Im denkmalgeschützten Backhäusle wurde der Ofen angefeuert. Für die Besucher gab es Kostproben. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Am Tag des offenen Denkmals zieht es in Esslingen und Umgebung zahlreiche Besucher und Interessierte auf die historischen Spuren der ungewöhnlichsten Gebäude.

EsslingenBisher waren die Besucher am Tage des offenen Denkmals in Esslingen weitgehend mit Sonnenschein verwöhnt worden. Aber auch bei nasskaltem Wetter wandelten am Sonntag wieder viele Interessierte auf historischen Spuren und warfen einen Blick auf die jüngsten Kulturdenkmäler wie die Schelztorsporthalle. Rundgänge, bei denen man keinen Regenschirm brauchte wie die Besichtigung des Glockenspiels im Alten Rathaus, waren schnell ausgebucht und als absolutes Highlight entpuppte sich wie jedes Jahr die Turmführung in der Frauenkirche.

Nicht nur Fachwerk: Esslingen werde zu Unrecht hauptsächlich als Fachwerkstadt wahrgenommen, meinte Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht bei der Eröffnung. Daher komme das diesjährige Motto „Moderne: Umbrüche in Kunst und Architektur“ sehr gelegen. So sei nämlich die Schelztorsporthalle von 1957/58 mit dem markanten, stützenfreien Sheddach erst vor Kurzem in die Liste der Kulturdenkmäler aufgenommen worden. „Wie ein Kristall bettet sich die lichtdurchflutete Konstruktion in die Weinberge dahinter ein“, meinte Wallbrecht. Die ehemalige Reichsstadt sei also nicht nur durch eine, sondern viele Epochen geprägt. Und die daraus entstandenen Stilbrüche tragen laut dem Baubürgermeister durchaus zur Vielfältigkeit des Stadtbildes bei. Davon konnten sich die Besucher anschließend bei vier Stadtrundgängen sowie 29 Objektrundgängen überzeugen.

Ob hoch hinaus auf den Turm der Frauenkirche oder tief hinunter in die Krypta der Stadtkirche St. Dionys, die Interessierten ließen sich von dem nasskalten Wetter nicht abschrecken. In der Stadtinfo gab es bald keine Karten mehr für die Besichtigung der Rathausuhr mit Astrolabium sowie des Glockenspiels im Alten Rathaus. Ein Geschichtsfan, der auf dem Marktplatz einen ausgestellten Stadtplan von 1824 fotografierte, hatte 22 Jahre lang Ecke Milchstraße/Ritterstraße gelebt und wollte nun wissen, wie es früher da aussah. Anschließend ging es zur Führung, die den Bau der Panoramastraße sowie die Entwicklung der Ebershalde thematisierte. Zum ersten Mal konnte man sich am Tag des offenen Denkmals aber auch aufs Rad schwingen und bei einer Rätseltour die Besonderheiten von neun katholischen Kirchen, alle zwischen 1950 und 1969 entstanden, entdecken.

„Bitte die historische Pliensau nicht mit der heutige Pliensauvorstadt verwechseln“, räumte der Bauhistoriker Peter Dietl zunächst mit einem Missverständnis auf. Ein Dutzend, mit Regenschirmen bewaffnete Neugierige begab sich auf eine kurzweilige Entdeckungsreise. „Brüche lassen Städte sprechen“, meinte der Architekt mit Blick auf das diesjährige Motto und zog bei der Führung zur Veranschaulichung zahlreiche, historische Stadt-und Lagepläne aus dem Gepäck. Bei der Agnesbrücke, am Rande der ehemaligen, mittelalterlichen Vorstadt Pliensau, staunte die Schar bei einem Rundblick über die Vielfalt der Epochen: Alte Lateinschule (1488), Alte Aula (1915/16), Behördenzentrum (1987), Alte Agnesbrücke (1597), Schelztor-Sporthalle (1956/58) und Schelztorturm (13. Jahrhundert). Hier sei mit all den Brüchen und Veränderungen eine neue Einheit geformt worden, meinte Dietl. Alles sei da, was Esslingen ausmacht: Der Fluss, die historischen Monumente, die Weinberge und die Moderne. Doch nicht immer habe man sich die Mühe gemacht, ein neues Bild zu schaffen: Wie zum Beispiel zwischen den klaren Strukturen der Bahnhofstraße aus dem 19. Jahrhundert und der Berliner Straße. Das heute marode Haus im Schwanengraben von 1875 ist laut Dietl buchstäblich in den Graben der einstigen Stadtmauer um die historische Pliensau gebaut worden und zeugt vom Beginn der Industrialisierung. Weiter ging es eiligen Schrittes von Mosaiksteinchen zu Mosaiksteinchen. „Stellen Sie sich vor, alles wäre von einer Zeit geprägt, wie langweilig wäre das?“, gab der Bauhistoriker den Interessierten nach fast zwei Stunden zum Abschluss mit auf den Weg.

„Wie auf dem Feld, dem Himmel nahe“ fühlten sich die Besucher der Christuskirche auf dem Zollberg. Und das liegt laut Kirchengemeinderätin Beate Schleth an dem fünfeckigen Grundriss und dem Zeltdach, das nicht auf den Mauern aufsitzt, sondern mit einer Stahlkonstruktion im Boden verankert ist. Und so schweift der Blick durch ein Glasband in luftige Höhen. Das Gotteshaus, das vor 56 Jahren eingeweiht wurde, zeugt vom damaligen Aufbruch in der Architektur. Der Kirchenbauer Heinz Rall wollte nämlich die hierarchischen Strukturen aufbrechen und scharte die Gottesdienstbesucher in einem Halbrund um den Altar. Und es ist in dem damals jungen Stadtteil ein Gesamtkunstwerk entstanden, erfuhren die Teilnehmer an der Führung. Rall hatte neben dem Gebäude noch die Schale vom Taufstein und Leuchter gestaltet. Die Künstlerin Sigrid Liebenstein war für die Eingangstür verantwortlich und Egon Eiermann hatte die Stühle entworfen.

Die Jugend begeistern für die Denkmalpflege, das liegt Leiter David Nonnenmann am Herzen. Vor Kurzem ist nämlich das Projekt Jugendbauhütten Baden-Württemberg mit 22 Plätzen für ein Freiwilliges Soziales Jahr in den Bereichen Handwerk, Architektur oder Archäologie angelaufen. „Mir hat es Spaß gemacht, was Praktisches zu machen“, erzählt Judith Berning von ihren Erfahrungen. Die 22-Jährige hatte am Institut für Küstenforschung in Stade Keramiken restauriert. Ein junger Mann versuchte derweil am Infostand auf dem Marktplatz, mit dem Hohlmeisel auf der mittelalterlichen Wipp-Drechselbank ein Stuhlbein zu formen. „Nur berühren, wenn das Holz sich auf einen zu bewegt“, riet Nonnenmann.

Der Duft nach Feuer und Rauch zog durch die Schenkenbergstraße in Mettingen. Im Backhaus von 1865 roch es verführerisch nach Brot und Dinnete und die Mitglieder des Vereins, die das inzwischen denkmalgeschützte Kleinod vor dem Abriss gerettet haben, wurden am Tag des offenen Denkmals mit Fragen gelöchert. Mit Mehl stelle sie fest, ob der direkt befeuerte Ofen nachdem die Glut entfernt wurde die richtige Temperatur habe, erzählte Petra Haber. Zuerst schieße man die Flammenkuchen und dann erst das Brot ein. Und das müsse auch ein Mal umgesetzt werden, da es hinter heißer als vorne sei. Köstlich mundeten den Neugierigen auch die Probiererle mit verschiedenen Aufstrichen. „Wir legen Wert darauf, dass alles naturbelassen ist“, betonte Haber.