Oberle ist auch Brückenbauer zu Firmen, die sein Anliegen immer wieder gerne unterstützen. Hier bauen seine Schüler in der Azubi-Werkstatt der Firma Keller Lufttechnik in Kirchheim eine Windanlage. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Claudia Bitzer

Der Mann kann eine ganze Menge. Zum Beispiel dichten: „Ob Windkraft, Brause, Leichtmetalle: Getüftelt wird in jedem Falle.“ Dabei ist Rolf Oberle eigentlich Naturwissenschaftler. Der ehemalige Gymnasiallehrer aus Lenningen hat gemeinsam mit der jungen Sonderschullehrerin Sandra Heinrich ein ungewöhnliches Projekt auf die Beine gestellt. Er zeigt ihren Schülerinnen und Schülern aus der Sprachheilschule des Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums Esslingen - besser bekannt als Rohräckerschule -, warum Brausepulver auf der Zunge prickelt. Oder warum ein Flugzeug nicht vom Himmel fällt. Die Idee, Schülern im Grundschulalter spielerisch das Experimentieren und erste naturwissenschaftliche Fachbegriffe beizubringen, hat es sogar bis zur „Science on Stage“ in Berlin gebracht. Auf dieser Bühne präsentierten rund 100 Lehrer aus den Naturwissenschaften innovative Projekte für den Unterricht in den sogenannten MINT-Fächern.

Enge Bande

Die Chemie zwischen Rolf Oberle und Sandra Heinrich hat von Anfang an gestimmt: Die Sonderschullehrerin ist eine enge Freundin von Oberles Tochter. Und als es darum ging, wie man das Rentnerdasein des seit zwei Jahren pensionierten Studiendirektors für Chemie, Geowissenschaften und Naturwissenschaft und Technik etwas aufmischen könnte, entstand die Idee, seine Fähigkeiten nicht länger brach liegen zu lassen. „An Grundschulen soll schließlich verstärkt naturwissenschaftlicher Unterricht geboten werden und das gilt auch für die Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerungen, die an den Sprachheilschulen gefördert und unterrichtet werden“, so Oberle. Es gebe zahlreiche exzellente Sonderpädagogen - doch von denen kämen die wenigsten aus den Naturwissenschaften.

Heinrich stellte ihm zur Premiere acht Schulstunden, also zwei Vormittage, zur Verfügung. Sein Thema: Brausepulver. Mit Alltagsgegenständen wie zum Beispiel einem Plastikstäbchen fürs Umrühren im Kaffee-Pappbecher haben die Kinder den Inhalt eines klassischen, gelben Ahoi-Tütchens in seine drei verschiedenen Inhaltsstoffe zerlegt, diese auf ihre Form und ihren Geschmack hin analysiert. Oberles junge Kollegin hielt dann die Worte für die einzelnen Inhaltsstoffe, also Zucker, Säure und Natron, auf der Tafel fest. Oberle: „Ich komme von der Eigenschaft der Stoffe her, sie von der Sprache.“ Dass er seine Worte bei den Kindern, die ein eingeschränktes Sprachverständnis und/oder Probleme in der Sprachverarbeitung haben, sehr reduziert halten muss, „ist für einen Akademiker schon sehr schwierig“. Er scheint es aber sehr gut zu machen, garniert auch immer mit einem selbstgereimten Vierzeiler nach dem TV-Kinderklassiker „Rappelkiste“. Heinrich lobt: „Die Kinder sind in seinen Stunden hoch motiviert.“

Vom Metall zum Silikon

Angefangen haben die beiden damit in der dritten Klasse, mittlerweile sind die Schülerinnen und Schüler in der fünften. Weitere Themen waren die Metalle. Oder eine Windanlage, die jedes Kind in einer Kirchheimer Firma selber bauen durfte. Die Klasse hat sich auch mit dem Thema Fliegen beschäftigt. Derzeit können die Kinder etwas über die Eigenschaften von Silikonen erfahren, aus denen Freundschaftsbändchen und Infusionsschläuche gemacht werden. Oder auch Backförmchen. In die dürfen sie Zartbitter-Schokolade gießen. Das gibt dann Schoko-Lollys. „Was Herr Oberle mit unseren Kindern macht, könnten wir ohne ihn gar nicht abdecken“, lobt Heinrich ihren Unterrichtspartner auf Zeit. Dem ist es wichtig, dass er „nur“ die Ergänzung ist. „Das Kerngeschäft muss in der Schulen von den Lehrern gemacht werden.“

Kein Handlungsreisender

In dem Berliner Wettbewerb kamen sich die beiden angesichts der zahlreichen finanziell geförderten Hochbegabten-Projekte eher wie Exoten vor. „Aber es gibt auch andere Menschen als diejenigen, die sich mit der Industrie 4.0 beschäftigen werden. Man muss auch für sie Berufsfelder zur Verfügung stellen“, ist Oberle überzeugt. Denn Oberles und Heinrichs Experimente vermitteln manuelle und verbale Fähigkeiten im Arbeitsprozess. Als Handlungsreisender in eigener Sache will der 66-Jährige aber nicht durch die Lande touren. „Jede Schule muss sich ihre eigenen Rentner suchen.“