Die ersten Wohnungen in der Neuen Weststadt sind bezogen. Für den OB ist dieses Projekt neben anderen ein wichtiger Baustein, um das Wohnungsproblem in der Stadt zu entschärfen. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Esslingens Oberbürgermeister Zieger räumt im Zusammenhang mit wichtigen Bauvorhaben Kommunikationsprobleme ein, spricht aber ansonsten von einem erfolgreichen Jahr 2018.

EsslingenEsslingen steht in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen, die das Leben in der Stadt maßgeblich beeinflussen werden. Das betrifft vor allem Verkehrsprojekte wie die Geiselbachstraße oder die anstehenden Brückensanierungen. Einen Vorgeschmack auf das, was den Bürgerinnen und Bürgern bevorsteht, hat es in diesem Jahr schon gegeben und immer wieder wurde in der Öffentlichkeit und auch in Teilen des Gemeinderats die Frage gestellt, ob die Verwaltung den Aufgaben gewachsen ist. Im Interview räumt Oberbürgermeister Jürgen Zieger Probleme bei der Kommunikation ein, spricht aber insgesamt von einem erfolgreichen Jahr, in dem viele Projekte angeschoben oder umgesetzt worden seien.

Im zu Ende gehenden Jahr stand die Stadtverwaltung häufig in der Kritik. Die Vollsperrung der Geiselbachstraße ist wieder verschoben worden, und der schleppende Abriss des Fußgängerstegs an der Frauenkirche hat viel Ärger ausgelöst. Ist die Verwaltung überfordert?
Das ist mir jetzt als Einstiegsfrage ein bisschen arg molltönig. Ich möchte schon behaupten, dass wir ein erfolgreiches Jahr für unsere Stadt hinter uns haben. Es gab wichtige Grundsatzentscheidungen bei der Schulentwicklung, beim Ausbau der Kinderbetreuung und auch der neue Flächennutzungsplan ist beschlossen worden. Ich stelle jedoch nicht infrage, dass bei der Kommunikation vor allem im Zusammenhang mit der Geiselbachstraße einiges schief gelaufen ist. Aber ich nehme die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausdrücklich in Schutz. Neben der schwierigen Kommunikation stehen eben auch sehr erfolgreiche Projekte. Stellvertretend genannt seien da der Ausbau des Festo-Knotens und der Zollberg-Steige, die Augustinerbrücke, oder die Vorbereitung für die Sanierung der Vogelsangbrücke. Im Hochbaubereich geht es um die Sporthalle Weil – da wurden 8,5 Millionen Euro verbaut – oder um die Vorbereitung für Schulneubauten, etwa in Zell. Das sind positive Ergebnisse unserer Bauverwaltung.

Bleiben wir noch beim Thema Geiselbachstraße und nehmen die anstehenden Brückensanierungen und späteren Brückenerneuerungen dazu: Den Auswirkungen auf den Verkehr und damit auf die Lebensqualität in der gesamten Stadt kann man nur mit klaren Konzepten begegnen. Wo bleiben die?
Zunächst mal ist ja nun klar, dass es bei der Teilsperrung der Geiselbachstraße bleibt. Das ist technisch unausweichlich und von allen Fraktionen im Gemeinderat so beschlossen worden. Grundlage für größere Vorhaben im Straßenbau ist ein Mobilitätskonzept, das gerade im Gemeinderat in der Beschlussfassung ist. Wir brauchen das spätestens 2021, nachdem die Vogelsangbrücke saniert worden ist. Diese Sanierung machen wir übrigens ohne Vollsperrung. Wir haben große Ziele beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und peilen in den nächsten Jahren eine zwanzigprozentige Steigerung an. Und wir brauchen eine Einigung mit der Stadt Stuttgart über die Nutzung der Tiroler Straße für den Busverkehr. Das sind Bausteine unseres Konzeptes, die wir im ersten Halbjahr nächsten Jahres festzurren wollen.

Wie wird dieser Prozess begleitet?
Ich werde einen runden Tisch mit Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht und dem für das Ordnungs- und Verkehrswesen zuständigen Bürgermeister Markus Raab mit den jeweiligen Bürgerausschüssen installieren. An diesem runden Tisch können sich auch Vertreterinnen und Vertreter des Gemeinderats beteiligen.

Während der vergangenen Monate kam in der Öffentlichkeit der Eindruck auf, Sie hätten sich als oberster Chef der Verwaltung bewusst aus den kritischen Themen herausgehalten. In der Schusslinie stand vor allem das Technische Rathaus mit Bürgermeister Wilfried Wallbrecht. Ist dieser Eindruck richtig?
Dieser Eindruck ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel schon einmal zu den notorischen Verspätungen bei der Deutschen Bahn oder zu Stuttgart 21 geäußert hat. Es ist mir auch nicht erinnerlich, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann selbst etwas zu den Unterrichtsausfällen an den Schulen gesagt hat. Ich lege Wert darauf, dass wir als Bürgermeister-Team sehr kollegial zusammenarbeiten. Die Geschäftsgrundlage der intensiven Zusammenarbeit zwischen allen Bürgermeistern ist Vertrauen.

Wie die Unternehmen kämpft auch das Rathaus gegen den Fachkräftemangel. Dies betrifft wieder vor allem das Technische Rathaus. Gibt es überhaupt noch eine Chance, die Fachleute zu gewinnen, die man für die anstehenden schwierigen Aufgaben braucht?
Wir leben in einer sehr dynamischen Phase unserer Wirtschaft. Das schlägt sich auch in der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nieder. Der Gemeinderat hat während seiner letzten Sitzung in diesem Jahr ein Paket von vier Millionen Euro beschlossen. Es geht darum, die Stadt als attraktive Arbeitgeberin zu positionieren. Dazu gehört auch der Bereich Erziehung und Kinderbetreuung, in dem wir vorbildlich sind. Ich glaube, dass dies nicht ohne Wirkung auf den Markt bleibt. Dann werden wir in der Summe und in der Qualität die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die wir als Verwaltung der Bürgerschaft auch schuldig sind.

Mikroapartments auf dem Boley-Areal und auf dem Gelände des ehemaligen ZOB. Ist das wirklich eine ernsthafte Reaktion auf die Wohnungsnot in Esslingen oder nur ein lukratives Anlegermodell?
Im Grunde genommen ist das Modell kleiner Apartments und großzügiger Gemeinschaftsflächen ein mittlerweile weltweit gängiges Modell in den verdichteten Stadträumen. Vor dem Hintergrund von 40 000 Haushalten in Esslingen sind 500 Mikroapartments kein Problem. Dass diese räumlich konzentriert an der Berliner Straße entstehen, ist ein bisschen unglücklich. Es gab wechselnde Mehrheiten im Gemeinderat, doch die Apartments wurden beschlossen. Das war nicht mein Wunsch, aber es handelt sich um ein gutes Angebot auf dem Wohnungsmarkt. Denn die Zahl der Singlehaushalte steigt. Diese Kleinstwohnungen bilden aber nur einen Aspekt bei einem ganzen Bündel von Aktivitäten. Ich nenne hier die Neue Weststadt – dort sind die ersten Wohnungen bezogen worden, und jedes Jahr kommen 150 weitere dazu. Für den Sportplatz in Weil ist gerade die Baugenehmigung erteilt worden – da geht es um 180 neue Wohnungen. Auch auf der Flandernhöhe entstehen durch die Esslinger Wohnungsbau 140 neue Wohnungen. Ich erinnere zudem an die Grünen Höfe in der Pliensauvorstadt, die sich erfolgreich entwickeln. Und ich nenne nicht zuletzt den neuen Flächennutzungsplan als Voraussetzung für weitere Wohnbauflächen. Unser größtes Problem ist, dass von der Entscheidung im Gemeinderat, eine Fläche für Wohnungen bereitzustellen, bis zum Einzug der ersten Bewohner sechs Jahre vergehen.

In Esslingen siedeln sich weitere Logistikunternehmen an. In Sirnau entsteht eine riesige Halle, auf dem Danfoss-Areal wird bald für einen Logistiker gebaut und auf dem ehemaligen Delmag-Gelände in den Neckarwiesen ebenso. Viel Fläche, wenig Arbeitsplätze, viel Verkehr. Ist das Esslingens Antwort auf die wirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft?
Sirnau ist in der Tat kein Vorzeigeprojekt, weil es da nur um wenige Arbeitsplätze geht. Ähnliches gilt für mich im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung im Gemeinderat für das Delmag-Gelände. 140 Arbeitsplätze auf einer Fläche von mehr als drei Fußballfeldern ist keine geeignete Antwort einer Stadt mit knappen Gewerbeflächen. Danfoss ist ein ganz anderer Fall. Dort wird auch nicht Logistik entstehen, sondern Produktion für Daimler, dem wichtigsten Unternehmen Esslingens mit insgesamt mehr als 10 000 Arbeitsplätzen in der Stadt. In dieser Produktion werden 330 Menschen auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern arbeiten. Auf einem Drittel der Fläche im Vergleich zu Delmag werden zweieinhalb Mal so viele Arbeitsplätze entstehen. Das gilt in der Pliensauvorstadt auch für die Wurzel-Mediengruppe und für die Firma Herzog Plastic. Es gibt also auch gute Beispiele und damit richtige Antworten auf die wirtschaftlichen Herausforderungen.

Lassen Sie mich noch einmal auf die Halle in Sirnau zurückkommen: Es ist ja lange ein großes Geheimnis aus dem künftigen Nutzer gemacht worden. Jetzt ist bekannt, dass mit der HTL Peter Messner GmbH ein Dienstleister für die Automobilindustrie in die Halle ziehen wird. Warum diese Geheimniskrämerei, die Spekulationen, da werde gemauschelt, Tür und Tor geöffnet hat?
Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass in gewissen Kreisen oder an Stammtischen Theorien entwickelt wurden. Es ist schlichtweg versäumt worden, in Sirnau eine Veränderungssperre zu verfügen, um Einfluss auf die Art der Nutzung nehmen zu können. Aber was die Genehmigung angeht, so ist das Verfahren einwandfrei verlaufen. Da gibt es keine Absprache in Geheimzirkeln.

Und warum hat man dann so lange geschwiegen?
Die Kommunikation zwischen den Fachämtern im Technischen Rathaus, die das Vorhaben formal genehmigt haben, und der Verwaltungsspitze war suboptimal.

Sie haben es schon angesprochen: Die Verwaltung hat große Pläne für einen attraktiven Nahverkehr. Wie passt das mit den großen Anlaufschwierigkeiten nach der Übernahme eines Teils des Stadtverkehrs durch die Firma Rexer zusammen?
Zwei Drittel des Stadtverkehrs werden vom Städtischen Verkehrsbetrieb erbracht. Die Firma Rexer ist über den Wettbewerb ausgewählt worden und nicht per Los. Bewerben mussten sich alle Busunternehmer, so wie sich auch jeder Handwerker für einen Auftrag bewerben muss. Das Ergebnis muss akzeptiert werden. Jede Anpassung bei der Übernahme einer solchen Verkehrsleistung bedarf eines Übergangszeitraums. Das ist überall so und keine Esslinger Spezialität. Erschwerend kommen in Esslingen die vielen Baustellen dazu, vor allem die auf der Augustinerbrücke und in der Geiselbachstraße. Erschwerend ist auch das unseriöse Geschäftsgebaren regionaler Busunternehmen, die mit Wildwestmethoden die Fahrer von Rexer abwerben und damit das Unternehmen zusätzlich unter Druck setzen. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Dinge einspielen werden.

Esslingen wird das erste Bürgerbegehren seiner Geschichte erleben. Das Thema Zukunft und Standort der Stadtbücherei ist emotional hoch aufgeladen. Wie stehen Sie zu diesem Bürgerentscheid?
In der Frage des Bürgerbegehrens zum Standort der Bücherei bin ich wirklich entspannt, weil ich mit beiden zur Auswahl stehenden Möglichkeiten leben kann. Hätten wir vor vier Jahren über die finanziellen Ressourcen verfügt, dann hätten wir die Variante Sanierung und Ausbau des Bebenhäuser Pfleghofs gewählt. Das kann auch heute nicht grundsätzlich schlecht sein. Dem steht nicht entgegen, dass ich für die Kupfergasse / Küferstraße gestimmt habe, weil ich in der Abwägung der Risiken und Chancen dieser Variante den Vorzug gebe. Dazu stehe ich auch heute. Insofern bin ich gelassen, wünsche mir aber, dass es keine Spaltung in der Stadtgesellschaft wegen dieses Themas gibt und sich die Emotionen in Grenzen halten. Ich hoffe, dass das Ergebnis – egal wie es ausgeht – von beiden Seiten akzeptiert wird. Das ist mein Wunsch für das neue Jahr.

Das Interview führte Christian Dörmann.