Quelle: Unbekannt

Im Herbst sollen die Bauarbeiten für das Projekt „SSVE 2020“ starten. Mithilfe der Traglufthalle soll das Vereinsleben auch im Winter stattfinden.

EsslingenDie Vorstände des SSV Esslingen saßen an Quertischen frontal zum Publikum, die Anspannung war ihnen anzusehen. Stundenlang lang hatten sie den gut 300 Vereinsangehörigen in der Osterfeldhalle ihr Projekt „SSVE 2020“ vorgestellt, hatten diskutiert, Fragen beantwortet und Zweifler beruhigt. Es ging auf Mitternacht zu, als die Stunde der Wahrheit gekommen war und die Mitglieder zur Abstimmung schritten. Allein, das Votum für die Traglufthalle fiel deutlich aus: 261 von ihnen reckten die grüne Karte in die Höhe, 48 die rote. Damit war ein wichtiger, womöglich der entscheidende Schritt geschafft auf dem Weg zum Ganzjahresbetrieb im Schwimmbad auf der Neckarinsel: Wenn nicht noch etwas Gewichtiges dazwischen kommt, könnten im Herbst die Bauarbeiten losgehen. „Mit so großer Zustimmung hatte ich nicht gerechnet“, sagte ein erleichterter Udo Schäfer, der mit der geschäftsführenden Vorsitzenden Carola Orszulik und weiteren 13 Mitstreitern im sogenannten Kompetenzteam das Projekt vorantreibt.

In der Wintersaison 2020/21 könnte es soweit sein. Auf dem Vereinsgelände neben der Eislaufhalle würde sich dann eine schimmernde Hülle wölben und das Olympia-Becken zu einem temporären Hallenbad machen. Für den SSVE, mit nahezu 3300 Mitgliedern der größte Verein Esslingens, würde damit ein alter Traum wahr. Bislang spielt sich das Vereinsleben vor allem in den fünf Monaten im Sommerhalbjahr ab, in denen das Schwimmbad geöffnet hat. Im Winter leiden die Wasserballer ebenso wie Freizeitschwimmer unter den beschwerlichen Verhältnissen, die ihnen Ausweichmöglichkeiten wie das Merkelsche Bad oder Cannstatter Inselbad bieten. Dass das „Merkel“ und das Hallenfreibad Berkheim in den kommenden Jahren umfassend saniert werden, macht die Sache noch schwieriger.

Bis sie beim SSVE am Ziel sind, muss allerdings noch viel passieren. Die Traglufthalle ist das zentrale Element des Vorhabens, aber nicht das einzige. Zum „Projekt 2020“ gehören auch neue Umkleiden und Sanitäranlagen, ein barrierefreier Eingangsbereich und die Errichtung eines Blockheizkraftwerks , um genügend Energie für die Hülle und den Winterbetrieb zu haben. Insgesamt sollen sich die Investitionen auf 2,9 Millionen Euro belaufen, wovon etwa die Hälfte über Zuschüsse gedeckt sind. Die andere Hälfte will der Verein mit Bankkrediten finanzieren. Man habe ein seriöses und solides Finanzierungskonzept, stellte Carola Orszulik klar, „der SSVE ist heute schuldenfrei und wirtschaftlich gesund“. Die Kosten für den laufenden Betrieb sollen auch über Einnahmen aus Schulschwimmen, Freizeitsport und Sponsoring gedeckt werden. Vereinsangehörige, die auch im Winter baden oder Bahnen ziehen wollen, sollen dann eine gesonderte Gebühr entrichten. Im Raum stehen 120 Euro.

Der „Winterbeitrag“ gehörte denn auch zu den wunden Punkten bei der Mitgliederversammlung. „Das ist ein stolzer Preis für einen Freizeitschwimmer“, monierte ein Teilnehmer. Er sprach sich, letztlich ohne Erfolg, für einen Aufschub der Planung ein, bis detailliertere Zahlen und ein konkreter Belegungsplan vorlägen. Auch die diffizile Parkplatzsituation auf der Neckarinsel und die Schuldenaufnahme trieben manches Mitglied um. „Welches technische und wirtschaftliche Risiko steckt in der Traglufthalle?“, wollte einer wissen. Die Vereinsführung war nicht nur gut vorbereitet, sondern auch gefasst auf derlei Fragen. Ihr Konzept überzeugte das Gros der Mitglieder, anders als bei früheren Anläufen blieben Kritiker und Zweifler in der Minderheit.

So brach denn auch Ulrich Kreher, Geschäftsführer eines Ventilatorenherstellers in Ostfildern, eine Lanze für Vorstand und Initiatoren des Projekts „SSVE 2020“. „Ihr habt eine Wahnsinnsarbeit geleistet“, sagte er. „Man liest überall von Bäderschließungen. Da ist es jetzt an der Zeit für uns alle, Verantwortung zu übernehmen und gegenzusteuern. Für den SSVE ist das eine historische Chance.“

Es kommentiert: Gerd Schneider

Genau 40 Jahre wird es in diesem Sommer her sein, dass der Schwimmsportverein Esslingen mit seinem Sportbad auf die Neckarinsel zog. Manche Mitglieder haben sich damals schwergetan mit dem Wechsel. Heute wird der Verein um seine Anlage beneidet. Man fragt sich, was aus ihm geworden wäre, hätte er den Schritt damals nicht gewagt. Vier Jahrzehnte später steht der SSVE in einer vergleichbaren Lage. Eine Drei-Millionen-Investition ist auch für so einen großen Verein kein Pappenstiel. Er muss dafür ins Risiko gehen. Doch die Vereinsangehörigen haben offenbar erkannt, dass es ein – vermutlich nicht mehr korrigierbarer – Fehler wäre, das Projekt noch abzublasen. Die Planungen für eine Traglufthalle und die Runderneuerung der Anlage sind weit gediehen, auch die Finanzierung steht. Vorstand und Projektteam arbeiten so engagiert wie seriös daran, dass aus der einstigen Vision Winterhallenbad in absehbarer Zeit Wirklichkeit wird.
Auch für die Stadt und die Region wäre das eine Bereicherung. Seit Jahren sinkt die Zahl der Schwimmbäder. Eine Gemeinde nach der anderen schließt ihr Bad zu, um Geld zu sparen – als wäre das Schwimmen ein überflüssiger Luxus und nicht die Kulturtechnik, die es seit der Antike ist. Die Folgen sind dramatisch. Weil es in ihren Schulen kaum noch Schwimmunterricht gibt, lernen immer weniger Kinder, richtig zu schwimmen. Daher käme es genau zur richtigen Zeit, wenn ein Verein wie der SSV Esslingen mit seinem Großprojekt ein Zeichen setzt – eine mutige Investition in seine Zukunft und ein Bekenntnis zum Schwimmsport.