Quelle: Unbekannt

Von Dagmar Weinberg

Im Esslinger Stadtmuseum ist auch Platz für Außergewöhnliches. Dort präsentiert Museumsleiter Martin Beutelspacher im Februar exotische Souvenirs aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, die an die Kämpfe deutscher Truppen in Afrika erinnern. Den abgebrochenen Löwenzahn sowie den Zinnbecher mit Motiven aus Kamerun und einen sogenannten Armdolch hat der Esslinger Kolonialoffizier Ernst von Raben nach Esslingen gebracht. Als Mitglied der Schutztruppe Kamerun kämpfte er von Kriegsbeginn bis zur Kapitulation der durch von Raben geführten Afrikakompanie im Februar 1916 in der deutschen Kolonie gegen die alliierten Truppen. Im Rahmen des Langzeitprojekts „52 x Esslingen und der Erste Weltkrieg“ hat sich der Chef der Esslinger Museen mit dem „Helden vom Berge Mora“ beschäftigt.

Ernst von Raben, 1877 in Schwäbisch Gmünd geboren, entstammte dem württembergischen Zweig eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts. Sein Vater, Major Carl von Raben, war von 1891 bis 1899 Bezirksoffizier des Landwehrbezirks Esslingen. Das hatte an der Ecke der Schelztor- und heutigen Kollwitzstraße in acht Räumen sein Domizil, die man vom Bauunternehmer Brinzinger angemietet hatte. Dort wurden die Wehrpflichtigen einberufen, und dort war auch die Kleiderkammer des Bezirks. Zunächst wohnte die Familie von Raben im Bebenhäuser Pfleghof in der Heugasse, später in der damaligen Friedrichstraße 4 (heute Berliner Straße).

Wie seinen Vater zog es auch Ernst von Raben zum Militär. Nach seiner Kadettenausbildung in Groß-Lichterfelde bei Berlin wurde er als 19-Jähriger unmittelbar zum Leutnant befördert und in das 2. Württembergische Infanterieregiment Nr. 120 beordert. 1901 meldete er sich zur Schutztruppe Kamerun. Die Kolonie, die 1885 - wie es damals hieß - unter „deutschen Schutz“ gestellt worden war, umfasste ein Gebiet etwa doppelt so groß wie die heutige Bundesrepublik Deutschland.

Dort lebten 1912 zwischen 4,1 Millionen Einheimischen 1560 Deutsche. „Die Infrastruktur war völlig unterentwickelt, und die deutsche Beherrschung des Landes erschöpfte sich in Strafexpeditionen und Niederschlagung von Aufständen“, berichtet Martin Beutelspacher von seinen Recherchen. Bereits 1891 war eine Polizeitruppe gebildet worden. Mitte der 1890er-Jahre konnte diese „Kaiserliche Schutztruppe für Kamerun“ genannte 200 Mann starke Einheit den einheimischen Handel im Innern des Landes zu Gunsten deutscher Händler ausschalten. Die Truppe wurde vor 1914 bis auf 7000 Mann ausgebaut.

Wer in die Schutztruppe wollte, musste eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen: Man durfte nicht älter als 40 Jahre sein. Körperliche Leistungsfähigkeit, Tropentauglichkeit und überdurchschnittliche Intelligenz waren gefordert. Als Mannschaften wurden in Friedenszeiten keine Europäer, sondern die sogenannten Askaris (also einheimische Söldner) in die Schutztruppe aufgenommen.

1906 kehrte Ernst von Raben wieder aus Kamerun zurück, wurde zum Oberleutnant befördert und bekam den Württembergischen Militärverdienstorden. Im Jahr darauf trat er erneut in die Schutztruppe Kamerun ein.

Ab 1910 war er stellvertretender Statthalter der deutschen Tschadseeländer in Kusseri und ab 1913 in Mora im äußersten Norden des Landes. 1913 wurde er zum Hauptmann befördert und übernahm im Mai 1914 die Führung der 3. Kompanie der Schutztruppe in Mora. Dort unterstanden ihm 204 Mann. 14 waren Europäer, der Rest Einheimische.

Vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfuhr der Esslinger Kolonialoffizier gerüchtehalber. Funk- und Postverbindung waren unterbrochen. Späher unterrichteten von Raben darüber, dass die französischen Truppen mobil machten.

Bis zum Jahr 1914 war von Raben sechsmal zwischen Deutschland und Kamerun hin- und hergereist. Bei diesen Gelegenheiten muss er die kolonialen Souvenirs mitgebracht haben.

Dabei war das Fell eines selbst geschossenen Löwen. Aus dessen Maul war ein Zahn herausgebrochen, der jetzt im Museum gezeigt wird. Außerdem besaß Raben einen Becher mit zwei Kameruner Szenen. „Besonders spektakulär ist ein sogenannter Armdolch, dessen Köcher mit einem breiten und starken Lederring versehen ist. Damit trugen ihn westafrikanische Krieger am linken Oberarm“, erklärt Martin Beutelspacher.

Die Alliierten waren den Deutschen 1914 um das Drei- bis Vierfache überlegen. Dennoch gelang es den Deutschen, sich über das gesamte Jahr 1915 hinweg zu verteidigen. Um die Jahreswende 1915/16 rettete sich der mit mehr als 5000 Mann weitaus größte Teil der Schutztruppe in die neutrale spanische Kolonie Río Muni (heute: Äquatorialguinea).

Zu diesem Zeitpunkt war die durch Ernst von Raben geführte 3. Kompanie fast ein Jahr völlig von Informationen und Hilfe abgeschlossen gewesen. Der Esslinger Offizier hatte im August 1914 eine Befestigung auf dem Berg Mora anlegen und die in der Ebene gelegene Station räumen lassen. Während dieser Aktivitäten kam ein Bote, der berichtete, dass Krieg in Europa herrschte. Am 27. August griffen die Briten zum ersten Mal von einem etwas höher gelegenen Nachbarhügel an. Dieser Angriff konnte aber zurückgeschlagen werden.

Vorräte gehen zur Neige

Die Besatzung vom Berg Mora war intensiv damit beschäftigt, möglichst viele Vorräte zusammenzutragen. Ein langfristiger Widerstand war aber nicht nur aus Mangel an Nahrung, Medikamenten und Verbandszeug ausgeschlossen, sondern auch, weil die Kolonie keinerlei militärische Reserven wie zum Beispiel Munition hatte. Der Seeweg wurde von Kriegsbeginn an durch die Alliierten blockiert.

Die Alliierten brachten Maschinengewehre und Artillerie auf den umgebenden Anhöhen in Stellung. Weitere britische und französische Angriffe im Oktober und November 1914 wurden abgewehrt und dazu genutzt, feindliche Waffen und Munition zu erobern. Verpflegungspatrouillen und Gänge zu den Wasserlöchern wurden aber zunehmend schwieriger.

Dank eines kurzen deutsch-britischen Waffenstillstand zu Weihnachten 1914 konnten die Soldaten ein wenig ausruhen. „Ein Päckchen für den britischen Gefangenen Taylor ließ man passieren, und auch von Raben erhielt vom britischen Kommandierenden Fox, den er noch aus Friedenszeiten kannte, eine kleine Aufmerksamkeit“, weiß Martin Beutelspacher aus dem Studium historischer Quellen. Die ersten Monate des Jahres 1915 waren für die deutschen Truppen dann aber eine harte Durststrecke. Am 22. Januar schlachteten sie ihre letzte Kuh. Erdnüsse mussten den Fettbedarf decken. Kaffee, Tee, Zucker, Salz, Tabak und Alkohol fehlten von nun an ein ganzes Jahr lang völlig.

Im April endete die Trockenzeit, und am 27. April 1915 gelang es ausschwärmenden deutschen Essenssuchern, den Briten 27 Rinder zu rauben. Dennoch blieb die Situation prekär. Medikamente fehlten, vor allem das zur Malariabehandlung notwendige Chinin.

Auch Verbandszeug gab es nicht mehr. Aus den ausgekochten Fußlappen der Askaris wurden nun die Verbände hergestellt. Mangelkrankheiten wie Skorbut oder die auf Vitamin-A-Mangel beruhende Nachtblindheit nahmen zu. Am 30. September wurde Ernst von Raben durch einen Kopfschuss schwer verwundet. Er überlebte zwar, musste aber viele Wochen das Bett hüten.

Sicheres Geleit für die Afrikaner

Am 15. Februar 1916 teilte der britische General Cunliffe den Belagerten mit, dass alle anderen deutschen Truppen sich nach Río Muni zurückgezogen hätten. Er bot von Raben an, dass bei einer Übergabe die Offiziere ihren Degen behalten dürften. Die Afrikaner seien frei und sollten sicheres Geleit in ihre Heimat erhalten. Die Europäer würden als Kriegsgefangene nach Großbritannien überführt. Angesichts der aussichtslosen Lage ging Ernst von Raben auf diesen Vorschlag ein und kapitulierte am 18. Februar 1916.

Wenig später verließen von Raben und die letzten Deutschen die Festung Mora und Kamerun. Damit war dort die deutsche Kolonialzeit nach 31 Jahren zu Ende. Das Land wurde im Friedensvertrag 1919 zwischen Briten und Franzosen aufgeteilt. Die Offiziere der 3. Kompanie wurden nach England gebracht und interniert. Ernst von Raben kehrte 1916 über die Schweiz als Austauschgefangener

nach Deutschland zurück. Er erhielt am 19.September 1919 seinen Abschied nach Esslingen mit der gesetzlichen Pension und der Erlaubnis zum Tragen seiner kaiserzeitlichen Kolonialuniform. Das Geschehen in Kamerun wurde in Ernst von Rabens Heimatstadt gespannt verfolgt. Sofern Nachrichten durchkamen, berichtete die Eßlinger Zeitung vom Wohl und Wehe des „Helden vom Berg Mora“.

Ernst von Raben, der 1921 geheiratet hatte, zog in die Nähe von Gütersloh, wo er von 1922 bis zum seinem Tod am 8. Juni 1924 ein kleines Pachtobstgut betrieb. Die Kämpfe in den Kolonien zogen vom Hauptkriegsschauplatz in Europa nur wenige Kräfte ab. Der Krieg hat Deutschland von seinen Kolonien befreit. „Das kann man im Lichte der weiteren Entwicklung durchaus als eine glückliche Fügung betrachten“, so Museumsleiter Martin Beutelspacher.

Die Eßlinger Zeitung begleitet als Kooperationspartnerin das Stadtarchiv und das Stadtmuseum bei der Präsentation von 52 „Objekten des Monats“. Sie werden als Teil des historisch-kulturellen Langzeitprojekts „52 x Esslingen und der Erste Weltkrieg“ im Gelben Haus am Hafenmarkt präsentiert. Die wachsende Ausstellung der Objekte, die aus öffentlichem und privatem Besitz zusammengetragen werden, will von August 2014 bis Oktober 2018 auf die Geschichte des Ersten Weltkriegs speziell aus Esslinger Perspektive aufmerksam machen.

Ernst von Rabens Souvenirs aus Kamerun werden am Dienstag, 2. Februar, im Esslinger Stadtmuseum am Hafenmarkt präsentiert. Um 18 Uhr hält Museumsleiter Martin Beutelspacher einen Vortrag über das Leben des Esslinger Kolonialoffiziers und den Krieg in Afrika. Der Eintritt ist frei.

Zu den spektakulärsten Afrika-Souvenirs des Esslinger Kolonialoffiziers Ernst von Raben gehört der Armdolch, den westafrikanische Krieger mit dem breiten Lederring am linken Oberarm trugen.Fotos: Wolf

Den Löwen, dem dieser Zahn gehörte, hatte der Esslinger Kolonialoffizier selbst erlegt.