Von Dagmar Weinberg

Natürlich singen sie türkische Lieder - die Sängerinnen und Sänger des Türkischen Kulturvereins Esslingen. Der Chor interpretiert aber auch typisch Deutsches und stimmt sowohl hebräische als auch arabische Weisen an. Jetzt präsentiert er Teile seines Repertoires auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin. Dass der Chor „eines kleinen türkischen Kulturvereins“ in der Hauptstadt zu hören sein wird, macht den Vorsitzenden des Türkischen Kulturvereins, Adnan Tatlici, schon ein bisschen stolz. „Das ist eine tolle Geschichte“, findet er. „Uns geht es mit diesem und mit anderen Projekten darum, Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass wir alle zusammensein und zusammen leben können.“

Gegründet hat sich der Chor im Rahmen des Projekts Trimum (siehe Anhang). „Dieser Idee fühlen wir uns bis heute verpflichtet“, erzählt Chorleiter Ahmet Gül, der selbst Mitglied im Vorstand des Vereins Trimum ist. In Berlin wird der Chor aus Esslingen gemeinsam mit dem Stuttgarter Trimum-Chor und -Ensemble bei verschiedenen Veranstaltungen des Evangelischen Kirchentags zu hören sein. „Das ist schon ein Privileg“, sagt Ahmet Gül. „Allerdings nicht eines, das wir zugesprochen bekommen, sondern eines, das wir uns ganz bewusst nehmen.“

Gegen die Lockrufe und Hassgesänge all derer ansingen, die Fremdheit für etwas Bedrohliches halten - das ist die Grundidee, die hinter Trimum steckt. Und die möchte der türkische Chor aus Esslingen auch am Kirchentag weitertragen. „Wir sind alle Muslime, und für uns ist die Verständigung zwischen den Religionen und den Völkern gerade jetzt wichtiger denn je“, erklärt Chormitglied Güldesen Tiryaki.

So werden die Sänger und Musiker aus dem Schwabenland unter anderem an Christi Himmelfahrt beim Thementag „Interreligiöses Singen“ eine Kostprobe aus Deutschlands erstem interreligiösen Liederbuch servieren. Tags darauf feiern Juden, Christen und Muslime dann unter der Überschrift „Hören und schmecken. Ein Fest der Verschiedenheit“ ein gemeinsames Mahl. „Dieses interreligiöse Abendmahl, in dem wir auch unsere Unterschiedlichkeit feiern, wird für uns alle ein Highlight sein“, ist sich Ahmet Gül sicher.

Dass sich der ausgebildete Bariton, der im Hauptberuf in der Telefonzentrale des Esslinger Klinikums arbeitet, bei Trimum engagiert, liegt nicht nur an seiner Neugier auf all das, was andere Kulturen und Religionen ihm bieten können, sondern hat auch mit seiner eigenen Biografie zu tun. „Bevor ich mich in die Musik meiner eigenen Wurzeln verliebt habe, habe ich ausschließlich europäische Musik gemacht und zum Beispiel Schubert und Schumann gesungen. Außerdem kenne ich mich mit Kirchenmusik aus.“ Als Siebenjähriger kam der im zentralanatolischen Konya geborene Gül nach Deutschland. In einer katholischen Blindenschule, an der auch sein Gesangstalent entdeckt wurde, lernte der aus einer streng muslimischen Familie stammende Junge dann die christliche Kultur kennen.

Durch die Musik traf der überzeugte Muslim den israelischen Juden Alon Wallach, der in Stuttgart Gitarre studiert hat, von Beginn an im Trimum-Projekt dabei ist und ebenfalls beim Evangelischen Kirchentag zu hören sein wird. „Ich mache mit Alon immer mal wieder Solo-Projekte, und uns verbindet auch eine Freundschaft“, erzählt Ahmet Gül.

Trimum - Musik für Juden, Christen und Muslime

Unter dem Dach der Internationalen Bachakademie wurde 2012 das Projekt „Trimum - Musik für Juden, Christen und Muslime“ gegründet. Jüdische, christliche und muslimische Musikschaffende, Theologen, Kantoren, Komponisten und Wissenschaftler suchten gemeinsam nach einer „Musik des Trialogs“. Das Projekt nahm schnell Fahrt auf, es entstanden feste Ensembles für Jugendliche und Erwachsene. Als das Projekt auslief, waren sich alle Akteure einig, dass die Zusammenarbeit weitergehen muss. So wurde 2015 mit Unterstützung der Stiftung Stuttgarter Lehrhaus der eigenständige Verein Trimum gegründet. Dessen Vorstand ist ebenfalls „trialogisch“ besetzt. Alon Wallach, Musiker und Vorsitzender des Esslinger Vereins Freunde jüdischer Kultur, ist zweiter Vorsitzender von Trimum. Ahmet Gül, Leiter des Chors des Türkischen Kulturvereins Esslingen, sitzt im Beirat von Trimum.