegealltag. Die bekommt auch Ingrid Hermann zu spüren. Zum Beispiel dann, wenn sie bürokratische Hürden überwinden muss. „Oft weiß man nicht, an welche Stelle man sich wenden soll“, sagt sie mit Blick auf die Anträge für Krankentransporte. Gerade viele ältere Menschen, die nicht mehr so fit seien wie sie oder die keine Kinder hätten, täten sich da schwer. „Da sollte vieles erleichtert werden, um uns Angehörige zu entlasten.“
Hat es die Rentnerin jemals bereut, dass sie ihren schwerst kranken Mann daheim betreut? „Es ist schön, dass wir so viel Zeit miteinander verbringen dürfen“, antwortet sie spontan. Dabei vergisst die 83-Jährige ganz, was sie selbst täglich in der Pflege leistet. Liebevolle Blicke auf ihren Mann zeigen, dass sie jede Sekunde mit ihm genießt. Wenn sie selbst mal gestresst ist und Ruhe braucht, setzt sie sich zu ihrem Mann ans Bett und schaut den Vögeln zu. Für diese innigen Augenblicke lohne sich ihre tägliche Arbeit, ist sie überzeugt. „Mein Mann hat sein Leben lang hart gearbeitet, stand schon um 4 Uhr morgens in der Backstube“, erinnert sich die gelernte Drogistin. Sie stand nach der Hochzeit in der Bäckerei, machte dann abends noch die Buchhaltung. „Deshalb soll er es jetzt im Alter schön haben.“