Im Frauenhaus finden Mütter und ihre Kinder Schutz. Da es aber zu wenig Plätze gibt, muss das Esslinger Frauenhaus immer wieder Hilfesuchende abweisen. Foto: picture alliance / dpa/Britta P - picture alliance / dpa/Britta Pedersen

131 Schutz suchende Frauen musste das Esslinger Frauenhaus abweisen. Der Grund? Bewohnerinnen, die ausziehen wollten, fanden auf dem Wohnungsmarkt keine Unterkunft.

EsslingenWie eng es auf dem Wohnungsmarkt zugeht, erleben die Mitarbeiterinnen des Esslinger Frauenhauses Tag für Tag. Frauen, die sich stabilisiert haben und gerne aus dem Haus ausziehen wollen, „finden keinen bezahlbaren Wohnraum und können daher den Platz für Frauen, die akut in Gefahr sind, nicht freimachen“, schildert Heike Liekam, Diplom-Sozialpädagogin und für den Geschäftsbereich Finanzen zuständig, die Situation. Deshalb musste das Esslinger Frauenhaus im vergangenen Jahr 131 Schutz suchende Frauen und 155 Kinder abweisen. Da zeitweise in ganz Baden-Württemberg kein einziger Platz in einem Frauenhaus zu finden war, „müssen viele Frauen weiterhin in einer gewaltvollen Beziehungen ausharren“, was vor allem auch für die Kinder sehr belastend ist.

Im Esslinger Frauenhaus und in der Beratungsstelle des Vereins Frauen helfen Frauen hatte man große Hoffnung auf die Istanbul-Konvention (siehe Anhang) gesetzt, die in der Bundesrepublik Deutschland seit Februar 2018 in Kraft ist. „Aber leider hat sich bisher nicht viel getan“, sagt Gudrun Eichelmann, Diplom-Sozialpädagogin in der Beratungs- und Interventionsstelle des Vereins. Zwar hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Herbst vergangenen Jahres einen Runden Tisch gegen Gewalt gegen Frauen einberufen. Auf konkrete Antworten wartet man im Frauenhaus und in der Beratungsstelle aber bis heute.

Klare Vorgaben

Die Istanbul-Konvention macht klare Vorgaben, wie viele Plätze für den Schutz von Frauen und Kindern vorgehalten werden müssen. Demnach muss für je 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner ein sogenannter Family-Place, also ein Zweibettzimmer, zur Verfügung stehen. Auf den Landkreis Esslingen bezogen müssten 49 Family-Places mit 98 Betten zur Verfügung stehen, hat man im Frauenhaus ausgerechnet. Die Realität sieht jedoch anders aus: In den drei Frauenhäusern im Kreis – in Esslingen, Kirchheim und auf den Fildern – stehen zurzeit nur insgesamt 43 Betten zur Verfügung. „Im Augenblick sehe ich leider auch nicht, dass sich an dieser Situation in absehbarer Zeit etwas ändern wird“, sagt Heike Liekam. „Denn es fehlt ein offizieller Auftrag für den Kreis, mit dem wir ja eine Vereinbarung zur Kostenübernahme haben.“ So sind also zunächst der Bund und die Länder am Zug – sowohl bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention für die Frauenhäuser als auch für die Beratungsstellen. „Die Verantwortung darf nicht länger hin und her geschoben werden“, fordert Gudrun Eichelmann.

Flächendeckende Versorgung

Bei den ambulanten Beratungsstellen, die Menschen unterstützen, die geschlechtsspezifische Gewalt erlebt haben, „schreibt die Istanbul-Konvention eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung vor“, erklärt Gudrun Eichelmann. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe hat ausgerechnet, wie die Fachberatungsstellen gemäß diesem Anspruch personell ausgestattet werden müssten. Nach diesen Berechnungen wären pro 100 000 Einwohner viereinhalb Vollzeitstellen für Beratungen und Gruppenangebote sowie zwei volle Stellen für Prävention und Qualifizierung „und mindestens eine Halbtagsstelle für sonstige Arbeiten“, erläutert die Fachberaterin. Für die Stadt Esslingen, wo neben der Beratungs- und Interventionsstelle des Vereins Frauen helfen Frauen die Fachberatungsstelle Wildwasser aktiv ist, bedeute das, „dass wir alleine in Esslingen insgesamt sieben vollständig finanzierte Stellen brauchen“. Aber auch bei den Beratungsstellen klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. „Wir haben nur 1,4 Stellen zur Verfügung und die werden nur zur Hälfte von der Kommune bezahlt. Die andere Hälfte müssen wir selbst durch Spenden finanzieren“, sagt Gudrun Eichelmann.

Unter Berufung auf die Vorgaben der Istanbul-Konvention hat der Landesverband der Beratungsstellen in Baden-Württemberg nun einen Finanzierungsantrag ans Sozialministerium geschickt. „Dabei geht es darum, das ambulante Hilfesystem durch eine staatliche Förderung zu sichern und zu erweitern“, erläutert Gudrun Eichelmann. „Es darf nicht passieren, dass sich die Kommunen aus der Finanzierung zurückziehen.“

Istanbul-Konvention

Diskriminierung beseitigen: Hinter der Istanbul-Konvention verbirgt sich das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt Gewalt gegen Frauen sowie häuslicher Gewalt. Sie ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der verbindliche Rechtsnormen schafft. Ziel ist es, Betroffene nicht nur vor Gewalt zu schützen, sondern dazu beizutragen, jegliche Form der Diskriminierung von Frauen zu beseitigen. Auch die Strafverfolgung ist in dem Vertrag festgeschrieben. Die Istanbul-Konvention verpflichtet die Staaten, sowohl im Bereich der Prävention als auch bei Unterstützungsangeboten sowie im Straf-, Zivil- und Ausländerrecht aktiv zu werden. Wie das Abkommen umgesetzt wird, soll durch eine Expertengruppe überwacht werden.

Geschlechtsspezifische Gewalt: Der Text der Konvention umfasst alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen – von körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt über Stalking bis zur Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung. Ein Fokus liegt auf der häuslichen Gewalt. In der Konvention wird Gewalt als eine Menschenrechtsverletzung sowie Diskriminierung der Frau definiert.