Täglich transportieren die Mitarbeiter des Esslinger Diakonieladens Möbel. Das alte Fahrzeug, das allein in einem Jahr 12 000 Euro Reparaturkosten verschluckt hatte, wurde durch Spendenerlöse ersetzt. Quelle: Unbekannt

Von Dagmar Weinberg

In den letzten Wochen des Jahres ist es vielen unserer Leserinnen und Leser ein Anliegen, all jenen zu helfen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. So öffnen die Menschen in der Stadt und im Altkreis Esslingen zur Weihnachtszeit ihre Herzen und ihre Geldbeutel. Neben den Lesern haben Unternehmen, Vereine, Schulklassen, Einzelpersonen und ungezählte ehrenamtlich Engagierte die EZ-Weihnachtsspendenaktion, die in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum feiert, zu einer veritablen Erfolgsgeschichte werden lassen. Seit Bestehen der Aktion sind mehr als 4,6 Millionen Euro für unverschuldet in Not geratene Menschen in der Nachbarschaft sowie soziale Einrichtungen und Organisationen in Esslingen und Umgebung gesammelt worden. Dabei hat alles ganz klein begonnen.

Im Herbst des Jahres 1966 hatte der Mettinger Pfarrer und Stadtrat Günter Hekler den damaligen EZ-Lokalchef Edmund Miller in der Redaktion besucht. Hekler erzählte von seiner Reise in die evangelische Diaspora-Gemeinde in Esslingens französischer Partnerstadt Vienne, auf der er auch drei deutsche Bauern kennengelernt und von dessen Schicksal erfahren hatte. Nach ihrer Vertreibung aus dem Osten hatte es die drei Landwirte nach Frankreich verschlagen. Die französische Regierung übergab in den 60er-Jahren verlassene Höfe auch an Deutsche, die infolge des Krieges ihr Hab und Gut verloren hatten. Doch der Neustart war nicht leicht. So war einer der Bauern zum Zeitpunkt des Besuchs der Verzweiflung nahe. So sehr er sich auch mühte, kam er nicht so recht auf die Beine und hatte die Hoffnung, für sich und seine Familie eine neue Existenz aufzubauen, schon fast aufgegeben. Die Eßlinger Zeitung berichtete über die prekäre Lage der Landwirte. Ihr Schicksal bewegte die EZ-Leser dermaßen, dass sie spontan spendeten. Am Ende kam der für die damalige Zeit stattliche Betrag von 6000 Mark zusammen. Das Gros der Spenden erhielt Landwirt Fiedler. Er investierte das Geld in eine Unkraut-Vernichtungsmaschine, die er im Lohnverfahren auch auf anderen Höfen einsetzte und sich somit schließlich seine Existenz sicherte.

Bald ging aus dem Kreis der Leserinnen und Leser der Vorschlag ein, doch jedes Jahr zur Weihnachtszeit „etwas Gutes“ zu tun. Voraussetzung sei allerdings, dass man erfahre, wohin die Spenden gehen und dass sie ohne Abzüge bei den Hilfsbedürftigen ankommen. Eine Anregung, die EZ-Verleger und Chefredakteur Otto Wolfgang Bechtle sofort aufgriff.

Bis heute ist mit der Weihnachtsspendenaktion die Vorgabe verknüpft, dass die Spendengelder ausschließlich sozialen Einrichtungen sowie unverschuldet in Not geratenen Menschen im Verbreitungsgebiet der Eßlinger Zeitung zugute kommen - also genau dort, woher die Spenden kommen.

Bei der ersten offiziellen EZ-Weihnachtsspendenaktion wurden 1967 knapp 5500 Mark gesammelt, mit denen einem Esslinger Bürger ein Rollstuhl finanziert sowie zwei behinderten Kindern neue Perspektiven eröffnet wurden. So konnte ein gehörloser Junge dank der Spenden auf die Gehörlosenschule in Heilbronn gehen und ein Rollstuhlfahrer, der in jungen Jahren an Kinderlähmung erkrankt war, ein Gymnasium in Norddeutschland besuchen - Die damals einzige Schule in ganz Deutschland, die Rollstuhlfahrern den Weg zum Abitur ebnete.

Im Jahr darauf rief die EZ erneut zu Spenden auf. Die Firma Boley & Leinen klinkte sich als erstes Unternehmen in der Region in die Aktion ein und machte den damals 15-jährige Willi glücklich. Auch er litt an den Folgen einer Kinderlähmung, wollte aber unbedingt eine Uhrmacherlehre machen. Das teure Werkzeug hätte er allerdings selbst kaufen müssen. Dank der Benefizaktion erhielt der hoch motivierte junge Mann eine Kleindrehbank und ein großes Paket mit Uhrmacher-Werkzeug. Dem Beispiel von Boley & Leinen folgten im Laufe der Jahre viele weitere Unternehmen.

Als erste Organisation unterstützte der Kreisjugendring (KJR) 1972 die weihnachtliche Spendensammlung. Als Erlös aus einer Straßenaktion überreichte der damalige KJR-Geschäftsführer Otto Weinmann einen Scheck über 1250 Mark. Die Besucherinnen und Besucher der Esslinger Jugendhäuser hatten sich in der Vorweihnachtszeit ins Zeug gelegt und eifrig gebastelt und gewerkelt. Die dabei entstandenen Werke wurden anschließend gegen Bares für die Benefizaktion unters Volk gebracht.

Mit den mehr als 7000 Mark, die 1972 zusammenkamen, wurde, so heißt es in der Chronik, fünf „Notfällen vor unserer Tür“ geholfen. Menschen vor Ort zu helfen, deren Leben durch persönliche Schicksalsschläge oder Krankheit beeinträchtigt ist, das ist bis heute eines der Hauptanliegen der EZ-Aktion. So geht auch zum 50. Jubiläum wieder die Hälfte des Erlöses an Bedürftige.

Zu einer Initialzündung wurde die EZ-Aktion für den Ausbau des Notarztwesens in der Stadt Esslingen. Mit den mehr als 100 000 Mark, welche die Leserinnen und Leser sowie Firmen und Vereine 1975 gespendet hatten, wurde ein neuer Notarztwagen gekauft. Das Rote Kreuz gehört bis heute immer wieder zu den Begünstigten. So sollen auch Mittel der diesjährigen Jubiläumsaktion in die Finanzierung des dringend benötigten neuen Baby-Notarztwagens fließen, der vom Klinikum Esslingen und vom DRK Esslingen-Nürtingen gemeinsam betrieben wird. Als Dank und Anerkennung für das Engagement nahmen Otto Wolfgang Bechtle und Edmund Miller schließlich im November 1980 stellvertretend für alle Spenderinnen und Spender das DRK Ehrenzeichen entgegen.

Zwei Jahrzehnte nach dem Start der EZ-Weihnachtsspendenaktion hatte das Benefizprojekt einen solchen Umfang angenommen, das man sich 1988 zur Gründung des Vereins „Gemeinsam helfen“ entschloss, dessen Vorsitzende bis heute EZ-Verlegerin Christine Bechtle-Kobarg ist. Bis zur Gründung des Vereins waren exakt 617 392 Mark (315 667 Euro) zur Unterstützung in Not geratener Menschen sowie sozialer Organisationen auf den Spendenkonten eingegangen.

Der 25. Geburtstag der Spendenaktion endete mit einem Rekordergebnis von 202 000 Mark. Neben vielen Bedürftigen freute sich damals die Esslinger Diakonie- und Sozialstation über einen Transporter mit Hebebühne für Rollstuhlfahrer. Seit dem 25. Jubiläum übertrifft der Eingang an Spenden fast immer den des Vorjahres. Die Eßlinger Zeitung kann sich aber nicht nur zur Weihnachtszeit auf ihre treuen Spenderinnen und Spender verlassen. Als im Sommer 2002 tagelanger Dauerregen Teile der Stadt Dresden und Ostdeutschlands in den Fluten versinken ließ, gingen zusätzlich zu den 155 260 Euro, die bereits zu Weihnachten auf die Konten geflossen waren, im Rahmen einer EZ-Aktion nochmals 314 060 Euro für die Flutopfer in Dresden ein.

Ein Auszug aus dem Archiv der Hilfsaktion zeigt, wie lang die Liste der Begünstigten inzwischen ist und wie breit die Hilfe im Laufe der Jahre gestreut wurde: Die Werkstatt für Behinderte in Zell (heute Werkstätten Esslingen-Kirchheim) ist ebenso dabei wie die Johanniter, die Esslinger Beschäftigungsinitiative (EBI), das Kinderhaus Agapedia, das Esslinger Mütterzentrum, das Kinder- und Jugendheim Neuhausen, der Deutsche Kinderschutzbund und das Esslinger Hospiz. Geld gab es auch für Wohnheime des Vereins für Körperbehinderte und der Esslinger Lebenshilfe sowie für den von der Agendagruppe Kinder und Jugendliche in Baltmannsweiler initiierten Erlebnisspielplatz. Aus dem Spendentopf gesponsert wurde zudem der DRK-Hausnotruf, die Schulranzen-Aktion des Kreisdiakonieverbands Esslingens, die Erstklässlern aus Familien, die an der Armutsgrenze leben, zu einem guten Schulstart verhalf, das vielfältige Engagement von Asylarbeitskreisen und viele weitere soziale Einrichtungen und Projekte: So konnte sich zum Beispiel die Esslinger Vesperkirche, die inzwischen für viele Bedürftige zu einem Fixpunkt im Jahreslauf geworden ist, ebenso auf die Spendenbereitschaft der Leser, Unternehmen und Vereine verlassen wie das 2013 eröffnete Beratungs- und Hilfezentrum „Die Brücke“ in Plochingen.

Dass die Aktion auch an höchster Stelle Anerkennung fand, zeigte sich, sehr zur Freude der Organisatoren und treuen Spender, im Frühjahr 1997. Als Schirmherrin der von ihr gegründeten Stiftung für Mukoviszidose-Kranke kam Christiane Herzog, die Frau des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, nach Esslingen -ohne Frage, einer der Höhepunkte der Aktion. In der Kinderklinik übergab sie einen für diesen Patientenkreis benötigten Blutgas-Analysator, der durch EZ- Spenden finanziert worden war. „Ohne Leser stünden wir mit leeren Händen da“, betonte die First Lady bei ihrem Besuch in der Neckarstadt.

Wie tief die Benefizaktion der Eßlinger Zeitung im Bewusstsein der Bevölkerung verankert ist, zeigt sich jedes Jahr aufs Neue durch das große Engagement von Ehrenamtlichen, die mit kreativen Ideen und Aktionen dazu beitragen, den Spendentopf zu füllen: Seien es die Organisatoren des Silvesterfackellaufs, die ihren Mitbürgern immer wieder einen stimmungsvollen Jahresabschluss bescheren, oder der Folklorechor Plochingen, der seit Jahren für die gute Sache auftritt. Mächtig ins Zeug legen sich auch Winfried Kampmann, der ehrenamtlich die Benefiz-Nachwuchsshow „Wir bewegen was“ auf die Bühne bringt, sowie Musiker, die zum Neujahrskonzert in die Klosterkirche Denkendorf einladen.

Auf Weihnachtsmärkten in den Kreisgemeinden stellen sich neben Vereinen und Schulen auch die Bürgermeister und Oberbürgermeister regelmäßig in den Dienst der guten Sache. Als feste Größe in der Adventszeit hat sich das Weihnachtsdorf am Postmichelbrunnen etabliert. Prominente Zeitgenossen stehen beim Glühweinausschank am Zapfhahn oder signieren wie Bestsellerautor Gerhard Raff Bücher, die Landfrauen steuern Hunderte Gläser mit leckerer selbst gemachter Marmelade zur EZ-Aktion bei, und dank Sachspenden der lokalen und regionalen Geschäftswelt wartet wieder eine Tombola auf Loskäufer. So tragen auch im Jubiläumsjahr viele Hände dazu bei, den Spendentopf zu füllen und machen die EZ-Aktion zu einem leuchtenden Beispiel gelebter Solidarität.