Junge Leute lernen das Amtsgericht von innen kennen. Foto: Dietrich - Dietrich

Die Sicherheitsschleuse blieb ungenutzt: Die Verwaltungsleiterin Birgitta Frank-Grübel und Andreas Arndt, Direktor des Amtsgerichts Esslingen, wussten, dass von diesen Besuchern nichts zu befürchten war. Außer vielen neugierigen Fragen, aber das ist bei der Aktion „Secret Places“ war ausdrücklich erwünscht.

EsslingenGanz neu ist die Idee ja nicht, früher gab es so etwas als „Fahrt ins Blaue“: Wohin die Fahrt ging, erfuhren die Teilnehmer erst im Bus. Lassen wir den Bus weg und tauschen die Senioren gegen junge Erwachsene, schon sind wir bei „Secret Places“ des CVJM Esslingen. Wo der Treffpunkt ist, erfahren die Teilnehmer immer erst einige Stunden vorher per SMS. Sie treffen sich dann an einem Ort, an dem man sonst nicht so einfach reinspazieren und hinter die Kulissen schauen kann.

Diesmal war das Amtsgericht Esslingen an der Reihe, rund 80 junge Erwachsene trafen ein. Für sie waren im Foyer genügend Faltkartons aufgestellt, auf diesen lässt sich erstaunlich bequem sitzen. Die Sicherheitsschleuse blieb an diesem Abend ungenutzt: Die Verwaltungsleiterin Birgitta Frank-Grübel und Andreas Arndt, Direktor des Amtsgerichts Esslingen, wussten, dass von diesen Besuchern nichts zu befürchten war. Außer vielen neugierigen Fragen, aber das war ausdrücklich erwünscht.

Andreas Arndt stellte kurz die drei großen Abteilungen vor: die Strafabteilung, das Familiengericht und die Zivilabteilung. Was hat ihn selbst zum Beruf des Richters motiviert? „Ich konnte schon immer gut reden und habe es geliebt, nächtelang mit anderen zu diskutieren, auch kontrovers.“ Seine Wahl bestand zwischen Medizin und Jura, alle rieten ihm zur Medizin, also wählte er Jura und hat inzwischen eine lange Justizkarriere hinter sich. Wie groß ist der Ermessensspielraum eines Richters? „Auf bestimmte Taten stehen bestimmte Strafen.“ Es sei jedoch ein Unterschied, ob einer eine Brezel oder 10 000 Euro stehle, auch die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten seien zu berücksichtigen. Ein Richter müsse sich auch selbstkritisch fragen: „Bin ich so hart, weil es sein muss, oder weil mir das auch schon mal so passiert ist?“ Die Sitzungen seien öffentlich und ohne Eintritt, lud er zum Zuhören ein. Nur essen dürfe man dort nicht. Die Frage nach Kuriosem durfte nicht fehlen. Andreas Arndt berichtete vom Geflügelscherenmord. Der Täter, ein Alkoholiker, war todkrank und erlebte das Ende des Verfahrens nicht mehr. Aber während der Verhandlung meldete sich eine Zuhörerin lautstark zu Wort und erklärte, der Täter sei von seiner Schwester und der Ehefrau des Ermordeten angestiftet worden. Eine Argumentation, die den Richter schließlich überzeugte.

„Die Robe müssen wir selber kaufen“, sagte Andreas Arndt, seine erste Robe habe ihn damals 1200 Mark gekostet. Welche Verfahren ein Richter bekommt, darauf hat er keinen Einfluss. Und wenn der Richter jemanden kennt? „Es gibt Regeln zur Befangenheit, schon der Anschein genügt.“ Er werde auch kein Verfahren übernehmen, bei dem seine Frau als Staatsanwältin Anklage erhoben habe. Einmal habe eine Mitarbeiterin eines Gerichts sich scheiden lassen, der Befangenheitsantrag sorgte dafür, dass das Verfahren von einem Richter zum nächsten ging und dann vor einem anderen Gericht entschieden wurde.

Andreas Arndt ist ein großer Befürworter von Schöffen. „Das ist das Volk, das mitrichtet.“ Das Amtsgericht Esslingen brauche etwa 80 solcher Laienrichter. Das koste viel Geld, etwa für Schulungen, aber der Rechtsstaat koste nun mal. „Man merkt erst, was man an ihm hat, wenn man ihn nicht mehr hat.“

Vor der Besichtigung von Kaiserzimmer und Gefangenenzellen und einem Buffet gab Ben Oesch einen sehr persönlichen Impuls zum Thema „Gerechtigkeit“. „Ich glaube, dass jeder von uns sich vor Gott dafür verantworten muss, was er gedacht und wie er gelebt hat.“ Ben Oesch freut sich auf diesen Tag. „Weil Jesus für uns den Kopf hinhält. Und weil ich glaube, dass dann alles gut wird.“

„Secret Places“ gibt es wieder am 19. und 26. April und 4. Mai. Einlass jeweils ab 19.30 Uhr, Beginn 20 Uhr. Registrierung mit Handynummer unter https://secretplaces-es.de