Helga Wolf hilft ihren Schützlingen bei den Buchstaben, Holger Deppe bei der Tomatenaufzucht. Aber beide geben ihnen noch viel mehr. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Claudia Bitzer

Beim ersten Mal hat es nicht geklappt, gibt Holger Deppe freimütig zu. Nachhilfe hätte der Köngener seinem serbischen Patensohn geben sollen. Doch der wollte nicht. „Das haben wir dann sauber beendet“, berichtet der 63-Jährige, dessen drei eigene Kinder schon längst erwachsen sind. Einen Monat später hat Christina Kempf, die die „Chancenschenker“ und damit die ehrenamtlichen Paten der Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen und der Caritas Fils-Neckar-Alb koordiniert, mit ihm zusammen einen neuen Anlauf genommen. Seit Januar unternimmt der ehemalige Vertriebsbeauftragte einmal in der Woche für ein bis zwei Stunden etwas mit einem elfjährigen Jungen. Es geht nur um Freizeitgestaltung. Die Eltern seines Schützlings sind geschieden, die Mutter nimmt die schwierigsten Schichten an, um tagsüber für ihre Kinder da zu sein.

Einmal pro Woche da sein

Holger Deppe geht mit dem Elfjährigen zum Theaterspielen oder Spielenachmittag, demnächst will er mit ihm einen Drachen bauen. Die Chemie stimmt. „Wir haben sogar einen Vertrag zur Tomatenzucht abgeschlossen. Ich habe Samen, Blumenerde und Topf bezahlt, er hat gegossen und geerntet. Mein vereinbartes Honorar waren zwölf Tomaten.“ Obwohl die ziemlich mickrig ausgefallen sind, „meint er bis heute, ein ganz mieses Geschäft gemacht zu haben“, so Deppe lachend. Mittlerweile „bin ich zum Ersatzopa geworden.“

Das muss nicht sein. Christina Kempf achtet darauf, dass die Ansprüche auf beiden Seiten nicht ins Unermessliche steigen. Der Einsatz der ehrenamtlichen Chancenschenker für Kinder aus einkommensschwachen Haushalten ist in der Regel auf einmal pro Woche und insgesamt ein Jahr begrenzt. Manche arbeiten auch nur projektorientiert oder für eine Gruppe. Auf 32 Paten aus allen Altersklassen und Berufen kann Kempf derzeit zurückgreifen. Oft sind es die Schulsozialarbeiter oder die Lehrer, über die sie Kontakt mit den Familien bekommt, die Unterstützungsbedarf haben. Mehr als 6000 Kinder leben im Kreis Esslingen in Haushalten, die mit Hartz IV oder der Grundsicherung auskommen müssen. Von der versteckten Armut ganz zu schweigen. Sie macht sich erst einmal selbst ein Bild von den Familien, schaut, was sie brauchen und dann, wer zu wem passen könnte - bevor es dann ein Treffen aller Beteiligten gibt. Die Aufgaben der Paten sind klar umrissen.

Dennoch ist es ist nicht immer leicht, die Emotionen aus solchen Konstellationen herauszuhalten. „Schließlich geht es ja auch um Beziehungsarbeit“, so Deppe. „Aber einfacher ist es, wenn die Familie unsere Treffen als hilfreich für ihr Kind ansieht“, weiß Helga Wolf. Die 61-jährige ehemalige kaufmännische Angestellte und Sekretärin ist über einen Zeitungsartikel auf die Patenschaften gestoßen. Von Mai 2016 bis zu den großen Ferien in diesem Jahr hat die Esslingerin zwei Mädchen aus einer kurdischen Familie einmal wöchentlich unter ihre Fittiche genommen.

Selbstbewusstsein entwickeln

Sie sollten besser Deutsch lernen - und mehr Selbstbewusstsein gewinnen. Meist ist sie mit den Beiden in die Bücherei gegangen, hat Spiele und Bücher schon im Voraus ausgesucht, in den Ferien gab es einen wöchentlichen Ausflug. Fast noch wichtiger waren jedoch ganz praktische Dinge der Alltagsbewältigung. „Ich habe sie ermuntert, die Fahrkarten aus dem Automaten zu ziehen. Oder bei anderen Menschen um Rat zu fragen.“ Eine Herausforderung für schüchterne Elf- und Zwölfjährige, die sich auch nicht so recht trauen, Deutsch zu sprechen. Im Laufe der Monate haben sie deutlich an Selbstvertrauen zugelegt. „Ihren Eltern war es ganz wichtig, dass sie in der Schule gut sind und beruflich Fuß fassen“, erzählt Helga Wolf. Dass die Patenschaft jetzt beendet ist, macht für Wolf auch Sinn. „Ich komme jetzt zunehmend an meine Grenzen, wie heutzutage in der Schule gelernt wird.“

Auch Deppe steht mit seinem Patensohn an einem kritischen Punkt. „Er hat eine Fünf in Mathe bekommen.“ Soll er nun vom willkommenen Freizeitbegleiter, als den er gebucht und von dem Jungen auch akzeptiert ist, zum unbequemen Nachhilfelehrer werden? „Das werden wir gemeinsam klären“, sagt Christina Kempf. „Vielleicht ist da ein Nachhilfelehrer, der über das Bildungs- und Teilhabepaket finanziert wird, die bessere Lösung.“ Wer eine Patenschaft übernommen hat, wird von ihr in allen Fragen und Nöten begleitet. Weder Patenkind noch Pate sollen Rollen oder Aufgaben übernehmen müssen, die sie nicht wollen oder die nicht mit den Eltern vereinbart worden sein. Nach einem halben Jahr treffen sich die Beteiligten zum Zwischen-, am Ende dann zu einem Abschlussgespräch.

Wer sich als Chancenschenker bei der Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen engagieren will, sollte motiviert, verlässlich und herzlich sein - und auch regelmäßig dafür die Zeit einplanen. Er muss bereit sein, sich an Schulungen und Austauschtreffen zu beteiligen und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen.

Mehr Informationen bei Christina Kempf, Caritas-Zentrum Esslingen, Mettinger Straße 123, 73728 Esslingen, Tel. 0711/396954-19 oder kempf.c@caritas-fils-neckar-alb.de.