Gregor Gysi begeistert das Publikum in der Osterfeldhalle. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Sabine Försterling

Mit einem durchaus ungewöhnlichen Festredner hat die Esslinger Ortsgruppe des Vereins Haus & Grund am Mittwoch ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert. Denn mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi hatte sie jemanden eingeladen, dessen politische Ansichten wohl eher nicht konform mit den Interessen von Haus- und Grundbesitzern sein dürften. Dennoch erhielt Gysi für seinen launigen Parforceritt durch eine Vielzahl politischer Themen mehrmals begeisterten Zwischenapplaus.

Dabei redete der ehemalige Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, der heute noch als Abgeordneter der Partei im Bundestag sitzt, den Gästen in der gut besetzten Osterfeldhalle bei seinem rund eineinhalbstündigen Auftritt durchaus auch ins Gewissen. „Sie vertreten nicht nur die Rechte der Haus- und Grundbesitzer, sondern auch die Rechte der Bevölkerung, die Wohnraum benötigt“, mahnte er unter anderem.

Doch vor Gysi traten zunächst Hermann Falch, der Vorsitzende der Esslinger Ortsgruppe von Haus & Grund, Oberbürgermeister Jürgen Zieger und Michael Hennrich, der Vorsitzende des württembergischen Landesverbandes, ans Mikrofon. Die Vertreter des Vereins betonten, dass die Ziele, die bereits in der ersten Satzung bei der Gründung des Vereins Haus & Grund im November 1917, also im Ersten Weltkrieg, festgeschrieben wurden, nach wie vor aktuell seien. So gehe es immer noch darum, die Rechte der Haus- und Grundbesitzer zu wahren, für Steuererleichterung sorgen und auf ein gutes Einvernehmen zwischen Vermietern und Mietern hinzuwirken.

Hermann Falch appellierte daher einerseits an den Esslinger Gemeinderat, die zweistufige Erhöhung der Grundsteuer wieder rückgängig zu machen, und hob andererseits die Bedeutung des Mietspiegels hervor. Angesichts des großen Bedarfs an bezahlbarem Wohnraum prangerte nicht nur Falch, sondern auch Hennrich das Baurecht an, das mit seinen überbordenden Vorschriften das Bauen teuer mache. Beide kritisierten auch die Mietpreisbremse als falsches Instrument. „Wir sind aber keine Miethaie“, meinte der CDU-Bundestagsabgeordnete Hennrich mit einem augenzwinkernden Blick auf den Festredner Gysi. Oberbürgermeister Jürgen Zieger hingegen forderte zum Mut auf, neue Wege zu gehen. Zieger bezeichnete die urbane Stadt der kurzen Wege, die ökologisch nachverdichtet werde, als das Konzept der Zukunft.

Gregor Gysi hingegen bezog sich vor allem auf die Bundespolitik. „Steuerentlastung und gleichzeitig eine schwarze Null schreiben - wie soll das gehen?“, fragte er unter anderem. Die Infrastruktur zerfalle, die Schulen würden nicht saniert, es fehle an Betreuungseinrichtungen, Lehrern, Erzieherinnen und Pflegepersonal, außerdem sei der Schienenausbau blockiert und an schnelles Internet auf dem Land sei schon gar nicht zu denken. Der Politiker forderte angesichts dieser Missstände mehr, aber auch gerechter verteilte Steuereinnahmen. Eine von ihm favorisierte Vermögenssteuer solle jedoch nicht für Wohnungseigentum gelten, betonte er.

Mit Blick auf die erstarkenden Rechtspopulisten in Deutschland mahnte Gysi: „Den sozialen Zusammenhalt dürfen wir nicht aus der Hand geben.“ Um die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, müssten die Ursachen bekämpft und nicht Waffen nach Saudi-Arabien und billige Lebensmittel nach Afrika exportiert werden. Auch die aktuelle Lage in Europa nahm Gregor Gysi ins Visier. Europa sei inzwischen unsolidarisch, unsozial und undemokratisch, sagte er - aber dennoch müsse die Europäische Union gerettet werden, meinte der Präsident der europäischen Linken. Denn er wolle nie wieder Krieg.

Sich selbst bezeichnete Gysi als Zweckoptimisten und betonte, er setze bei politischen Themen auf die Vernunft der Menschen. Doch leider sei die Bundesregierung bei ihrer „sexuell-erotischen Beziehung“ zur schwarzen Null für Vernunft überhaupt nicht mehr zugänglich, beklagte er. Sicher zeigte er sich jedoch bei der Frage, ob die die Jamaika-Koalition zustande komme: Ja. Denn für die CDU seien Neuwahlen eine Katastrophe, die FDP wolle nach vier Jahren, die sie nicht im Parlament saß, sicher ihre Existenz nicht gefährden und die Grünen seien so scharf aufs Mitregieren, dass sie alles mitmachten.