Johannes Weigle (links) und Michael Stülpnagel finden den richtigen Ton für die Poesie. Foto: FMS Photography/oh Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Wörterbücher waren für ihn „Kornspeicher der Sprache“. Und der chilenische Dichter Pablo Neruda hat sich großzügig in ihnen bedient und die mannigfachen Möglichkeiten der Sprache so virtuos genutzt, wie es nur wenigen vergönnt ist. Neruda war ein politischer Dichter, er war ein Poet, und er besaß die Fähigkeit, große Gefühle in Worte zu fassen, die zu Herzen gehen. Diese Gabe hat ihn weltberühmt gemacht. Vieles ist über ihn geschrieben und gesagt worden - die wohl schönste Hommage hat ihm sein Kollege Antonio Skarmeta mit seinem berührenden Buch „Mit brennender Geduld“ beschert. Dieses außergewöhnliche Werk hat rund um den Globus viele Freunde gefunden, es hat den Regisseur Michael Radford zu seinem zauberhaften Film „Il Postino“ inspiriert - und es hat die Fantasie des Esslinger Duos Phantasma beflügelt. „Kino im Kopf“ wollen der Schauspieler Michael Stülpnagel und der Musiker Johannes Weigle ihrem Publikum bieten. Nun bringen sie in der Scala am Esslinger Charlottenplatz Skarmetas Welterfolg auf die Bühne. Die Premiere beginnt morgen, Sonntag, um 17.30 Uhr.

Wenn Worte und Musik wirken

Stülpnagel und Weigle haben ihren ganz eigenen Stil gefunden, um Literatur lebendig werden zu lassen. Der Schauspieler interpretiert die Texte auf einfühlsame Weise, der Musiker kreiert dazu die passenden Klangbilder. In diesem Format hat das Duo Phantasma bereits „Die Legende vom Ozeanpianisten“ eindrucksvoll auf die Bühne der Scala gebracht. „Die Publikumsresonanz hat all unsere Erwartungen weit übertroffen“, erzählt Michael Stülpnagel. „Das hat uns ermutigt, dieses Format weiter zu pflegen. Offenbar gibt es bei vielen Menschen ein starkes Bedürfnis nach solchen Hörerlebnissen, die einen Kontrapunkt zur Reizüberflutung unserer Zeit setzen. Wer zu uns kommt, kann sich dem Zauber der Worte und der Musik hingeben und erleben, wie die Bilder der literarischen Vorlage vor dem inneren Auge lebendig werden.“ Der Erfolg der ersten Inszenierung war für das Duo aber auch eine Herausforderung, für die neue Produktion eine literarische Vorlage zu finden, die dieselben Möglichkeiten eröffnet. Die beiden Künstler haben lange überlegt und verschiedene Optionen ins Auge gefasst. Als die Rede auf Skarmetas Roman „Mit brennender Geduld“ kam, war beiden sofort klar, dass sie am Ziel ihrer Suche angelangt waren. „Wir kannten den Film ‚Il Postino’, dem der Roman zugrundeliegt, und wir haben uns an dieselben Momente erinnert, die uns beim Anschauen bewegt haben“, verrät Stülpnagel. Die Übereinstimmung, die die beiden Künstler bei der Auswahl ihres nächsten Projekts gespürt haben, prägte auch die Probenarbeit: „Wir brauchten gar nicht viele Worte, um unseren gemeinsamen Weg in Wort und Klang zu finden“, erzählt Michael Stülpnagel. „Jeder hat in den Proben eine glückliche Übereinstimmung mit dem anderen gespürt, und so ist die Inszenierung fast wie von selbst gewachsen.“

Mitten ins Herz

Das mag auch daran liegen, dass „Mit brennender Geduld“ einen ganz eigenen Zauber ausstrahlt. In einer zärtlichen Hommage an Pablo Neruda erzählt Skarmeta die Geschichte von der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem großen Dichter und dem einfachen Fischer Mario, der ihm täglich die unzähligen Briefe bringt, die Neruda von seinen Verehrern aus aller Welt erhält. Mario ist eigentlich kein Meister der schönen Worte, doch er beginnt zu verstehen, dass die Poesie Herzen zu öffnen und zu wärmen vermag - und dass sie damit zum Wegbereiter der Liebe werden kann. Weil der junge Fischer unbedingt das Herz der schönen Beatrice erobern will, den Schlüssel jedoch noch nicht gefunden hat, bittet er den berühmten Dichter, ihm mit einem Gedicht zu helfen. „Und die Macht des Wortes, die treffende Metapher, die Poesie wirken Wunder - und so wird Neruda zum Liebesstifter“, verrät Michael Stülpnagel, der an Skarmetas Werk vieles schätzt: „Mit humorvoll, plastischer Sprache, mal rau und direkt, mal feinsinnig und erotisch, trifft diese Geschichte mitten ins Herz.“ Und man spürt einmal mehr, was Liebe bedeuten kann - so wie Pablo Neruda in seiner unvergleichlichen Manier beschrieben hat, was es heißt, jemanden wirklich zu lieben: „Für die Welt bist Du irgendjemand, aber für irgendjemanden bist Du die Welt.“